Mein zweiter Versuch, einem Konzert von Bill Callahan beizuwohnen, hat mich selbst überrascht. Ich wollte gestern vormittag gerade losgehen, die wochenendlichen Einkäufe erledigen, da erreicht mich eine Nachricht von J., er hätte noch eine Karte für das Konzert am gleichen Tage übrig, ob ich denn Interesse hätte. Dabei hatte ich an dem Morgen mal wieder Kopfschmerzen. Aber als ich dann las, dass Alasdair Roberts als Vorband auftritt, hab ich flux zugesagt.
Vorglühen konnte ich auf der Geburtstagsfeier einer Kindergartenfreundin von Juri, wo die Eltern beim Abholen noch ausgiebig rumsitzen und Prosecco schlürfen und übriggebliebene Würstchen und Salate futtern und quatschen konnten. Katharina musste dann die aufgedrehten Kinder alleine nach Hause bringen, und ich bin zur S-Bahn gelatscht und war dann erstaunlich flott in Neukölln.
Den Heimathafen dort kannte ich dann doch schon, offenbar hieß er aber beim Titanic-Boygroup-Lesungsabend, den ich mit Katharina vor vielen Jahren besucht habe, da gabs von unseren Kindern wohl noch keins, jedenfalls hieß der Saalbau auf der Karl-Marx-Straße da wohl noch nicht so. Und heute im Grunde auch nicht, denn das ist eigentlich nur der Name des Theaters, das dort spielt.
Ausverkauft war das Konzert. Und man war kaum aus der U-Bahn raus, da wurde man schon überfallen mit Fragen nach übrighabenden Karten. Beim lungernden Warten auf dem Fußweg konnte ich meinem Nachwuchs noch am Telefon Gutenacht sagen, dann wurde unser Begrüßungskreis (die Dresdner waren natürlich schnell noch in einer Dönerbude) gleich schon wieder belagert, ob es denn hier noch Karten gäbe oder doch nur eine Quasselrunde.
Neenee, die einzige übrige Karte war ja für mich, auch wenn sie ursprünglich ein Weihnachtsgeschenk für wen ganz anders war. Aber kranke Kinder verzichten ungern auf beide Elternteile, und das mit den Großeltern war auch keine gute Idee, also konnte ich einspringen. Ist doch auch schön, oder?
Voll war es schon, kein Wunder, dass ausverkauft war, übermäßig groß ist es da nicht. Lange Schlangen an den Theken, weil das Bier immer erst in Plastegläser umgefüllt werden musste. Ich hab mich dann erst relativ spät angestellt und nicht mehr so ewig gewartet. Man stellt sich ja auch nicht an, sondern drängt sich an eine freie Stelle und versucht, den Blick und das Ohr eines Barmanns zu erhaschen.
Vorher hatte Alasdair Roberts schon angefangen, ganz allein mit Akustik-Gitarre und Mikrofon in der Mitte der Bühne stehend, zugeknöpftes schwarzes Hemd und Vollbart, wie sich das heutzutage gehört. Dem ersten Lied wurde auch noch gelauscht, dann wurde es aber ziemlich laut im Saal, fast alle schienen sich in Gespräche zu vertiefen, und die stille schottische Folk-Musik ging total unter. Hat mich mächtig geärgert, aber nach den Songs gab es doch jedesmal kräftigen Applaus.
Aus unserer Gruppe war ich offenbar der einzige, der mit dem Namen was anfangen konnte, bei Erklärungsversuchen fiel mir aber der Name seiner ehemaligen Band Appendix Out nicht ein. Und von Amalgamated Sons Of Rest (mit Will Oldham und Jason Molina – genaugenommen meine einzige Platte mit Alasdair Roberts, da muss aber jetzt mal noch mehr her!) hatte auch noch niemand was gehört.
Dafür kenne ich ja Bill Callahan kaum. Ein paar ältere Alben unter dem Namen Smog hab ich zwar von J. mal auf CD gebrannt bekommen, aber nur sporadisch gehört. Die Coverversionen von Cat Power sind mir da viel näher. Jedenfalls wurde es schlagartig mucksmäuschenstill, als er anfing mit seiner ebenfalls recht stillen Musik. »Ohr, die Stimme!« entfuhr es zwar noch einer – na klar – Frau, aber dann war Ruhe. Die Stimme ist ja auch toll. Und toll ist, dass er sich freilich nicht darauf verlässt, sondern tolle Songs schreibt. Und dass er dann aber nicht zu viel an den Songs herumarrangiert. Und dass auch die (allesamt sitzenden) Begleitmusiker auf keinen Fall zu viel tun, aber an den richtigen Stellen durchaus einiges. Sonores Sprechen, monotones Gitarrengeklimper, dezentes Besenschlagzeug, sparsamer Bass, und die Melodie-Gitarre darf manchmal Effekte benutzen.
Was mich auch auf den CDs bisweilen nervt, ist, dass mir die Lieder zum Teil einfach zu lang sind. Alles stimmig und interessant, schöne schwermütige Gleichförmigkeit mit immer wieder unerwarteten Unterbrechungen und Verschiebungen, aber nach ein paar Minuten ist dann bei mir meistens die Luft raus, der Song aber erst zur Hälfte um. Dabei gibt es auch lange Stücke, die prima sind. Eins mäanderte gestern abend durch etliche Genres, spielte mit Hippie- und Progrock-Elementen, klang dann auf einmal nach Synthie-Pop und Schuldisko, was aber alles immer nur anzitiert wurde, um gleich wieder zurückgenommen zu werden; das war lustig.
Nicht lustig war, dass irgendsoein Dönerfresser in unserer Nähe seinen Darm nicht unter Kontrolle hatte. Früher, als man noch rauchen durfte bei solchen Konzerten, da wäre einem das nicht so aufgefallen. Heute steht man halt in der Wolke und staunt.
Kurz vor zwölwe war nach mal wieder fast zwei Stunden Schluss, die Dresdner stürzten los, und die Berliner hab ich beim Glaszurückbringen aus den Augen verloren. U- und S-Bahn ließen nicht lange auf sich warten, und um eins lag ich im Bett, nachdem ich nochmal kurz ins Internet und in die Reste in der Küche geguckt hab.