Ist ja jetzt auch schon wieder ein paar Tage her, und eigentlich wollte ich ja noch was darüber schreiben, weil ich doch immer so tue, als sei ich ein Konzertrezensent, aber irgendwie fällt mir so gar nichts richtiges ein. Oder fühle ich mich einfach nur nicht zuständig, sobald es um Hochkultur geht?
Jedenfalls hatten mich nämlich meine Eltern eingeladen: Moses und Aron von Schönberg an der Komischen Oper. Als mir meine Mutter am Telefon von ihrem geplanten Opernbesuch erzählte, den sie von ihrer Schwägerin empfohlen bekam, die wohl meinte, sie hätte da nun zum ersten Mal die Zwölftonmusik verstanden und gefallen hätte es ihr sogar auch noch. Und da hab ich behauptet, da auch schon mal das eine oder andere durchaus interessante Stückchen im D-Radio gehört zu haben, und prompt hat sie mir noch eine Karte organisiert.
Am Sonntag nachmittag kamen sie dann also mit Kuchen und Blumen bei uns vorbei, und nachdem ich die Fahrzeit trotz Blick in die Verbindungssuche der Öffentlichen Verkehrsmittel maßlos überschätzt hatte, standen wir deutlich vor sechse schon am Eingang herum und beguckten uns im kälter werdenden Frühlingswind die Baustelle gegenüber und die eintrudelnden Leute in ihren unterschiedlichen Garderoben und Muttersprachen.
Aber auch das Gebäude selbst war durchaus interessant: auf den ersten Blick ein moderner Bau aus der Mitte des letzten Jahrhunderts, mit Sandsteinplatten und Glaskasten und gussplastischen Eingangstüren, stößt man drinnen auf ein barockes Treppenhaus und einen Garderobensaal, der mich wegen der vielen kleinen Lampen an das Festspielhaus Hellerau erinnerte. Eine Etage weiter oben ein Foyer oder so, mit akustischer Röhrchendecke in dunkelgrau, dazu getönte Spiegelwände und große runde Glaskronleuchter, die einen interessanten Kontrast zu den cremig angeleuchteten Fassadenteilen des Treppenhauses bildeten.
Die Einführung war dann recht allgemein gehalten: Kurzinfos zu Zwölftontechnik und Schönberg, aber auch zu Geschichte, Zionismus, Freud und Moses, unterhaltsam vorgetragen und irgendwie so gar nicht interessant.
Die Bestuhlung im Saal war eng, unsere Plätze lagen ziemlich in der Mitte (die zwei der Eltern; der dritte Platz, den sie mir nach dem Telefonat noch schnell nachgekauft hatten, lag ziemlich am Rand, aber Papa hat ihn übernommen, damit ich mit Mama zusammensitzen konnte – Danke nochmal dafür!) und wir mussten an vielen Füßen vorbei. Ein Display in der Rückenlehne des Vordersitzes spielte die ganze Zeit Begrüßungsformeln ab, was sich aber auch ausschalten ließ; später wurde klar, dass man sich hier die gesungenen Texte als Untertitel anzeigen lassen konnte, gern auch in andere Sprachen übersetzt. Schicki-schicki.
Und die Musik? Das Geschehen auf der Bühne?
Den Anfang bildete eine typografische Spielerei, die auf einen schwarzen Vorhang projiziert wurde: was zunächst wie ein zufälliges Blinkern von Punkten und Strichen in Morseoptik aussah, entpuppte sich mit der Zeit als pixelzeilenweises Aufflackern und allmählich lesbar werdendes Zitats aus »Warten auf Godot«. Auf das Stück wurde ja auch schon in der Einleitung Bezug genommen, gar nicht nur wegen der zeitlichen Nähe also.
Das Bühnenbild ähnelte dann einem Bahnsteig oder Stadion oder Wartebereich, niedrige Decke mit großen runden Leuchtflächen, im Hintergrund eine Treppe, die nach oben ins Nicht-Sichtbare führt, der Boden mit breiten flachen Stufen und fahrradständerähnlichen Geländern unterteilt.
Am Anfang gleich und auch später noch ein paar putzige Effekte aus der pyro- und tricktechnischen Ecke: selbstentzündende Schuhe, die von selber über die Bühne laufen, brennende Geländerstäbe, fliegende Spazierstöcke, aus dem Mund strömendes Blut. Und die üblichen Taschenspielertricks mit aus dem Ärmel gezogenen Tüchern und dergleichen, aber das ist ja schon eher Handlungsteil, geht es doch schließlich um Überzeugung und Begeisterung der Massen.
Und in Massen standen die Leute tatsächlich auf der Bühne. Was viele choreografische Sachen der Inszenierung besonders stark zur Geltung brachte, die chaotischen oder gleichförmigen Bewegungen, grüppchenweise oder komplett auf eine zentrale Figur hin zentriert.
Angezogen waren die Leute im übrigens mehr oder weniger normal wie du und ich auf der Straße, nur farblich recht zurückhaltend und dadurch etwas einheitlicher. (Kann aber auch sein, dass das durch eine bläuliche Beleuchtung gesteigert wurde, denn zwischendurch änderte sich die Lichtfarbe, und die Unterschiede traten deutlicher hervor.) Nur die Hauptfiguren Moses mit Zylinder und Aron im mintgrünen Sakko stachen heraus.
Tja. Und die Musik. Schostakowitsch und Orff fallen mir ja als wenigstens partiell halbwegs brauchbare Vergleiche ein, was den Klang angeht. Ansonsten wars halt eine Oper, und das pausenlose und hier insbesondere das gleichzeitige Gesinge von vielen unterschiedlichen Stimmen ist nicht so ganz meins. Stellenweise war mir das Chaos also ein wenig zu indifferent. Aber jedesmal gab es dann eine schicke Entwicklung hin zu strukturierterem Klang. Schöne (darf man das Wort verwenden?) stille Passagen gab es, mehrfach auch herrlich krachende. Ein paar Längen hatte es natürlich auch, aber die waren zu verknusen und im dramaturgischen Gesamteindruck sicher sinnvoll. Vor allem aber war das alles gar nicht so nervtötend wie man immer befürchtet, wenn man ganz unbeleckt von Zwölftonmusik reden hört.
Über die Bedeutungsebenen der Inszenierung lasse ich mich hier nicht weiter aus. Zu viel ließe sich hineinlesen und herausdeuten, insbesondere das Ding mit den stereotypischen Puppen, die dann zerfetzt und auf einen Haufen geschmissen werden. Andere Sachen lassen mich dagegen völlig ratlos zurück, wie zum Beispiel das mit der Kamera und den Freud-, Herzl- und Schönberg-Figuren. Bei der Heimfahrt haben wir noch ein bisschen gerätselt und Ideen ausgetauscht.
baoma am 6. Juni 2015
schön haste das beschrieben, anregend wars