Privatsauna

Ich war schon wieder auf einem Konzert.

Krischan am

Superchunk war nämlich da. Da musste ich dann doch mal hin. Hab ich noch nie gesehen, und inzwischen mag ich sie ja doch ziemlich sehr.

Eigentlich sollten sie im Lido spielen, aber vor einigen Tagen schon kam der Hinweis, dass das Konzert in den Privatclub verschoben wurde. Cool, da war ich noch nicht, ist auch nicht weiter weg, die Skalitzer ein Stück hinter, genau zwischen den beiden U-Bahnhöfen »Schlesisches Tor« und »Görlitzer Bahnhof«. Der Grund wird wohl die mangelnde Nachfrage nach Tickets gewesen sein, denn das Ding war doch ein ganzes Stück kleiner als der Saal im Lido. Hätt’ ich ja nicht gedacht, dass sich in Berlin niemand für die Band interessiert, aber so richtig groß waren sie wohl nie, und ihre Hochphase in den Neunzigern ist lange vorbei und die letzte Platte auch nicht sooo der Hit …

Jedenfalls wäre ich diesmal fast reingefallen mit der Idee, eine Stunde vor Beginn erst loszufahren, weil ich ja erstens noch Bargeld besorgen musste, was an der Kreuzung Greifswalder / Danziger als Kunde der Sparkasse zwar einfach zu erledigen ist, aber dazu muss man ja über etliche Ampeln um die ganze Kreuzung herumeiern, um erst zur Bank und dann von da zur Haltestelle der Straßenbahn zu kommen. Und dann stand da auf der Anzeige, die nächsten Bahnen kämen erst in zehn und zwölf Minuten, was sich dann nochmal verlängert hat (wenn man meinem Zeitgefühl trauen darf, auf die Uhr habe ich nicht geguckt), und dann war die Bahn auch noch auffallend träge in ihrem Vorwärtskommen und ließ zudem über abgehackte Mitteilungen verlauten, dass sie nur bis Bersarinplatz und nicht bis zur angepeilten Endhaltestelle mit Umstiegsmöglichkeiten zur U-Bahn nach Kreuzberg fahre, man aber natürlich in die Folgebahn umsteigen könne. Die dann auch erstaunlich viel Zeit gebraucht hat, um die letzten paar hundert Meter zurückzulegen, da war es inzwischen schon dreiviertel. Bei der U-Bahn eine blinkende Zeitanzeige, so als ob sie schon im Begriff wäre, die Türen schließen zu wollen, was die träge Masse vor meinen Füßen aber nicht beschleunigen konnte, offenbar kannten die das schon, denn die Bahn stand dann noch eine ganze Weile, bis sie sich rumpelnd in Bewegung setzte. Um mich an der nächsten Haltestelle schon wieder auszuspucken. Bei der übernächsten hätte ich den Bahnhof nur ganz vorne verlassen können, um dann nach hinten zum Club zu laufen, hier konnte man den Bahnhof nur ganz hinten verlassen, um sich dann nach vorne den Weg bis zur übernächsten Ecke durch das dunkle, regennasse Laub auf den von Baustellen verengten Fußwegen zu bahnen.

Ein großes P über dem Eingang, ein paar Stufen zu einer kleinen Tür in einem Klinkerbau aus den Zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Handy raus und QR-Code des Tickets scannen lassen, viel Spaß hat er mir auch noch gewünscht. Kleines Ding, vielleicht so groß wie das Conni, mehr als zweihundert Leute werden da nicht reinpassen. Und auch wirklich kaum Leute da, wenn’s fünfzig waren, vermutlich kommt der Rest erst später. Bierchen holen, zur Orientierung schonmal Klo suchen und Garderobenluke finden, beim Merchandise gab’s nur die neue Platte und eine Compilation mit Sachen aus den Neunzigern. Und T-Shirts und ein Siebdruck-Plakat, das mir aber ein bisschen zu bunt war und/oder mir vom Motiv her nicht so ganz zusagte: ein kleiner Hund und irgendwelche Schachteln.

Den Namen der Vorband hatte ich mir nicht gemerkt, irgendwo stand der schon, und dann war das auch nur eine einzelne Frau mit Akustikgitarre. Fast hätt’ ich Mädel gesagt, so jung erschien sie mir, aber an irgendeiner Stelle ihrer ständigen Backstories, die sie zu jedem Song zu erzählen hatte, hat sie ein Alter von 33 erwähnt mit der sofortigen Koketterie, jaja, sie hätte sich gut gehalten, all das immer in diesem betont jugendlichen Mix aus Deutsch und basically English, das ging mir ein bisschen auf den Keks. Außerdem hat sie dem Publikum vor jedem Song viel Spaß gewünscht, wer macht denn sowas? Dabei fand ich sie beim ersten Lied noch ziemlich gut, was die Musik angeht: klassisches Singer-Songwriting mit hoher Stimme und abwechslungsreichem Gitarrenspiel, mitten drin aber immer wieder kleine Unterwanderungen meiner Erwartung, eine rhythmische Raffinesse, ein anderer Ton als gedacht, ohne dabei gewollt oder nach Kunst zu klingen – das hatte schon was. Dann ist es aber entweder nicht dabei geblieben oder hat sich immer wieder nach demselben Schema wiederholt, es wurde jedenfalls recht schnell uninteressant. Aber zugucken war trotzdem schön.

Der Sänger von Superchunk stand übrigens die ganze Zeit schon ein Stückchen vor mir und ebenfalls an die linke Wand gelehnt und folgte dem Auftritt aufmerksam. Der Saal füllte sich auch pö-a-pö etwas, schon wieder lauter ältere Herrschaften und auch das eine oder andere grauhaarige Pärchen, der Applaus war höflich, aber das Hintergrundgemurmel steigerte sich langsam erheblich. Die Musikerin hat aber Routine, sie hatte schon in einigen Bands gespielt, irgendwas mit Grunge wurde erwähnt, wir erfuhren noch so allerlei Andeutungen aus ihrem Privatleben, weil wie gesagt die Songs nicht für sich selbst sprechen, sondern immer noch eine Begründung mitgeliefert werden musste. Und Danksagungen an die Hauptband (sie wurde wohl von denen tatsächlich proaktiv ausgesucht) und die Einladung, mal zu der Community zu kommen, die sie da mit anderen irgendwo hätte, aber nur, wenn man cool wäre, blablabla.

In der Umbaupause habe ich dann doch mal meine Jacke in die Garderobe gebracht und wollte daraufhin mein leeres Bierglas gegen ein volles tauschen, aber genau in dem Moment war das Fass des einzigen Zapfhahns alle und musste gewechselt werden, so dass sich das erheblich in die Länge zog. Und als sich auf der Bühne immer mehr Musiker einfanden und an den Instrumenten herumprobierten, habe ich mir lieber einen schönen Platz im vorderen Drittel des Saales gesucht, weil ich ja ohnehin nicht das ganze Konzert über ein Bierglas an der Backe haben wollte (es gab dort tatsächlich richtige Gläser, sogar ohne Pfand, wie in so einem richtigen kleinen Club). Dann verschwanden sie aber doch nochmal im Backstage oder wo und wir mussten noch ein paar Minuten rumstehen und warten.

Ziemlich genau um neun waren dann wieder alle viere auf der Bühne. Ausgeleierte Begrüßungsfloskeln, und dann ging es erfreulich laut los. Und erfreulich flott. Ich hatte ja meine Befürchtungen, was die Intensität des Konzerts angeht, dass sie – wie auf der letzten Platte zu hören – in ruhigere Wasser umlenken und nettere Musik machen und nur noch neue Sachen spielen. Das Gegenteil war der Fall: sie haben im wesentlichen Sachen aus den Neunzigern gespielt, ein paar aus den Zehnern und nur ein oder zwei vom neuen Album, die aber ohne die alberne Studio-Produktion genauso gefetzt haben.

Die Band bestand aus den zwei festen Bandmitgliedern an den Gitarren – der charismatische Sänger sah aus wie eine Mischung aus Armin Laschet und Mel Gibson und spielt ja auch eine Gibson-Gitarre, der zweite Gitarrist ist ein ruhig und gelassen agierender Glatzkopf, zu dem mir leider kein optischer Vergleich eingefallen ist – und den neu hinzugekommenen Frauen an Schlagzeug und Bass – eine konzentriert auf ihre Trommeln einschlagende Mischung aus Janine Wissler und Sandra Bullock als Nachfolge für den originalen Schlagzeuger, der jetzt bei den Mountain Goats gelandet ist, und eine fröhlich wippende Mischung aus Madonna und Caren Miosga als Ersatz für die originale Bassistin, die nicht mehr live auftritt, aber sonst weiterhin zur Band gehört.

Bis auf drei oder vier Ausnahmen waren das also alles kurze, schnelle, mitreißend hymnische Songs, und der Band und auch dem (gar nicht so wild hopsenden) Publikum wurde recht schnell recht warm. Das helle Hemd des Sängers war beizeiten mehr oder weniger durchsichtig und er musste zwischen den Songs ständig zum bereitliegenden Handtuch greifen, die langen Haare der Schlagzeugerin hielten besser hinterm Ohr, nur die asymmetrische Frisur der blondierten Bassistin schien von all dem überhaupt nicht beeindruckt zu sein, am Ende war das nur eine Perücke? Der Sänger freute sich aber angeblich, dass er damit das viele Essen aus dem Frühstücksraum (nach Schinkenbrötchen ein weiteres Wort, das sich bei englischen Muttersprachlern besonders süß anhört) wieder abtrainieren kann, andere würden viel Geld bezahlen, um in die Sauna zu gehen. Als hätten wir einfachen Leute aus dem Publikum nicht auch viel Geld bezahlt, um hier reinzukommen.

Hier könnte eigentlich ein Video hin.

Im übrigen hatte er immer wieder Probleme mit seinem Gitarrengurt, der schon beim ersten Song (»Precision Auto« mit eingebauter Noise-Krach-Passage (zum Dehnen der frisch aufgezogenen Saiten) war ein fulminanter Einstieg) ständig von den Schnuppis an der Gitarre rutschte, da half auch das Klebeband, das die Schlagzeugerin bei der Hand hatte, nicht auf Dauer. Aber hat ihn das davon abgehalten, energisch herumzuhampeln? Natürlich nicht. War es amüsant? Natürlich.

Das Publikum war zum Teil mal wieder erstaunlich textsicher, mich interessiert das ja üblicherweise nur so nebenbei und merken tu ich mir das meiste dann auch nicht, aber beim letzten Song hätte ich »Slack Motherfucker« natürlich auch mitschreien können. Wenn ich gewollt hätte. Wollte ich eigentlich auch, aber … naja, ihr kennt mich ja. Bisschen mehr Gehüpfe wäre eigentlich auch schön gewesen, wenn nicht bei dieser Musik, wann sonst. Außer bei ein paar einzelnen wilden Fans ganz vorne war aber mehrstenteils erstaunlich wenig Bewegung im Publikum. An einer Stelle rhythmisches Klatschen, das verblüffenderweise tatsächlich gut gepasst hat, ich hab ganz vergessen, bei welchem Song.

Nach einer sehr kurzen Wartezeit kam die Band dann nochmal raus und hat ein paar weitere Songs gespielt, den einen kannte ich gar nicht, das war wohl ein Coversong. Zum Schluss der wie dafür gemachte Rausschmeißer »The Only Piece That You Get«, und dann war nach knapp anderthalb Stunden halt auch wirklich die Luft raus. Einerseits nicht allzu lange im Vergleich zu anderen Konzerten, andererseits waren das aber trotzdem mehr als zwanzig Songs. Glaub nicht, dass jemand das Gefühl hatte, es wäre kein vollständiges Konzert gewesen.

Da jetzt alle am Merchandise anstanden, habe ich schnell mein Abkühlungsbierchen bekommen, noch ein bisschen rumgestanden und geguckt, ob nicht doch noch ein bekanntes Gesicht zugegen wäre, aber Pustekuchen. Der schicke Typ aus der Straßenbahn, der mir dort wegen seines interessanten Outfits zwischen Rocker, J-Pop und Transe aufgefallen war, gehörte offenbar irgendwie zur Vorfrau, mit der er zusammen an ihrer Verkaufsecke stand. Sie hatte ja was von queer und so Zeugs erwähnt. Hab aber trotzdem nichts gekauft.

Direkt vor der Tür stand ein Heini auf der Treppe, den ich etwas zur Seite schieben musste, um wieder in den Regen hinauszukommen. Im U-Bahnhof saß einer mit einer Musikbox und rappte live den Bahnsteig voll, ich hab gar nichts verstanden. Zu Hause waren noch alle wach, es war ja schließlich noch weit vor Mitternacht. Nur ich hab noch eine ganze Weile gebraucht, um wieder runterzukommen.