Sieben schwedische Zebrazwillinge mit Penisring

Man glaubt es kaum: Ich war auf’m Konzert.

Krischan am

Und das war eigentlich nicht in Ordnung, das muss ich gleich schonmal vorneweg sagen, und ich hab auch wirklich ein schlechtes Gewissen, weil ich nämlich schon ziemlich am Kränkeln war mit einer Erkältung, die offenbar parallel zur herbstlich aufflammenden Coronawelle gerade um sich greift und mich am selben Tage schon für einen ausgedehnten Mittagsschlaf ins Bett verfrachtet hatte. Aber dann hab ich mich wieder an all die verpassten Konzerte erinnert und an das darauffolgende Bedürfnis, mich in den Arsch zu beißen, und außerdem noch in die Musik der Vorband reingehört und mich dann also kurz vorm Abendbrot doch noch entschlossen, mich trotz allem Halsschmerz und Kopfgebrumm ausgehfein zu machen. Ticket war ja eh schon vor Wochen gekauft und bezahlt. Sollte ja auch nur ein Popkonzert werden, entspannte Musik ganz ohne Krach, nichts aufregendes, nur so dezentes Geplätscher, vielleicht kann ich mich ja an den Rand setzen, da sind so Podeste.

Die Band ist ja im Grunde nur über Umwege in meine sonst eher anders ausgerichtete Sammlung gekommen: an Mogwai und das ganze Genre wurde ich auch schon nur über meine Bandkollegen herangeführt, und von deren Postrock ist es dann nicht mehr allzu weit zu den ebenfalls aus Schottland stammenden Arab Strap, deren Sänger ja bei einigen Mogwai-Stücken zu hören ist, und deren Musik aber doch nochmal ein bisschen anders geartet ist: sehr ruhiger, durchaus düsterer Indiepop mit nuschelnd gesprochenem Text, eher elektronisch instrumentiert mit auffälligen, aber nicht tekknoid nervenden Drums und stimmungsvollen Synthies, dabei aber immer eine melancholische Gitarre im Vordergrund.

Ob der Saal im Lido sehr voll werden würde, darauf hätte ich gar nicht wetten können; sehr populär ist die Band meines Erachtens nicht, ein typischer Vertreter einer Nischenband, die in engerem Kreise sehr geschätzt wird, aber im Großen und Ganzen nahezu unbekannt sein dürfte. Wenn man den Bandnamen googelt, trifft man vor allem auf das Album von Belle & Sebastian. Verlegt wurde das Konzert nicht, aber ausverkauft war es auch nicht. Und als ich dort eintraf, standen mäßig viele Leute im Nieselregen vor dem Club herum und mäßig viele im leicht vernebelten Saal drin. Später sollte es sich aber doch noch recht ordentlich füllen.

Verkaufsartikel der Vorband lagen im Vorraum aus, die LP wollte ich mir dann ja schon noch mitnehmen, es sei denn, die Band sollte sich als total unsympathisch herausstellen. An Produkte der Hauptband kann ich mich nicht erinnern, gab’s da was? Pullis? Taschen? Am Tresen hab ich dann den länger nicht gesehenen Klaus aufgegabelt und ein wenig über vergangene und zukünftige Konzerte geplaudert, ob und wo wer die Band des Abends schon gesehen habe, wer welche Alben bevorzuge, was es mit der merkwürdigen Schreibweise der Vorband auf sich habe und ob man das »7ebra« auf Schwedisch irgendwie aussprechen könne, bevor wir uns dann nach fast ganz vorne zum angefangenen Auftritt der beiden Schweden begeben haben.

Sie sahen genauso aus wie auf den Fotos im Internet: zwei junge schwedische Frauen, zum verwechseln ähnliche Zwillingsschwestern, zur Unterscheidung hat sich die eine die Haare schwarz gefärbt, bestimmt kommt da die Idee mit dem Zebra her, oder andersrum, wer weiß. Die gefärbte Schwester stand mit der E-Gitarre am Mikro, die blonde Schwester saß seitlich an einem selbstgebastelten Tischchen mit den Keyboards und hatte auch ein Mikro. Und zwei Pedale unterm Tisch, mit denen sie das Wumm und das Tschick der dezenten elektronischen Beats, die ich beim Reinhören natürlich für automatisch abspielende Synthesizer-Spuren gehalten hatte, selbst gespielt hat. Fandsch guddi.

So wie die Musik halt auch: eine angenehm zurückhaltende Variante Indiepop oder so, bisschen die schräge Klampfgitarre von Cat Power, bisschen der zweistimmige Gesang von Breeders, bisschen die verspielte Leichtigkeit von Cocorosie, oder an wen erinnert mich das noch? Meistens sehr dezent instrumentiert, ab und zu mal ein bisschen mehr Gitarre oder eine schräge Keyboardlinie mehr, etwas flotter durfte es auch mal werden. Und immer in einer ausgewogenen Mischung aus vertrauten Schemata und kleinen unerwarteten Akzenten in Harmonie, Rhythmus und/oder Melodie. Oder kleinen Nervereien in scheinbar sinnlos häufigen Wiederholungen, die im Nachhinein und in Bezug auf den Text aber total Sinn machen. Das alles mit einnehmender Unprofessionalität vorgetragen, fast schon ein bisschen schüchtern. Im aufmerksamen Publikum mitgereiste Freunde und wohl auch die Mama, der Applaus war mehr als nur freundlich, aber nach einer dreiviertel Stunde waren die Songs des aktuellen und ersten Albums aufgebraucht und der Auftritt zu Ende. Und auch der Klaus überzeugt, dass er sich das Album kaufen müsse.

Hier könnte eigentlich ein Video hin.

Aber erst am Ende des Abends. Erstmal Jacke abgeben und Bier holen. Ich jedenfalls. Und im voller gewordenen Saal einen neuen Platz suchen. Und warten. Und das Publikum beäugen. War ja doch etwas anders als bei den Rockkonzerten sonst immer. Deutlich ältere Leute auch, aber irgendwie anders. Kann ich gar nicht eintüten. Mehr so Normalos halt. Andere Frisuren, andere Klamotten, ohne dass man mit dem Finger drauf zeigen könnte, worin genau der Unterschied bestünde.

Die neuen Sachen von Arab Strap sind ja nicht so mein Ding, die letzte Platte hab ich mir dann ganz geschenkt, weil schon die (A-Seite der) Single so doof war. Aber das hier sollte ja eines dieser komischen, neuerdings in Mode gekommenen Jubiläumskonzerte werden, wo alte Platten aufgeführt werden, schön pö-a-pö Song für Song. Und »Philophobia« war auf jeden Fall eine der schönen Platten aus den Anfangsjahren der Band, damals, späte Neunziger, frühe Nuller, ach ja.

Wie diese Musik live aufgeführt wird, wusste ich nicht, meine Hoffnung war vielleicht, dass sie eine Band mitbringen, die die Beats und die Keyboards übernimmt, aber so ganz intim und konzentriert zu zweit hat es ja auch was. Die ersten beiden Songs haben sie auch tatsächlich ganz ohne Technikkram bewältigt, nur Gelaber und Gitarre, und der Sänger hatte noch eine Stand-Tom und ein Becken dastehen und einen Behälter mit allerlei Sticks und Klöppeln und Besen, mit denen er sich ständig beschäftigte. Das war vielleicht das einzige, was mich bei dem Konzert gestört hat, diese Alibi-Veranstaltung, dass er da den lieben langen Abend mit seinen Filzstöckern auf dem einen Becken herumgespielt hat, ohne dass das einen größeren Effekt gehabt hätte. Kann er nicht einfach seinen Gesangspart übernehmen und sonst stillhalten? Oder eben tatsächlich Keyboards und/oder Schlagwerk bedienen? Nur bei einem Lied der Zugabe hat er auf dem Tom ein halbwegs echtes Schlagzeug gespielt, und da hat es auch ganz gut funktioniert, obwohl der Unterschied zum Studio-Beat erheblich war.

Sonst aber: am Anfang des Liedes auf ein Knöppchen drücken, damit die Karaoke-Spur abgespielt wird, und dann das sonore Genuschel und das elegische Gitarrenspiel live obendrauf. An manchen Stellen war mir das irgendwie zu wenig, vielleicht ist das auch einfach keine Live-Musik, aber vielleicht hat auch etwas von dem Bombast gefehlt, der mir bei den neuen Alben zu viel ist und von dem aber auch bei diesem älteren Album in der Studio-Aufnahme mehr enthalten war. Naja, vielleicht nicht »Bombast«, sondern dichtere Atmosphäre, bisschen mehr als nur verhallte halbakustische Gitarre und Genuschel auf rudimentären Beats.

Wobei, gerade dieses Rudimentäre scheint mir ja die Musik von Arab Strap auszumachen: die Andeutung von Rhythmus ohne einen rundlaufenden Beat eines vollen Schlagzeugs, die Grundidee einer Akkordfolge ohne Riffs oder eine Melodie-Gitarre, die Textskizzen ohne Rhythmus und Melodie, die Klangeffekte und Stimmungen aus den Keyboards ohne ein echtes Arrangement. Aber live hat mich das dann leider nicht mitgenommen.

Nachdem das (Doppel-)Album in Gänze absolviert war, erstmal Pumpe, und ich musste ja auch aufs Klo. Von weiter hinten habe ich dann den Rest verfolgt, weil ich davon ausgegangen bin, dass jetzt das neue Zeug kommt, das mir nicht gefällt. Aber vom Sound her hat das kaum einen Unterschied gemacht. Und es kamen ja auch noch ältere Sachen. Das Publikum sollte sich was wünschen, und es wurde viel durcheinander gerufen, das meiste sagte mir nichts oder hab ich nicht verstanden, und das meiste wurde ohnehin abgelehnt, nicht ganz klar, aus welchen Gründen, ein paar waren wohl zu alt und vergessen, für andere fehlte vielleicht die Karaoke-Spur, bei einigen durfte auch einfach entrüstet von der Bühne geguckt werden. Ich hätte gar keinen Songtitel parat gehabt, hatte aber schon überlegt, was albernes wie »Highway To Hell« oder so zu rufen.

Hier könnte eigentlich ein Video hin.

Nach vier Zugaben war finito, und nahezu niemand rief nach mehr. Verausgabt hatte sich auf der Bühne keiner. Im Publikum auch nicht. Naja. War ja keine Leistungsschau, sondern ein Konzert. Pfand abholen, Jacke abholen, der blonden Zwillingsschwester freundlich grinsend (so hoffe ich jedenfalls) eine Platte abkaufen und ab zur Straßenbahn. Darin saß der Klaus, den ich nach der Vorband aus den Augen verloren hatte, ebenfalls eine Platte bei sich. Die Bahn wurde wie immer auf der Rückfahrt deutlich voller als hinzu, unsere Gesprächsversuche versandeten im allgemeinen Gewusel. Hatte er seine winterlichen Feuerzangenbowlenparties erwähnt? Da war ich vor Urzeiten einmal, und vielleicht werden wir ja dieses Jahr wieder mal eingeladen?

So. Zu Hause ab aufs Sofa, damit die Frau nicht gestört wird und ich auch nicht. Und ob die Erkältung jetzt durch den Konzertbesuch besser oder schlechter geworden ist, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, aber den Bericht verfasse ich jetzt erst eine Woche später, weil ich die Zeit dazwischen komplett im Bett verbracht habe. Hat sich wer angesteckt? Bestümmt. Wäre das auch ohne mich passiert, in einem vollen Saal ohne Maske? Mit Sicherheit.