Nicht lausig, aber kurz

Ursprünglich sollte Shellac schon vor fast genau einem Jahr spielen.

Krischan am

Im Spätherbst 2020 haben wir die Tickets gekauft, im Mai 2021 sollte das Konzert stattfinden, nun wars erst dieses Jahr soweit. Weil letztes Jahr war ja Corona, und dieses Jahr aber nicht mehr.

Auf der Rückfahrt vom Schwiegermutterbesuch in Dresden hatten wir schon leichten Bammel, dass wir den Anfang verpassen, weil auf den letzten Kilometern der Verkehr immer dichter und zähflüssiger und schließlich stockend wurde. Aber es sollte ja eine Vorband geben, meinte Katharina, die könne man ja ruhig verpassen. Dem wollte ich nicht so ganz zustimmen, aber ein bisschen ruhiger macht einen das in so einer Situation dann schon. Als zwischen den vereinzelten Motorrädern dann auch ein Auto durch die Rettungsgasse fuhr … nee-nee! So nicht.

Jedenfalls war nicht viel Zeit zum Abendbrot zwischen Nach-hause-kommen und Umziehen und Losgehen, aber so ein Schwiegermutterbesuch hinterlässt einen ja nicht übermäßig hungrig. Auf die nächste Straßenbahn hätten wir acht Minuten warten sollen, eine S-Bahn ist uns vor der Nase weggefahren und die nächste ließ tatsächlich mehr als drei Minuten auf sich warten. Aber trotzdem ist man ja in Nullkommanix in Treptow und am Festsaal angekommen. Draußen einige Leute, aber keine bekannten Gesichter, drinnen einige Leute, aber keine bekannten Gesichter. Auf dem unbemannten Tisch für den Merchandise-Stand liegen eine LP und eine CD der Vorband, sonst nix. Aber dass es für Shellac (ähnlich wie für Fugazi z.B.) keinen Merch gibt, hatte ich schon geahnt. Es geht schließlich um die Musik, und nicht ums Geld-verdienen.

Die Vorband mit dem merkwürdigen Namen hat erwartungsgemäß relativ pünktlich angefangen, und das beeindruckendste war eigentlich die Ton-Bild-Schere der vier Franzosen: südländisch wirkende Gitarristin mit schwarzem Pagenschnitt und blauem Kleid mit Glitzer, stoppelbärtiger Gitarrist mit zauseligen Haaren im naturverbundenen roten Leinenhemd, wuschelköpfiger Bassist mit Fünftagebart, sportive Schlagzeugerin mit pflegeleichter mittelgescheitelter dunkelblonder Fönfrisur – da erwarte ich was folkiges, poppiges, gefälliges, hübsche Melodien und eingängige Rhythmen in überraschungsarmer Harmonie. Die Musik war dann aber eine tatsächlich interessante Mischung aus diversen Stilen der alternativen Neunziger, bisschen Gitarrenpop, bisschen Noise-Rock, bisschen Alternative-Rock und Post-Hardcore, und alle vier singen abwechselnd oder nacheinander oder gleichzeitig oder von allem etwas. Da passt keine Schublade, und trotzdem werden verschiedene Genres immer wieder bedient und dann doch unterlaufen und verbogen und auf neue Art miteinander verwoben. Und man versteht fast kein Wort.

Nach etwa einer halben Stunde waren sie schon fertig, und dass wir uns da vielleicht doch die Platte holen, war beschlossene Sache. Inzwischen war es voll, das hatte ich nicht unbedingt erwartet, war aber auch nicht weiter verwunderlich. Allzu viele werden die Band nicht kennen, aber für die Kenner ist sie dann eine wichtige Größe, und da sie nur selten mal auf Tour geht und noch seltener bis nach Europa kommt, werden sie dann wohl alle gekommen sein. Stilistisch und altersmäßig war das Publikum aber nicht so festgelegt wie bei den letzten Konzerten.

Die Herren Shellac sind seit dem letzten Konzert im Maria am Ostbahnhof – Wie lange ist das schon wieder her? Waren schon Kinder da? – noch ein Stückchen älter geworden, aber der Schlagzeuger sah damals schon aus wie ein durch Drogensucht ausgemergelter Rockstar mit alberner Frisur, der Bassist wie ein etwas dicklich gewordener Geografielehrer mit nicht ganz halblangen Locken, und der Sänger und Gitarrist wie ein leicht aufgeschwemmter bebrillter wissenschaftlicher Mitarbeiter der Informatik-Fakultät.

Der Schlagzeuger hebt die Sticks an den ausgestreckten Armen in die Höhe, lässt sie nach einigen Momenten herunterfallen, und die Band kracht los wie aufgezogen. Da sind drei Profis am Werk, die so dermaßen gut zusammenspielen, dass es kaum zu glauben ist. Die Arbeit als Tontechniker im eigenen Studio (Steve Albinis und wohl auch Bob Westons eigentlicher Beruf) kann damit nicht so sehr viel zu tun haben, wird aber dafür den hervorragenden Sound des Konzerts beeinflusst haben. Die aluminiumbehalsten Instrumente liefern natürlich auch gestochene Höhen, und zu dritt muss man sich auch nicht gegenseitig übertönen, aber trotzdem.

Hier könnte eigentlich ein Video hin.

Neben altbekannten Stücken auch ein paar mir unbekannte, die aber auch nicht anders klangen. Zwischendurch zweimal Fragerunde: das Publikum wurde aufgefordert Fragen zu stellen, die dann mit Ironie und Bissigkeit beantwortet wurden. Zwischenrufer wurden zurechtgewiesen, und kurz vor Ende gab es noch eine Moralpredigt über den Unterschied der Verbundenheit mit den Leuten beim direkten Beisammensein im Club und der am Arsch vorbeien Egaligkeit unsichtbarer Massen beim Blick aus dem Flugzeugfenster und was das wohl mit einem Bomber-Piloten macht, der den Finger am Knopf hat. Warum da so viel gelacht wurde, weiß ich nicht, was daran die tiefschürfende philosophische Erkenntnis sein soll, aber auch nicht.

Die Ankündigung, dass danach nur noch zwei Songs kommen, war aber offenbar ernst gemeint, denn sofort nach Ende des letzten fing der Schlagzeuger an, sein Set auseinanderzuschrauben, der Bassist holte seinen Gitarrenkoffer und fing an einzupacken und die Techniker strömten auf die Bühne und nach einer Weile des Applauses und Gepfeifes um Zugabe fing auch dämliche Musik an, aus den Boxen zu dudeln. Also doch kein Witz. Ein Blick auf die Uhr: um zehn. Schönes Konzert, die Band hatte Bock, das Publikum Spaß, mein Lieblingssong kam als vorletztes Stück auch noch, aber das solls jetzt auf einmal schon gewesen sein? Frechigkeit.

Katharina hat also noch die Platte der Vorband geholt, während ich mich am Tresen angestellt habe, um die Pfandbecher wieder loszuwerden, und dann haben wir uns in die Kreuzberger Nacht gestürzt. Nee, wir waren nur mal wieder im Oberbaumeck, ein Bierchen zischen. Oder zwei. Und danach noch einen Halloumi holen und ab nach Hause. Auf dem Weg zur Straßenbahn hat ein Klohäuschen eine Münze verschluckt und Katharina trotzdem nicht reingelassen, da musste sie dann warten und wir sind schon am Arnsi ausgestiegen und irgendeine Stelle der Wiese wurde wohl unsachgemäß gegossen, ich weiß es nicht, ich war im dortigen für Männer unfairerweise kostenlosen Klohäuschen.