Lauter Zweien

Built to Spill und noch eine Band haben im Bi Nuu gespielt, und diesmal war Katharina sogar mit.

Krischan am

Ja, tatsächlich, wir waren zwei Tage nach den Anschlägen in Paris auf einem Rockkonzert. Die vielen unschuldigen Toten haben mich nicht davon abgehalten. Das tun die noch zahlreicheren und noch unschuldigeren Toten in Syrien, Libanon, Israel, Irak, Afghanistan etc. ja sonst auch nicht. Aber darum solls ja jetzt hier gar nicht gehen.

Meine Eltern waren mal wieder auf einem kurzen Besuch in Berlin, weil sie sich von meinem Onkel den Bundestag zeigen lassen wollten. Der hört demnächst auf da zu arbeiten und wollte die Gelegenheit nochmal nutzen, interessierten Verwandten und Bekannten eine Führung anzubieten. Montag vormittag, das geht für die nicht mehr arbeitende Bevölkerung ja gut zu machen.

Jedenfalls haben wir die Gelegenheit beim Schopfe gepackt und das Konzert von Built to Spill ins Auge gefasst, um nach langer Zeit mal wieder zu zweit zu einem Konzert zu gehen. Das letzte Mal war Chokebore im Festsaal Kreuzberg, oder? Das dürfte jetzt auch schon wieder zwei-drei Jahre her sein. Und ein Blick in die üblichen Setlists hat Katharina auch davon überzeugt, dass da nicht nur das nicht ganz so dolle neue Album gespielt werden wird, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach ein bunter Mix des gesamten Œuvres.

Und jedenfalls hab ich aber viel zu spät dran gedacht, noch Karten zu kaufen, und zwei Wochen vorher war das Ding dann tatsächlich komplett ausverkauft. Obwohl ich ja schon überlegt hatte, dass das Bi Nuu ja vielleicht ganz schön klein ist. Aber andererseits die Band ja hierzulande nicht so übermäßig berühmt ist. Jedenfalls hab ich dann zwar noch zwei Online-Ticket-Shops gefunden, die Karten angeboten haben, bei beiden kam dann aber beizeiten eine E-Mail des Inhalts, dass keine Karten mehr verfügbar seien, so schnell hätte man das nur auf der Website nicht ändern können, tut uns leid, bitte kein Geld schicken. Aber eigentlich begegnet man vor den Clubs doch immer einem Haufen Leuten mit Restkarten. Und einem Haufen Leuten, die noch Karten suchen. Wird schon klappen.

Und richtig: kaum waren wir durch den Nieselregen über die Oberbaumbrücke gelatscht und um die Ecke des U-Bahnhofs an der Skalitzer gebogen, standen schon Grüppchen mit Karten in der Hand herum, und der eine verkaufte mir eine für 20, der andere Katharina eine für 25 Euro, womit wir insgesamt noch 40 Cent vom offiziellen Preis gespart hatten. Hätte der Online-Einkauf geklappt, wäre noch Versand und anderer Kram hinzugekommen, bloß gut, dass das nicht hingehauen hat.

Drin spielte schon eine Band, die sich verdächtig nach Built to Spill anhörte, aber nicht so aussah. Also haben wir uns erstmal in die Schlangen an der Garderobe und an der Bar angestellt und uns danach vorsichtig in den vollen Saal bugsiert. Ein- oder zweieinhalb Songs haben wir noch gesehen, dann war Schluss mit Disco Doom, was, wie mir das Internet am Tag darauf erzählte, eine schweizer Band mit Verflechtung ins Built-to-Spill-Lager ist.

Während der Umbaupause haben wir uns ein bisschen weiter nach vorne gepirscht, ich mit einem Abstecher zur kleineren Bar im Saal, wo ich einige Zeit auf das kleine Carlsberg-Bierchen warten musste, weil u.a. bei der Bezahlung einer vorherigen Bestellung noch drei Cents fehlten. Und dann noch Becher einsortiert werden mussten.

Was ich dann auf der Bühne zunächst für die gelangweilten Neffen beim Anstöpseln der Instrumente hielt, sind in Wirklichkeit die zwei neuen jungen Bandmitglieder an Bass (Jason Albertini) und Schlagzeug (Steve Gere). Sänger (Doug Martsch) und Gitarrist (Jim Roth) sind aber immer noch die alten, auch der dritte Gitarrist (Brett Netson), aber der fehlte an diesem Abend leider, und das war dann auch stellenweise recht deutlich zu hören. Vielleicht lags auch ein bisschen am Sound, der zwischendurch immer wieder recht merkwürdig war, aber an einigen Stellen hat entweder eine Melodie-Gitarre im Vordergrund oder eine Rhythmus-Gitarre im Hintergrund gefehlt, so dass bestimmte Passagen irgendwie und für mich jedenfalls überhaupt nicht funktioniert haben.

Andere Stellen waren dafür aber wirklich herrlich, wenns laut wurde (und es wurde laut), wenn die schönen Sachen aus den späten Neunzigern kamen, wenns leise wurde oder wenn die schrägen Sachen aus den frühen Neunzigern kamen. Oder wenn der Song inklusive Gesang einfach weiterging, während Doug eine gerissene Saite aus der Gitarre entfernte, einen Kulturbeutel öffnete und eine neue Saite heraussuchte und schließlich in Windeseile aufzog.

Das Publikum war im übrigen recht träge. Zwischendurch musste ich neue Biere holen und aufs Klo und bin im Grunde nicht durchgekommen durch die starren Massen. Hinzu gings noch, weil ich von vorne kam vielleicht, aber rückzus war kaum Bewegung in die Leute zu kriegen, ich erntete nur verständnislose Blicke, von wegen da ginge es wirklich und wahrhaftig auf Biegen und Brechen nicht durch. Zwei bärige Bärtige, die besonders felsenfest im Wege standen, haben nach meinem Durchdrängeln noch ein bisschen hinterhergeschubst, aber das kratzt mich ja nicht die Bohne. Und im übrigen war dann da vorne, wo wir standen, erheblich mehr Platz und Luft. Schon komisch.

Nur ganz vorne am Rand standen zwei Hüpfis, von denen einer an den passenden Stellen schlagzeugermäßig die Arme und den Kopf warf, während der andere mehr so nur seinen Kopf herumschleuderte, dass ich jeden Moment mit einer blutigen Kollision rechnete.

Das Dankeschön vor der Zugabe klang glaubwürdig, und dann gab es nochmal ein paar schöne lange Songs auf die Ohren, der grandiose »Broken Chairs« war glaubich der letzte, danach war dann aber endgültig Schluss, ein zweites Mal lassen sich die Herren nicht bitten. Die T-Shirts haben uns nicht gefallen, und ein Absackerbierchen wollten wir lieber um die Ecke im Oberbaumeck nehmen, wo Katharina schon mal war, das ich dagegen bislang nur vom Vorbeifahren kannte und immer schonmal besuchen wollte: eine gute alte linksradikal aussehende Kneipe, wie es sie im Prenzlberg nicht mehr gibt. Da gabs St.-Pauli- und Bullenarsch-Aufkleber, knarrende Türen, schrammelnden Rockabilly und Protopunk, selbstgespaxtes Mobiliar und ein linksradikales Flaschenbier ausm Friedlhain, das Katharina aber nicht geschmeckt hat.

Dafür hat ihr der Burger geschmeckt, den sie sich da unter der U-Bahn noch um Mitternacht gegönnt hat. Die Pommes, die ich in der Zeit aus lauter Nachthunger-Solidarität mitgefuttert habe, waren aber nicht so doll.

Die Straßenbahn zurück hab ich dann wieder mit Münzen bezahlt, weil aus irgendeinem Grund die Handyticket-Bezahlung in der VBB-App nicht funktionieren wollte. Dabei brauchten wir das Kleingeld für diverse Unternehmungen, die in Kita und Schule geplant waren. Also hab ich nochmal Bargeld bei der Sparkasse geholt, das wir durch den Erwerb von Schokolade und Zigarillos im Spätshop schräg gegenüber (der bei uns im Haus hatte schon zu, so spät wars inzwischen) kleingewechselt haben. Noch einen Whiskyrest zum Rauch am offenen Wohnzimmerfenster, einen Schokoriegel aufm Sessel und dann ab unter die Dusche und ins Bett, war ja schon halb zwei, und das in unserem Alter.