Ich wollte doch noch was zum Sandow-Konzert schreiben, bei dem die Band vor zwei Wochen in der Volksbühne ihr 35-jähriges Jubiläum gefeiert und ihre neue Platte vorgestellt hat und ich das erste Mal in meinem Leben von meinem Sohn begleitet wurde.
Hätte ich nicht schon Wochen vorher online die Tickets gekauft, wäre der Besuch vielleicht ins Wasser gefallen, denn die Berliner Erkältungswelle ist auch an mir nicht ganz folgenlos vorbeigegangen. Aus denselben Gründen hatte ich aber neulich schon das Quicksand-Konzert verpasst und mich hinterher mächtig geärgert, also hab ich diesmal die Zähne zusammengebissen, mich nochmal einen Tag zu Hause ausgeruht, um meine kranke Tochter zu pflegen, die in Wirklichkeit mit meiner Mutter einen Bummel durch Berlins Museen unternommen hat, und nach dem Abendbrot haben wir uns auf den Weg durch die Kälte zum Rosa-Luxemburg-Platz gemacht.
Juri war sich gar nicht sicher, ob er schonmal in der Volksbühne war, mit der Schule sind sie ja oft kulturell unterwegs, ich hingegen war mir sicher, dort mindestens schon bei Thurston Moore und einem Ost-Punk-Festival gewesen zu sein.
Der Einlass mit den ebenfalls zum ersten Mal nicht ausgedruckten, sondern nur auf dem Handybildschirm präsentierten Tickets war kein Problem, wir bekamen bunte Bändchen ums Handgelenk geklebt und haben unsere Jacken abgegeben. Im schicken Vorraum stand ein DJ, den ich aus dem Plattenladen zu kennen glaubte, der früher mal auf der Prenzlauer Allee (und noch vorher auf der Rykestraße) war und leider einem E-Zigaretten-Liquid-Laden weichen musste. Die abgespielte Musik war eine unspezifische Mischung aus Pop und Rock und Elektro, erkannt habe ich irgendwann ein Lied von The Fall, das ich von Sonic Youth kenne.
Bevor es ganz voll wurde, haben wir uns einen Sitzplatz in der hinteren Mitte gesucht. Als die Leute vor mir meinen Fuß in ihren Sitz eingeklemmt haben, fielen auch kurz ein paar Bemerkungen zu Juri und seinem Alter, die Frage nach dem Sandow-Fan verneinte er aber ehrlicherweise, was für Irritationen sorgte. Dass ich selbst auch kein Sandow-Fan bin, die Band aber für ganz interessant halte und vor allem hielt, ließ ich unerwähnt, ich wollte mich ja nicht über Spitzfindigkeiten unterhalten, sondern musikalisch unterhalten werden.
Es ging dann relativ pünktlich los, aber mit einem Vorprogramm, das so gar nicht passen wollte: Ein Typ mit Schlagzeug und etlichen Knöppchen, der offenbar keine Band gefunden hat und also mit Laptop und Synthesizer zusammenspielen muss. Vier oder fünfmal hat er dasselbe Schema abgespult, das ihm selber bestimmt einigen Spaß macht, dem Zuhörer aber schon nach wenigen Minuten zum Halse raushängt: ein paar Voreinstellungen für Sounds, Einstieg mit den Becken, mehr Sounds, dann das ganze Schlagzeug, irgendwann Break und neue Sounds und alles mit leichter Änderung von vorn. Als Drummer war er gar nicht so schlecht, und natürlich fetzt das so ganz alleine nicht, aber mit all dem Gebrumme und Gezische wirds auch nicht besser. Wie der hieß, hab ich übrigens nicht mitgekriegt, und dass er sich immer so komisch übertrieben bedankt hat, als würde er sich selber ganz toll finden, hat ihn mir auch nicht sympathischer gemacht.
Danach tauchten etliche Bühnentechniker auf, die die kleine Zusatzbühne umständlich eingepackt und weggerollt haben, und dann kamen beizeiten die Sandower Herren dran. Gespielt haben sie wohl im Wesentlichen Sachen vom neuen Album, ich kannte zumindest nichts von dem Zeug, habe allerdings auch nicht alles Material der letzten Jahre vorliegen. Die Bühnenrückwand wurde fleißig für Videoprojektionen verwendet, die es für jedes einzelne Lied gab. Das Thema der Weltreisen ließ sich zum Teil auch da ablesen, und was zu gucken gabs auch, denn allzu unterhaltsam ist es ja dann doch nicht, vier Herren beim Musizieren zu beobachten.
Der Sound war am Anfang ein bisschen dumpf, wurde aber schnell besser. Die Musik war mir deutlich zu poppig, erst ganz am Ende bei der zweiten Zugabe kamen ältere Stücke: »Tour de Lose« und als Abschluss »Factory«. Gäste hatten sie etliche da, vor allem Kai-Uwes Frau Momo, die mit zwei anderen Frauen regelmäßig als Background-Sängerin oder Sprecherin von Theater-/Hörspieltexten auftrat. Außerdem trat noch eine Frau Kohlschmidt in Erscheinung, die ich für eine Tochter zu halten gewillt bin, sowie ein Theremin-Spieler und der Sänger von Keimzeit.
Und das Fernsehen war da, der RBB, hat aber mit seiner Kamera, seinem Ansager und seinem Licht nur ganz am Anfang, ganz vorne an der Seite und nur ganz kurz fast gar nicht gestört.
Herr Kohlschmidt ist mir irgendwie nicht mehr so richtig sympathisch, das hatte sich auch schon bei der Sichtung der im Vorfeld des Konzerts angelaufenen Kampagne im Internet angedeutet, wo es etliche Videoschnipsel von Interviews zu begucken gab. Seine suchende Jugendlichkeit ist einer bräsigen Selbstgewissheit gewichen, die mich geradezu abstößt. Dabei ist es doch eigentlich ganz schön, dass er jetzt Erfolg mit seinem Tun hat, siehe auch Filmmusiken für Polizeiruf und Tatort. Aber ich kann eben auch nicht ganz ermessen, wo die Ironie aufhört und die Doppelbödigkeit anfängt, wenn er einen Toast auf die ruhmreiche Sowjetarmee ausbringt, die uns vom Hitler-Faschismus befreit hat. Seine beiden anderen Toasts, für die sorgsam abgezählte Schnapsgläser bereitstanden, galten ganz konventionell der Band und der Crew, getrunken hat er immer allein.
An die Musik kann ich mich leider kaum noch konkret erinnern. Im Grunde war es wie schon bei der Platte, die ich kürzlich erstanden habe: schicke Stellen, schicke Rhythmen, schicke Sounds und Harmonien, nicht zuviel Melodie, keine Fröhlichkeit, immer wieder auch schicke leise Passagen, der Backgroundgesang passend, die Elektronik nicht zu vordergründig, eigentlich alles gut. Aber es hat mich nicht begeistert. Es ist eben alles doch wieder auch ein Stück neuer, moderner, wieder ein Stück weiter auf dem Weg in Richtung Pop vorangekommen, zu unverständlich und/oder beliebig die Texte, zu wenig krachig die Gitarren, akademischer Fatalismus statt Wut/Blut/Mut, letztlich einfach zu selbstverliebt.
Oder lag es nur an meiner Erkältung? Daran, dass ich keins der Lieder kannte? Dass ich in meinem Alter nicht mehr in der Lage bin, mit unbekanntem umzugehen? Lag es an der zu hohen Erwartung daran, wie sich so ein erster Konzertabend mit dem Sohn anfühlen müsste? Waren es die Sitzplätze im Theatersaal? Zu wenig Bier? Jedenfalls hats mich dann beizeiten gelangweilt, das ewig gleiche Darkwave-Pop-Gedudel mit dem eindringlichen Sprechgesang, und auch Juri fing schon an, öfter auf die Uhr zu sehen, so dass wir kurz vor dem letzten Lied geflüchtet sind. Im Vorraum gabs noch Bierchen und Limonade, den Rückweg haben wir uns zu Fuß zugemutet, um in der Kälte nicht ewig auf Straßenbahnen warten zu müssen, wo der Weg doch ohnehin nur zwei Kilometer weit ist, und zu Hause war sogar noch die neugierige Kindsmutter wach.
Ich werd mir die neue Platte einfach trotzdem mal kaufen und ganz in Ruhe nachhören, was das alles eigentlich soll und ob das noch was mit mir zu tun hat.