Ich war mutig und bin wirklich erst um acht aus dem Haus gegangen, weil ich ja die letzten Male immer viel zu früh da war. Hab also erst eine Bahn später genommen und war erst kurz nach halb neun da. Vorm Gericht ein Grüppchen Journalisten mit Kamerastativ und Mikrofon, offenbar mal wieder was medienträchtiges. Auch drinnen im Treppensaal weitere Leute mit Kameras und Mikros, zum Teil noch in der Sicherheitsschleuse, zum Teil schon dahinter, ihr Zeug wieder zusammensammelnd und -sortierend.
Bei Fall eins ging es um zwei Fälle von Handel mit (knapp überschrittenen) nicht geringen Mengen von Cannabis. Also neues Gesetz. Die Staatsanwältin war wieder dieselbe wie bei meinem ersten Termin in Februar, sie hat sich ganz am Ende beim Verabschieden auch an mich erinnert, mich aber irgendwie falsch einsortiert, denn ich bin ja gar nicht der Schöffe, der beim BfA arbeitet. Beim kurzen Wortwechsel vor der Verfahrenseröffnung hat sie noch ihre Strafforderungen heruntergeschraubt, weil sie offenbar von falschen oder falschverstandenen Zahlen ausgegangen ist. Und auch die uns Schöffen vorher vom Richter angekündigte und ohnehin schon nicht einschlägige und auch nur sehr geringe Vorstrafe wegen Erschleichung von Leistung und Widerstand gegen Beamte wurde dann vom Anwalt als getilgt moniert, weil mehr als fünf Jahre zurückliegend, wie der neueste Registerauszug bestätigte, der sich in den Akten dann doch noch finden ließ. Der Angeklagte galt also als unbestraft, ist mitten in einer Ausbildung zum Kita-Erzieher, keine Kinder, Fachhochschulreife, lebt von Bürgergeld, hat ein Geständnis abgelegt, ist mit der Einziehung aller Gegenstände einverstanden, hat im Auftrag gehandelt, aber keine Angaben zum Auftraggeber oder dem Ursprung der Drogen gemacht. Konsum von weichen Drogen seit seiner Jugend, jetzt im Zusammenhang mit der Erzieherausbildung aber nicht mehr, er hat wohl seine Ansichten darüber grundlegend geändert. Es kam also Beihilfe in Betracht, ein minderschwerer Fall, zudem die gute Sozialprognose, die Staatsanwältin referierte entsprechend vor allem über die vielen Punkte, die für den Angeklagten sprechen, forderte aber am Ende trotzdem 90 und 150 Tagessätze, summiert zu 180 Tagessätzen (beim Addieren von Einzelstrafen muss das Ergebnis immer niedriger sein als die mathematische Summe) zu je 15 €, dem üblichen Tagessatz für Bürgergeldempfänger. Der Rechtsanwalt plädierte für eine Strafe von unter 100 Tagessätzen, um einen Eintrag ins Führungszeugnis zu vermeiden. Das konnte aber nichts werden, weil auch bei minderschweren Fällen eine Mindeststrafe von drei Monaten gilt, und da hier zwei Taten vorlagen, haben wir Richter uns auf eine Gesamtstrafe von 150 Tagessätzen geeinigt. Zahlung in Raten möglich, die aber mindestens 50 € betragen müssen, schwer zu beurteilen, wie man das vom knapp bemessenen Bürgergeld abknappsen kann. Vielleicht kann die als Publikum anwesende Lebenspartnerin helfen?
In der Pause hab ich uns einen Pappkaffee aus der Cafeteria geholt. Ich war ja wieder dran mit spendieren. Überall im Gebäude wurde gebaut, im Hof schmiss jemand laut polternd Zeug in einen Container, und vor der Cafeteria hämmerte jemand an den Deckenlampen herum. Der Kaffeeautomat in der Cafeteria hat wieder mit der geschäumten Milch herumgespritzt, sodass der Kassierer der Meinung war, das eine wäre aber doch eher nur ein kleiner Cappuccino, hab ich noch ein paar Cent gespart, obwohl eigentlich nur der Schaum gefehlt hat. Danke. Von den Kameras war nichts mehr zu sehen, ich bin also nicht ins Fernsehen gekommen.
Bei Fall zwei ging es um mehrere Fälle von Handel mit nicht geringen Mengen von Kokain. Angeklagt war eine Frau von sechzig Jahren, für die ihr Rechtsanwalt eine Verspätung angekündigt hat: sie habe sich am Morgen krank und nicht verhandlungsfähig gefühlt und sei zum Arzt gegangen, der ihr aber bescheinigt habe, sehr wohl verhandlungsfähig zu sein, und nun sitze sie im Taxi von Pankow zum Kriminalgericht Moabit. Der Richter war bereit, eine Viertelstunde zu warten, erwog aber schon sogenannte Zwangsmaßnahmen. Allgemeines Geplänkel im Saal über das Vertrauensverhältnis von Patient und Hausarzt. Nach einer Viertelstunde war sie immer noch nicht da, der Folgetermin rückte ja auch näher, also erneuter Disput zwischen Richter und Rechtsanwalt über die Einordnung als entschuldigtes oder unentschuldigtes Fehlen: sie sei halt früh zum Arzt gegangen, dort dauert’s eben seine Zeit, und nun sei sie ja schon auf dem Weg, was hätte sie denn noch tun können? Die Verhandlung wurde vertagt, als Nachweis einer Entschuldigung soll die Angeklagte aber wohl einen Attest vorweisen, sonst würden Zwangsmaßnahmen in Erwägung gezogen. Welche? Nach meinem kurzen Bummel durchs Haus habe ich den Rechtsanwalt dann auch wirklich noch mit einer Frau auf einer Bank sitzen sehen, das war wohl nochmal eine Viertelstunde später, und er rief mir gleich zu, ich solle dem Richter doch bitte Bescheid sagen, dass sie noch angekommen sei. Ich dachte erst, spielt doch eh keine Rolle mehr, aber tatsächlich hat der Richter das dann zur Kenntnis genommen, jemand anderes hätte die Frau nämlich noch nicht gesehen, und dass sie überhaupt gekommen sei, war wohl ein wichtiger Umstand, besser spät als gar nicht. Ich habe die Frau übrigens auch gar nicht richtig gesehen, war ja eigentlich schon neugierig, was das wohl für eine Person sei, nachdem ich es hier üblicherweise nur mit jungen Männern zu tun hatte, aber sie saß da zusammengesunken, halb verdeckt vom danebensitzenden Rechtsanwalt, auf einer im Schatten liegenden Bank, den Kopf in die Hände gestützt, die Haare vorm Gesicht, mehr als diese halblangen graumelierten Haare hab ich also gar nicht wahrgenommen.
In der Pause bin ich wie gesagt durchs Gebäude geschlendert und hab in ein paar Gänge und Türme hineingeguckt, die ich noch nicht gesehen hatte. Alles echt schick. Die Kacheln in den Gängen des dritten Stocks haben denselben Braunton und Farbverlauf wie die Kacheln der Kachelöfen früher in der Togliattistraße. Weiter unten sind sie ja so blaugrün bis blau. Aber in allen Etagen gibt es ein paar goldene Quadrate dazwischen. Verschiedenste Bögen, Stuckmuster, Säulen und Treppengeländer. Die Initialen CKG tauchen öfter auf, nicht nur in den Bodenfliesen des Treppensaales, da wollte ich noch gucken, wem die gehören. Irgendwo lief noch einer mit einem Kamerastativ rum, aber Aufnahme war grad nicht. Wieder nicht im Fernsehen. Zurück in den Saal kam ich diesmal durch die Tür, die direkt vom Gang in das Beratungszimmer führt, die Tür zum Saal hatte die Justizbeamtin nämlich wie angekündigt zugeschlossen.
Bei Fall drei ging es um Beihilfe zum Handel mit nicht geringer Menge von Cannabis. (Ein abgetrenntes Verfahren, die Hauptverhandlungen fanden oder finden am Landgericht statt, aber mit dem bisschen Beihilfe wollten die sich da wohl nicht beschäftigen. War das auch der Grund dafür, dass auf einmal eine andere Staatsanwältin auftauchte und den Fall übernahm? Wovon die erste kurz verdutzt war, dann aber die einstündige Pause dankend annahm?) Außerdem war da noch eine geringe Menge synthetischer Drogen, die aber nach Paragraph dingensbummens als nicht so wichtig und überhaupt nicht ausschlaggebend aus dem Verfahren ausgenommen wurden. Es ging also nur noch darum, dass eine junge Frau ein Zimmer ihrer Wohnung einem Mann zur Verfügung gestellt hatte, der dort erhebliche Mengen Cannabis gelagert und portioniert und verpackt hat. Davon hatte sie offenbar Kenntnis, sie hat gesehen, was da in welchen Mengen hin- und hertransportiert wurde und ist ja auch mit einer stattlichen monatlichen Summe dafür bezahlt worden. Laut ihrer eigenen Aussage ging das schon ein knappes Jahr so, das ist ihr dann leider ein bisschen auf die Füße gefallen, denn das Gericht darf den Gewinn aus illegalen Geschäften einziehen, sie muss also für die gesamte Zeit diese Untermiete zurückzahlen. Also nicht zurück, sondern ans Gericht oder wo immer das Geld dann landet. Auszubildende im Gesundheitsbereich, Abitur, keine Kinder, Geständnis und umfangreiche Aussage, Einverständnis der Einziehung, gelegentlicher Konsum seit der Jugend, seit Entzug in der Havelhöhe aber nicht mehr, keine Vorstrafen. Die Staatsanwältin forderte ein reichliches Jahr Haft, ausgesetzt auf zwei Jahre Bewährung (weniger geht nicht), sowie den Einzug des Gewinns, s.o. Der Rechtsanwalt forderte dagegen eine Strafe von unter einem Jahr, so hatte ich mir das ja beim letzten Mal gewünscht, dass die was konkretes und anderes fordern. Wir Richter haben uns aber darauf geeinigt, dass die Forderung der Staatsanwältin der Tat angemessen sei. Staatsanwältin und Rechtsanwalt haben sich bei der Urteilsverkündung zugenickt und den Kopf geschüttelt, legen also offenbar beide keine Berufung ein. Der Richter hat die Angeklagte mit seinen üblichen Worten zur Bewährung ermahnt, in Zukunft die Finger von Drogen jeglicher Art zu lassen und auch sonst keinerlei Straftaten zu begehen. Die Angeklagte sah immer noch so erschrocken aus wie zu Anfang, nickte aber und nahm das Urteil mit Fassung auf.
Hier hatte ich im Nachhinein tatsächlich ein bisschen Bauchschmerzen, was die Einordnung und Bestrafung der Tat angeht. Ist das echt schon Beihilfe? Es hat die Tat unterstützt und gefördert, ja. Aber hätte man die bereitwillige und umfangreiche Aussage nicht doch stärker würdigen können? Zwei Monate mehr oder weniger, auf die Dauer der Bewährung hätte das dann doch keinen Einfluss gehabt, klar. Und es ging schließlich um viele Kilogramm Cannabis, und das regelmäßig und über einen längeren Zeitraum, das kann nicht einfach unter den Tisch fallen. Und auch das viele Geld steht ihr nicht zu, da es ganz offensichtlich keine Untervermietung zum Wohnen war, logo. Hätte ich die Bauchschmerzen auch, wenn da ein gelangweilter junger Mann gesessen hätte? Weiß ich nicht. Aber so geht’s einem halt als Schöffe, da gibt’s lauter Pros, die für die Angeklagten sprechen, aber eben auch lauter Kontras, die was ganz anderes sagen. Drücken wir ihr einfach fest die Daumen, dass der Personalbedarf im Gesundheitswesen groß genug ist, damit ihr dieser Eintrag im Führungszeugnis nicht im Weg steht. Dem Mann aus Fall eins natürlich genauso, die Kitas suchen ja auch alle wie verrückt.
Bei Fall vier ging es um Handel mit nicht geringen Mengen von Kokain. Eingezogen wurden offenbar auch noch Verpackungsmaterial und Feinwaagen und ein Einhandmesser und stattliche Geldsummen und eine geringe Menge Ketamin. Angeklagt war ein Mann, der zur Abwechslung mal nicht geständig war, sondern umfangreiche Erklärungen verlesen ließ, wie die Drogen möglicherweise in sein bzw. das geliehene Auto und in seine Wohnung gekommen seien, als er Besuch vom Bahnhof abgeholt habe und Gäste zu einer Party dagewesen wären und die Besucher dann ihr Gepäck für ein paar Tage bei ihm gelassen hätten, wer ihm das Geld für welche Zwecke und für welche Aufträge überlassen habe und wer in seinem Haushalt wegen einer Diabetes-Erkrankung für das Abwiegen seiner Lebensmittel eine Feinwaage benötige. Der Rechtsanwalt konnte diverse Belege dafür vorweisen, Kopien von ärztlichen Attesten und Kontoauszügen etc., einen Stapel für den Richter und einen für die Staatsanwältin. Der Richter hielt es in dieser Situation für notwendig, die genannten Personen als Zeugen anzuhören, weswegen das Verfahren vertagt werden müsse, da ja bislang noch gar keine Zeugen geladen wurden. Er hat aber dem Angeklagten und seinem Rechtsanwalt erst noch einmal Gelegenheit gegeben, in Ruhe über die möglichen Auswirkungen eines Geständnisses zu beraten, eine Bewährung wurde in Aussicht gestellt, die ohne ein Geständnis nicht in Frage käme. Dafür wollte der Rechtsanwalt ein paar Hausnummern wissen, die er nach kurzem Hin und Her zwischen Richter und Staatsanwältin auch bekam. Es blieb aber dabei, es gäbe weiterhin kein Geständnis, der Angeklagte würde stattdessen ein paar Zeugen für seine Version finden. Damit wurde die Verhandlung ausgesetzt, eine neue Verhandlung findet dann am 26. Juli mit vermutlich anderen Schöffen statt. Wobei, genau den Termin haben wir doch auf der Liste?
Auf dem Zettel vor der Tür zum Saal 138 stand noch ein fünfter Fall, auf unserer Ladung aber nicht. Dabei handelte es sich um eine Fortsetzung, die mit anderen Schöffen begonnen wurde und also auch mit diesen fortgesetzt werden musste, Petra und ich hatten also eher Feierabend als der Rest. Ich hab noch meine gesammelten Zettel zur Berechnungsstelle getragen, dort nochmal durchgesehen, ob alles vollständig ist, den aktuellen Stapel (Antrag auf Entschädigung, Bescheinigung über Verdienstausfall, Anwesenheitsnachweis) mit einer der dort ausliegenden Büroklammern zusammengeheftet und alles zusammen in den großen Briefkasten eingeworfen. Mal sehen, wann das viele Geld bei mir (sieben Euro die Stunde) und bei meinem Arbeitgeber (Gehalt für ausgefallene Zeit) eintrudelt.
Der medienträchtige Fall des Tages war übrigens die Eröffnung eines Verfahrens gegen einen Profi-Tennisspieler, von dem ich noch nie gehört habe und der seine Freundin tätlich angegangen sein soll. Laut den Bildern in den Medien muss das aber in einem anderen Gebäudeteil stattgefunden haben, da war so ein moderner Saal mit schrägen Winkeln und niedriger Decke zu sehen, sowas gibt’s im alten Gebäude A mit Sicherheit nicht.
Krischan am 6. Juni 2024
Zack, schon ist die Entschädigung da, noch nicht mal eine Woche später, und das in Berlin, man glaubt es kaum.
Was gönn ich mir jetzt schönes?