Aaaaah, Hysterie!

Oh Gott, jemand hat ein Kind angesprochen! Ein unschuldiges Kind!

Krischan am , 3 Kommentare

Das geht natürlich gar nicht. No-Go! Aber immer der Reihenfolge nach. Die erste Rund-Mail lautete so (Fehler im Original):

Betreff: Verdächtige Person spricht Kinder vor der Schule an

Liebe Eltern,

heute erhielt ich vom Sekretariat der Schule einen Anruf, dass heute morgen 2 Kinder vor der Schule (Winstrasse/Christburger)
von einem Mann auf dem Schulweg angesprochen worden sind.
Sie wurden nach Aussage von Frau ██████ von dem Mann gefragt, ob Sie mitkommen mögen.

Die Polizei wurde umgehend von der Schule informiert. Herr ██████ von der Polizei, der die Verkersschulung an unserer Schule durchführt war heute auch an der Schule und hat den Fall aufgenommen.

Einige Klassen wurden heute noch einmal von den Lehrern sensibilisiert.

Bitte sprecht mir Euren Kindern ebenso.

Die Schule bat mich Euchzu informieren.
Sobald es neue Informationen gibt, leite ich Euch die Informationen weiter.

Bite leitet die Informationen an Eure Klassen weiter.

Beste Grüße ████████

Vor Jahren gab es ja schonmal eine ähnliche Mail, die fünffach weitergeleitete Schreckensmeldungen zweifelhaften Ursprungs verbreitete, worauf dann gleich alle hyperventiliert haben. Die heile Welt des Prenzlbergs war bedroht, die Helikoptermütter noch stärker gefordert. Aber mal ehrlich: soll ich mein Kind einschließen, um es vor der bösen Welt da draußen zu schützen? Zur Schule begleiten, damit es sich in Grund und Boden schämt? Nochmal wiederholen, was in der Kita und auch in der Schule über solche Fälle besprochen wurde, und damit hatte sichs für uns. Und mehr war ja auch nicht gefordert, ich gebs zu.

Und inzwischen sind die Kinder ja auch schon älter. Trotzdem haben aber selbst Eltern, die ich noch für vergleichsweise cool und entspannt gehalten habe, ihre fast zehnjährigen Kinder nicht mehr alleine rumlaufen lassen, sondern überall abgeholt. Na gut, konkret eine Mutter, deren Sohn immer total verschlurft ist (was natürlich nichts mit der Mutter zu tun haben muss, aber sie ist schon deutlich weniger kapriziös als der Rest des distinguierten Winsviertelklientels), hat ihren Sohn nach seinem Besuch bei Juri abends bei uns abgeholt, damit er nicht in der Dämmerung alleine den Weg laufen muss, den er sonst auch alleine schafft, ohne gefressen zu werden. Dabei wusste er viel besser als Juri, wie man sich in solchen Situationen verhalten soll, das hatten wir beim Abendbrot dann doch nochmal kurz angeschnitten. Aber die Mutter hält ihn halt für zu gutgläubig und macht sich Sorgen, was will man da machen?

Ein paar Wochen später (!) die zweite Rund-Mail (Fehler auch hier im Original):

Betreff: ENTWARNUNG: Verdächtige Person spricht Kinder vor der Schule an

Liebe Eltern,

nach Informationen der Schule hat sich der Fall aufgeklärt.

Es war ein Mißverständnis zwischen einem Vater der Schule und einem Kind der Schule.
Es ging darum wer den den Vortritt hat beim Passieren einer Engstelle auf dem Gehweg..

Zum Glück nichts Ernstes.

Aber es schadet ja nicht, die Aufmerksamkeit der Kinder zu schärfen.

Bitte leitet die Nachricht an die Eltern eurer Klassen weiter.

Vielen Dank.

Liebe Grüße
████████

Der knallvolle Fußweg vor einer Schule am Morgen kurz vor Unterrichtsbeginn, wo man als Fußgänger seine liebe Not hat, sich einen Weg durch die hirnlose und wie ferngesteuerte Herde zu bahnen, die alles unschülerige und in andere Richtungen laufende ignoriert, da hilft auch die Begleitung der erstaunlich vielen Elterntiere nicht – ich kenne und liebe das, wenn ich auf dem Weg zur Arbeit halb bis kurz vor acht an zwei Schulen vorbeikomme –: das ist ja auch wirklich und erwartungsgemäß genau die Situation, in der die Kinderfänger aktiv werden.

Ob jetzt jemand was und wenn ja, was dann genau aus diesem als Missverständnis getarnten postfaktischen Emotions-Szenario lernt, da bin ich ja mindestens skeptisch. Sieht man ja schon an der letzten E-Mail: der Betreff sagt zwar noch »Entwarnung«, der Text relativiert dann aber nur noch (was vorgefallen ist, war nicht schlicht gar nichts, sondern lediglich »nichts ernstes«) und freut sich über die wie nebenbei erfolgte Schärfung der Aufmerksamkeit. Gemeint ist dabei aber offenbar viel eher die ängstliche Aufmerksamkeit bei der Suche nach Kinderfängern hinter jedem Laternenpfahl, und nicht das aufmerksame Zuhören und Verstehen, wenn jemand etwas zu einem sagt. Oder wenigstens das richtige Erinnern und Wiedergeben, denn vermutlich entstand das »Missverständnis« ja erst zwischen Kindern und Lehrern. Die Kette der stillen Post war jedenfalls etwas länger.

Im Zweifelsfall werden die Kinder also auch weiterhin mit dem Auto bis vor die Klassenzimmertür gefahren und nach Schulschluss in AGs und Vereine und Kurse gekarrt, wo immer ausreichend Erwachsene zugegen sind. Aber unverdächtige. Was, wie man neulich wieder lesen konnte, u.a. zur Folge hat, dass einige Schulen ihre Schülerlotsen zurückziehen, weil die von den vielen und zum Teil rücksichtslosen Autofahrern arg gefährdet werden … aber schön, dass endlich mal jemand an die Kinder denkt.

Krischan am 30. März 2017

Meine Frau korrigiert mich gerade: »das war ja noch viel besser: ██████ hat ███ nicht in der dämmerung abgeholt, sondern samstag vormittag!«

baoma am 7. April 2017

und in 10 jahren wundern sich die eltern dann, dass das kind noch so unselbständig ist und nicht weiß wie und was werden soll …

Krischan am 4. März 2019

Das hört übrigens nicht einfach so wieder von alleine auf: in der neuesten E-Mail mit Nachrichten aus der Elternvertretung heißt es wortwörtlich:

»wenn Kinder außerhalb der Schule angesprochen wurden, müssen die Eltern sofort die Polizei informieren und Anzeige erstatten; auch der Klassenlehrerin oder Frau Rosenthal melden; Polizei ist sehr sensibilisiert«

Ich gehe natürlich gutwillig davon aus, dass damit nicht das bloße Ansprechen gemeint ist, aber die Grundeinstellung der hiesigen Helikoptereltern ist ja bekannt.

Dabei war das neulich schon Thema eines Rundbriefes des Direktors, der sehr darum bemüht war, die Wogen zu glätten, da es für diese Schule ja gar keine konkreten Gefährdungen, Vorkommnisse oder ähnliches gäbe (»Die Verunsicherung und Panikmache kann dazu führen, dass Kinder mit großer Fantasie und Angst ihre Wahrnehmungen darauf einstellen und die Realität umdeuten.«), aber das empfand dann die Elternvertretung beim Weiterleiten auch sofort und unverhohlen manipulativ als »wenig gelungen« und »durchaus missverständlich«. (Ich will aber nicht ausschließen, dass sich das auf andere Weise und/oder auf andere Teile des Briefes bezog.)