Ja Mensch: Sandow. Neubauviertel in Cottbus. Und eine der wichtigsten Bands aus der ehemaligen Ex-DDR von früher. Während der Wende bekannt geworden und auch bei mir sehr beliebt gewesen. Zunächst mit fröhlichem Pop-Punk, der aber beizeiten in Richtung Art-Punk mit Industrial-Anleihen abbog, düstere Texte und Theater-Allüren zu einem ostdeutschen Einstürzende-Neubauten-Gegenpol vereinend.
Und irgendwann hab ich sie aus den Augen verloren. Als in den Neunzigern das neue Album »Anschlag« rauskam, das mir so gar nicht gefiel. Irgendwie passierte da zuviel auf einmal, der Groove war verloren gegangen, das war nur noch so Kunst, die mir nichts mehr gab, die ich nicht verstanden hab. So meine Erinnerung. Mein Geschmack war vielleicht auch inzwischen ganz woanders. Obwohl mir die Platten davor ja noch gut gefielen. »Fatalia« und noch mehr »Der 13. Ton« hab ich mir oft und gerne angehört. Aber irgendwie hatte sich die Band dann für mich erledigt.
Und nun war ich mal wieder im Internet auf der Suche nach digitalen Versionen meiner Platten und bin auf die neuen Sachen gestoßen und habe gestaunt und Gefallen gefunden. Und entdeckt, dass es neuerdings diese Doppelplatte gibt mit einem Album und einer EP, die es Ende der Neunziger nur auf CD gab. (Die »Fatalia« gibt es ja auch auf Vinyl, hab ich gesehen, aber nur gebraucht für viel Geld.)
Die Musik ist dann zum Großteil gar nicht so anders als auf den genannten Alben. Einflüsse aus der Theater- und Hörspielmusik, die immer schon Teil von Sandow war und mit der sich Herr Kohlschmidt heute wohl vorrangig seine Brötchen verdient, sind nicht zu verkennen und in Reinform ja auf »Känguru« auch in meinem Plattenregal bereits vertreten. Dazu passen auch die nach wie vor in unverständlichen oder mehrdeutigen Sphären schwebenden Texte voll Düsternis und Mystik und bildungsbürgerlichen Anspielungen. Neu sind die elektronischen Elemente, die aber ohne allzu dumpfe Disko-Beats auskommen.
Und neu ist auch der Gesang. Das einzige, an das ich mich vielleicht noch gewöhnen muss. Das typische angeekelte, die Mundwinkel nach unten ziehende und die Oberlippe nach oben wölbende Ausspucken der Zeilen ist leiser geworden, dafür aber deutlicher nach vorne und gern auch in mehreren Schichten in den Mittelpunkt gemischt. Was ich ja immer doof finde, weil es die lauten Gitarren in den Hintergrund schiebt, was ja schlicht Unsinn ist. Aber das ist letztlich auch nur ein studiotechnischer Aspekt, kein musikalischer.
Die Parallelen zu den Neubauten sind hier wirklich mit Händen zu greifen, vor allem bei Stücken, in denen weniger gesungen als Prosa verlesen wird, dazu dann nur untermalender Bass und ein paar industrielle Geräusche. Aber auch andere Parallelen sind zu entdecken, postrockige Passagen, sonicyouthsches Genoise, rammsteiniges Gehämmer.
Den Wende-Hit »Born In The GDR« gibt es noch einmal in einer neuen Version, die sich laut Internet deutlicher von einer fehlinterpretierten Nostalgie distanzieren will. Die hymnische Drei-Töne-Sirenen-Melodie ist noch erkennbar, der Refrain auch ein wenig, der Rest ist aber komischer Disko-Agit-Pop geworden, vielleicht ein bisschen eine Laibach-Kopie, die kenn ich gar nicht so, jedenfalls aber kein Rock mehr, sondern irgendwas ganz anderes, Industrial vielleicht, oder EBM, ich kenn mich mit den Genres nicht mehr so aus, es erinnert auch ziemlich an Rammstein, wenn ich da nicht falsch verdrahtet bin, harte Beats und martialisches R-Gerolle und Massengejubel und Fanfaren, herrje … Ich bin alt genug, um sagen zu dürfen: das Original find ich besser.
Die Grafiken auf dem Cover sind wie gehabt von Hans Scheuerecker, der ja auch schon den Kopf gezeichnet hat, der quasi als Bandlogo fungiert. Das scheint eine auf Dauer angelegte Kooperation zu sein, oder gibt es eine Platte ohne sein Artwork?
Ja, und neulich ist eine ganz neue Platte von Sandow rausgekommen. Die Band hatte sich zwar Ende der Neunziger aufgelöst, später aber wieder zusammengefunden und spielt inzwischen wieder in Originalbesetzung. Werd ich mir mal auch noch antun.
Tracks
- Europa
- Nebel
- Sirenen
- Mutatio
- Tal Der Toten
- Bulgarien 1
- Anschlag-Ouvertüre
- Raum Aller Dinge
- Neue Nebel
- Mercedola
- Stille
- Für Immer
- Musa
- Born In The GDR