Nach der Entdeckung des Post-Metal-Genres habe ich natürlich herausgefunden, dass auch diese Bands ab und zu Konzerte geben. Nicht zuletzt in Berlin. Und mir ein Ticket besorgt. Für ein Konzert von Russian Circles, das ursprünglich schon letzten Herbst stattfinden sollte (auch das war schon die zweite Verschiebung gewesen), aber zum Ticketkauf entschlossen habe ich mich dann doch erst im Winter.
Katharina hab ich nicht überreden können, mitzukommen. Aber mit Emmas Geburtstag hat sie ja eine treffliche Ausrede gehabt, da muss sie ja noch Geschenke einpacken und den Geburtstagstisch vorbereiten und die Blumen und überhaupt, das kann man alles erst am Abend vorher machen, und zwar unbedingt vor Mitternacht. Aber lustig, weil: im Astra war ich ja erst einmal, und zwar direkt am Abend vor Emmas nulltem Geburtstag. Deswegen also nur kurz.
Die Security am Einlass war wieder von der barschen und ungeduldigen Sorte und fing an rumzumaulen, als der Typ vor mir nicht gleich seinen QR-Code parat hatte, während er da durch die Gittergänge auf den Eingang zulief. Abgetastet werden musste man dann auch noch, und ein anderer Typ musste seine Wasserflasche abgeben oder wenigstens leeren, weil sowas natürlich nicht mit auf ein Konzert genommen werden darf. Hallo?
Hinterm Einlass noch der Biergarten, der erstaunlich voll war. Also was man so Garten nennt mitten im RAW-Gelände: Bierbänke auf grauem Kies, Zäune drumrum, von Grün keine Spur. Oder stand doch ein Baum an der Ecke? Nach einem kurzen Blick in die Runde, von dem ich nicht angenommen hatte, dass er auf bekannte Gesichter stoßen würde, bin ich aber gleich rein, hab kurz den Merch inspiziert (alberne T-Shirts und teure Platten) und die Bierpreise (vier Euro für ein kleines Bier!), meine Jacke abgegeben und mir natürlich doch ein Bierchen geholt. War ja so warm draußen. Im Saal fast niemand, in den Vorräumen wenige. Was sich dann aber recht schnell änderte, weil es ja schon auf 20.00 Uhr zuging.
Und kaum hab ich mir – es war schließlich ganz schön warm – ein zweites (kleines) Bier geholt, kam die Vorband schon auf die Bühne: eine mittelamerikanische Indianerin mit schönen Ohrringen am Schlagzeug, eine dicke südamerikanische Mulattin mit wirrem Haar am Bass und ein bärtiger Skandinavier mit langen Haaren an der Gitarre. Rumpelndes tombetontes Schlagzeug, bisschen matschiger, aber immer wieder in schön verzerrten Akkorden bratzelnder Bass, abwechslend riffende und auf hohen Tönen gniedelnde Gitarre, dazu in verschiedenen Kombinationen wechselnder Gesang der drei ganz unterschiedlichen Stimmen – das hatte schon was. Experimenteller Post-Metal mit recht unterschiedlichen Anleihen, stellenweise etwas zäh, die Parts für meinen Geschmack auch nicht immer so richtig gut aufeinander abgestimmt, aber auf jeden Fall was eigenes mit Charme. Gerade die Bandbreite beim Gesang fand ich gut, gutturales Metal-Geschrei vom Gitarristen, von der Schlagzeugerin mal melodiöses, mal rhythmisches von beiden Frauen zusammen, gern auch im Dialog mit dem Gitarristen. Beim dritten Song hat die Schlagzeugerin offenbar ihre Snare zerdroschen, sie hat dann aber nach einer Weile Herumgebastel von hinter der Bühne eine neue zugereicht bekommen. Und mit der Zeit wurde auch der Sound besser. Ich hab beim Zugucken richtig Bock gekriegt, mal wieder Bass zu spielen, am liebsten in so einer lauten Band …
Es gab ziemlich viel Beifall aus dem locker gefüllten Saal, der die Schlagzeugerin offenbar etwas genierte. Erst hinterher hab ich mitgekriegt, dass die das doch schon eine ganze Weile machen und also keine Newcomer mehr sind; wirkte aber immer wieder so.
In der Pause nochmal raus. Aber siehe da, kaum wollte ich aus lauter Langeweile nochmal zu Hause anrufen und angeben, dass es gar nicht so schlecht ist, da sehe ich zwei bekannte Gesichter: Fuchsi und Inge, die zum ersten Mal seit der Pandemie auf einem Konzert sind und sich eigentlich vor den vielen Leuten auf einem Haufen fürchten und zum ersten Mal die Kinder ohne Betreuer zu Hause gelassen haben und also noch etwas nervös die Handys im Auge behalten und dies und das über die Kinder, die Schule, die Konzerte und die Bands zu berichten haben. Und sich anhören müssen, denn ich bin nach den zwei kleinen Bieren mal wieder ungewohnt gesprächig geworden.
Hab ich den Rest des Publikums erwähnt? Alles schwarz gekleidete, gepiercte und tätowierte Band-T-Shirt-Träger, zwischen denen ich mir im eher eleganten dunkelblauen Hemd mit gepunkteltem Blümchenmuster schön als Außenseiter vorkommen durfte. Hätte ich so subkulturell festgelegt gar nicht vermutet.
Als der Biergarten sich immer mehr leerte, sind wir reingegangen. Schnell nochmal zur Getränkerückgabe und dann in den jetzt natürlich sehr vollen Saal. Nach dem ersten Stück wollte ich dann aber als einziger von uns dreien wieder weiter nach vorn, bin aber nicht allzu weit gekommen und halb hinter einer Säule stecken geblieben. Wollte mich nicht vor die ganzen deutlich kleineren Leute stellen und auch ein bisschen Platz um mich drum rum haben. Bisschen nervend waren zwei Reihen vor mir zwei hochgewachsene Kerle, die sich offenbar in Gebärdensprache verständigen und immer wieder gegenseitig bestärken mussten, dass das Konzert wirklich toll sei, obwohl sie ja dadurch nur die Hälfte davon mitbekamen. Aber pö-a-pö konnte ich mich doch ein bisschen Richtung Saalmitte rübermogeln und hab dann alle drei Musiker auf der Bühne sehen können.
Klasse Sound, vor allem das Schlagzeug sehr laut und trocken, offenbar haben sie die vielen Mikros, die sie für Gesang und dritte Instrumente nicht benötigt haben, ans Schlagzeug gepappt und jede Trommel einzeln abgenommen. Bei den riffigen Parts der ganze Saal am Kopfnicken, das Licht auch sehr schön riefenstahlmäßig die Bombastik unterstreichend. Aber leider blieb die Musik – so wie mir das bei dem Genre ja auch auf den Platten immer wieder aufgefallen ist – etwas blutleer. Die Riffs waren geil, die leisen Passagen beeindruckend, die Musiker handwerklich wirklich sehr sauber am Werk, aber es kamen eben keine wirklich wilden Emotion rüber und die Show blieb dadurch ein bisschen kalt. Aber vielleicht soll das ja auch genau so, dann will ich nichts gesagt haben.
Nach dem letzten Stück ging fast sofort das Saallicht und auch dudelige Rausschmeißermusik an, und der um Zugabe buhlende Applaus erstarb. Am Merchandise-Stand wars nun voll, meine Idee, vielleicht doch was von der Vorband mitzunehmen, habe ich also begraben und mich stattdessen an der Garderobe angestellt. Von den anderen zwei war nichts mehr zu sehen, also ab zur Straßenbahn, am Telefon noch kurzer Plausch mit der gerade ins Bett gefallenen Katharina, an allen Döner-Ständen vorbei nach Hause und dort dann aber doch noch eine Käsestulle mampfen. Und bei Signal mitkriegen, dass die eigenen Eltern auch gerade von einem Konzert nach Hause fahren und sie ein Foto vom Vollmond überm Canaletto-Blick posten.