Ich hab noch Lärm in den Ohren aus Jyväskylä

Treffen sich eine potsdammische und eine finnische Band im Schokoladen. Beide gut.

Krischan am

Beim Stöbern im Internet nach Musik von dieser oder jener Band bin ich neulich mal wieder über die allseits beliebten Quervergleiche gestolpert, die gern immer dann angestellt werden, wenn die Musik einer Band genauer einsortiert werden soll und einem aber die passenden Worte oder Fachbegriffe fehlen und dann stattdessen einfach andere Bandnamen aufgezählt werden, die als Orientierung gelten sollen. Und bei der Gelegenheit hab ich das erste mal den komischen Bandnamen »Nyos« gelesen, neugierig bei bandcamp nachgeguckt und reingehört und die Musik auch gleich für gut befunden: so ’ne Art Postmetal mit deutlichen Einschlag in Richtung Noise und Doom. Und dass sie den Krach nur zu zweit machen und aus Finnland kommen und der eine der beiden so ein lustiger dicker Typ ist, kam dann noch als weitere Pluspunkte hinzu, so dass ich hocherfreut war, als nur kurze Zeit später der Hinweis aufploppte, dass diese Band demnächst im Schokoladen spielen sollte.

Zuerst wusste die Schokoladen-Website noch gar nichts davon, aber nach ein paar Wochen gab’s dann doch an allen notwendigen Stellen die richtigen Infos und ich konnte mir ein Ticket wischen. Katharina hatte inzwischen auch halbwegs Gefallen gefunden – ich hatte mir natürlich gleich das ganze Œuvre von bandcamp runtergerippt und immer mal wieder durchs Wohnzimmer dröhnen lassen – und war dann spätestens bei der Erwähnung des relativ niedrigen Eintrittspreises von zehn Euro auch dabei, also zwei Tickets.

Dann war ich wieder nervös, weil ich mit dem Losgehen noch kurz warten musste, bis Katharina Emmas Hand ordentlich verbunden hat, dann musste ich nochmal kurz zurück in die Wohnung, weil ich mein Portemonnaie gar nicht einstecken hatte, dann ist uns die Bahn kurz vor der Nase weggefahren, dann haben wir fast vergessen, dass wir nach zwei Stationen schon wieder umsteigen müssen, dann hat uns der Wind fast über die Kreuzung Mollstraße / Otto-Braun-Straße gepustet, dann kam ein Krankenwagen über den Rosenthaler Platz gebrettert, während wir grün hatten, und dann waren wir auch schon da. Ausreichend lange vor Beginn. Ist ja nicht weit. Wozu also die Hektik? Paar Leute vorm Laden, paar drinne, großes Störtebeker für dreifuffzich, andere Biere noch billiger, am Merchandise-Stand unzählige T-Shirts und fast alle Platten und CDs und Kassetten von Nyos.

Punkt achte fing die Vorband an. Es gab ja noch eine Vorband. Namens »Antikaroshi«. Aus Potsdam. Kamman auch bei bandcamp ausführlich reinhören. Gar nicht so schlecht. Bisschen Math-Rock, bisschen Alternative, bisschen Post-Hardcore, bisschen Noise, bzw. mal das eine und mal das andere und mal eine gelungene Mischung aus diesem und jenem. Sahen älter aus als erwartet, ein grauer Lockenkopf an der Gitarre, ein poppig frisierter Herr mit feistem Kinn am Bass und ein jungscherer Tüpi an den Drums. Schöne Sounds, fetzige Harmonien, coole Rhythmen, volle Akkorde am Bass, Gesang von Gitarrist und Bassist, ab und zu alberne Effekte oder Synthi-Klänge aus einem kleinen Knöppchen-Pult vor dem Bassisten. So ganz hammse mich nicht überzeugt, aber es waren wörklich viele rischtisch schöne Sachen bei. Allgemeines Kopfnicken bestätigte das. Und der Applaus.

Nach ’ner dreiviertel Stunde war Pumpe, es sollte ja noch ’ne Hauptband geben und ab um zehn is’ Ruhe, wir erinnern uns. Konnten wir nochmal raus an die frische Luft, inzwischen war’s nämlich warm und voll geworden. Zum Schluss hatte sich noch ein voluminös belockter Herr direkt vor mich gestellt, wahrscheinlich weil ich ohnehin schon zwei größere Typen direkt vor mir hatte und deswegen leider den Bassisten gar nicht so richtig gut beobachten konnte, als ehemaliger Bassist mach ich das ja immer. Für die Hauptband mussten wir uns dann also einen besseren Platz besorgen, weiter vorne, aber nicht so, dass ich Lulatsch wiederum zu vielen anderen Leuten im Blickfeld stehe. Ganz am linken Rand? Schräg hinter dem weißen Lockenberg des älteren Herrn? Na gut.

Der Drummer der Hauptband musste sich noch ein paar Mal an uns vorbeiquetschen, die Getränke auf die Bühne schaffen. Im Schokoladen gibt’s ja keinen separaten Künstler-Eingang vom Backstage-Raum auf die Bühne. Naja, und dann ging’s auch los. Und wurde ziemlich schnell ziemlich sehr dolle laut. Alter, war das krass! Bloß gut, dass meine Ohren in letzter Zeit ohnehin immer ein bisschen verstopft sind. Stellenweise hat ja richtig meine Schädeldecke vibriert und man bekam Angst, dass sich der Putz von der Decke löst oder Sachen von der Wand fallen. Aber hinter dem am vorderen Bühnenrand stehenden Schlagzeug war ja auch eine Wand aus Boxen und Verstärkern aufgebaut! Zwei Peavey-Verstärker auf den zugehörigen Boxen und zwei zusätzliche noch größere und sehr viel schönere Hagström-Boxen rechts und links davon. Auf dem Boden vorm Gitarristen eine riesige Pedal-Palette, die es ihm ermöglichte, mit zarten Fingerbewegungen und seligem Lächeln und leichtem Schütteln seiner Lockenpracht aus seiner einfachen E-Gitarre die fettesten Bässe und die dröhnendsten Verzerrungen herauszuholen. Und diverse Loops haben dafür gesorgt, dass er zwei- und mehrstimmig mit sich selbst spielen konnte.

Das Schlagzeug ein zünftig abgespecktes mit nur einer Hänge- und einer Standtom, aber drei großen Crash-Becken. Der Drummer selbst in Socken, aber wirklich virtuos und rasend spielend. Diese Kombination aus rasendem Schlagzeuger und krachmachendem Gitarristen hat mich dann doch nochmal frappant an Lightning Bolt erinnert, die in dieser Besetzung ja auch ihr möglichstes tun, um vielen und schnellen Krach zu machen. Nach ein paar Stücken habe ich entdeckt, dass der Gitarrist in hochglänzenden rotbraunen Lederschuhen in Schlangen- oder Krokodillederoptik spielte, die so gar nicht zum sportiven Rest seiner kurzärmeligen und -hosigen Streetwear-Kleidung passten. Aber die hat er dann direkt nach dem Gig wieder ausgezogen und gegen ein Paar Sneaker getauscht; war wohl nur sein Bühnenoutfit. Warum auch immer. Bequemer? Dünne Sohle ist bestimmt gut für die Pedale. Muss man ja was merken.

Begeisterung im Publikum. Das übrigens durchmischter war als man so denken will, wir waren eindeutig nicht die ältesten oder bürgerlichsten. Aber so mancher musste sich immer mal wieder die Ohren zuhalten, und Katharina war nicht die einzige mit Ohrstöpseln. Doch während ich den beiden Musikern so zugeguckt habe, wie sie minutenlang dasselbe machen, hat mich ab und zu eine kleine Langeweile heimgesucht. Aber dann haben sie eigentlich jedesmal wieder beizeiten die Kurve gekriegt und einen neuen Aufbau gestartet oder doch nochmal eine kleine Wendung eingebaut.

Ob man sie nun Naijess oder Nüjoss ausspricht, blieb ein wenig unklar. Im Publikum wurde von letztjährigen Empfehlungen zu Naijess gesprochen, aber die Band selbst hat sich doch eher als Nüjoss vorgestellt, würd ich sagen. Wo kommt das Wort denn her? Kann wer helfen? Schwarmintelligenz anyone?

Punkt zehn waren sie jedenfalls fertig, und wir haben uns noch ein Bierchen geteilt, bevor wir uns an die kürzer gewordene Schlange am Merchandise-Stand angestellt haben beziehungsweise daneben, denn jetzt war da endlich Platz zum gucken. Der Gitarrist hat den Verkauf selbst übernommen und musste von jedem nochmal Anerkennung und Dankessagungen annehmen, das zieht sich. Ich wollte mir die erste oder zweite Platte als Vinyl mitnehmen, die hatten mir beim nachmittäglichen Nochmal-reinhören am besten gefallen, Katharina wollte sich noch ein T-Shirt aussuchen. Das dunkle mit dem güldenen Namenszug? Glitzer darf man ja in meinem Haushalt nicht. Vielleicht das mit dem großflächigen Muster, aber nicht das florale, da sehen die Buchstaben doof aus, sondern das andere. Mir hattse beim Cover-Vergleich dann doch das erste Album ans Herz gelegt, das mit dem Segelschiff im Eis, nicht das mit der Leiter vor der blauen Wand.

Dann haben wir uns hinten angestellt, die T-Shirts konnten anprobiert werden und die S war dann doch etwas knapp, also die M. Und die Platte dazu, auf meine zwei Zwannis hab ich einen Zehner zurückgekriegt, bittedanke, war jut jewesen, grinsgrins. Auf dem Weg zur Straßenbahn vor der einen Kneipe der Fußweg voll mit einer Horde Fußballgucker, an der Kreuzung fiel Katharina ein, dass so ein spätabendliches Mahl aber auch mal wieder was wäre, aber der eine hatte zu und der andere sah doof aus. In der Bahn entschieden wir uns für einen Besuch beim heimischen Halloumimann, da waren wir ja seit Freitag nicht mehr. Pommes hab ich keine mehr gekriegt, aber ich durfte von Katharinas Falafel abbeißen. Auf die Pommes bin ich ja nur gekommen, weil in der Bahn ein Pärchen saß, dessen Kleinkind sich erst nach deren Pommes den Kopf und den Arm verrenkt hat, das hingehaltene Stückchen dann aber doch angewidert abgelehnt hat, vermutlich weil es trotz des vorherigen ausgiebigen Pustens der Mutter immer noch zu heiß war. Süß.