Dinosaurier der Jüngere

Ich war mal wieder in der Columbiahalle.

Krischan am

Und alle anderen waren auch da. Denn Tante J und Wuschel-Lou und der glatzköpfige Murph haben eingeladen.

Naja. Alle natürlich nicht. Irgendwer schwänzt ja immer oder hat besseres zu tun oder gar wichtigeres. Oder keine Lust. Nu, das muss dann schon jeder selber wissen. Ich hab mich ja auch erst einen Tag vorher entschlossen, die siebzig Mark rüberwachsen zu lassen, die sowas heutzutage kostet. Weil die Musiker ja nicht mehr an den Platten verdienen und die Tour nur als eine Art Marketing abhalten, sondern jetzt umgedreht nur durch die Konzerte an Geld kommen, für die dann begleitend naja-na-gut-naja auch Liedersammlungen veröffentlicht werden. Weil sich die Leute ja ihre Musik nicht mehr kaufen, sondern nur noch aus dem Internet herunterladen. Beziehungsweise noch nicht mal das, sondern das Zeug stattdessen als anfangs- und endlosen Stream empfangen, für den sie dann pausenlos Internet brauchen und der mit einer regelmäßigen pauschalen Miete bezahlt werden muss, und nicht mit einer Einmalzahlung für was ganz konkretes, das man sich selbst ausgesucht hat. Wo war ich stehen geblieben? Bei den Kosten. Warum dann die Platten auch immer teurer werden und kaum noch für unter fünfzig Mark zu haben sind, ist damit aber noch nicht geklärt. Oder sinds einfach die niedrigen Produktionszahlen? Na gut.

Jedenfalls bin ich nach einem schnellen Abendbrot in die S-Bahn gestiegen und habe dann dort erst genauer nachgeguckt, wie denn die Einlass- und Veranstaltungsuhrzeiten denn genau aussehen und wurde sofort etwas nervös, weil Einlass schon halb sieben und Beginn für um acht angekündigt war. Und ich mir die weitere Strecke mit Ring- und U-Bahn ausgesucht hatte, weil die mir von einem Algorithmus so empfohlen wurde und ja auch zuverlässiger und enger getaktet bedient wird als die immer im Stau stehenden Busse oder die durch Baustellen verkomplizierte Linienführung der Straßenbahn um den Alex herum. Und von Vorband war auch nirgends was zu lesen. Und heutzutage fangen die doch alle so pünktlich an. Herrje.

Dann lief es aber doch recht flott. Um das Tempelhofer Feld herum hats ziemlich gedauert, und beim Umsteigen in die U-Bahn ist mir auch eine Bahn genau vor der Nase weggefahren, nicht zuletzt weil ich dank der vielen Treppen, Ecken und Kurven die Übersicht über die Richtung verloren hatte und dachte, ich muss die Bahn auf der rechten Seite nehmen, obwohl da ja gut lesbar »Alt-Mariendorf« dranstand. Seis drum, am Platz der Luftbrücke stiegen viele Leute aus und liefen alle in dieselbe Richtung vor mir her, vielleicht weil auch im Columbia-Theater ein Konzert sein sollte.

Auf halben Wege ein fliegender Händler mit Bier und anderem Vorglühkram, für den ich aber keine Zeit zu haben glaubte. Und vor der Columbiahalle viel Publikum und immer wieder Leute, die mir ihre übrigen oder extra fürs Weiterverkaufen besorgten Tickets anbieten wollten. Und genau vorm Club die zwei erwarteten Hinterköpfe von Axel und Klaus, die sich freilich überhaupt nicht wunderten, dass ich da auf einmal auftauchte.

Dann aber rein. Von meinem nicht ausgedruckten PDF sollte nicht der kleine QR-Code in der unteren Ecke, sondern der längere Strichcode weiter oben eingelesen werden. Klappt. Die anderen waren gleich auf der Suche nach was zu futtern, die hatten wohl kein heimeliges Familien-Abendbrot, soso. Aber außer völlig überteuerter Brezeln war da nicht viel, das hat man dann davon, wenn man kein Spießer sein will. Oder sind sie direkt vom Büro aus gekommen? Ich habe dafür am hinteren Ende des linken Tresens eine freie Zapferin gefunden, die mir flugs ein Bierchen veräußert hat, das zwar Berliner hieß, aber irgendwie nach schlechtem alkoholfreiem Pils norddeutscher Brauart schmeckte. Hm.

Die Vorband spielte natürlich schon. Stellenweise klang das schon ganz schick, so ein bisschen noisig, ein bisschen postrockig kam mir das mit halbem Ohr vor. Beim genaueren Begucken musste ich aber leider feststellen, dass das soundmäßig ziemlich übel war, vielleicht wegen der kleinen Fender-Verstärker direkt hinter den Knien der Gitarristen. Zwei mittelamerikanische Indianer (es sind Japaner) an Gitarre und Drums standen bzw. saßen da vor der Verstärker-Wand der Hauptband, außerdem drei US-amerikanische Hippies: ein albern hingebungsvoll wackelnder Wuschelkopp an der Gitarre, ein langhaariger Bassist in Jeans in der Mitte, und ganz links ein westernmäßiger Basecap-und-lange-Haare-Kombinator am Keyboard. Irgendwann haben sie auch gesagt, wie sie heißen, aber das war schwer zu verstehen. Und die T-Shirt-Beschriftungen halfen auch nicht. Später wurde es dann vom Sound her allmählich besser, und auch die Musik pendelte sich irgendwo zwischen Built To Spill und Motorpsycho ein. Auch Genesis wurde von meinen Nachbarn ins Feld geführt, was ich mangels Kenntnis nicht bestätigen konnte, aber irgendsoein althergebrachter Standardrock wars eben zwischendurch immer wieder. Nicht ganz schlecht also, aber eben doch auch ein bisschen peinlich.

In der Pause schnell Bier nachfüllen lassen und neuen Stellplatz suchen. Bisschen weiter vorn, bisschen mehr in der Mitte. Und es füllte sich tatsächlich noch ein bisschen. Vorher war es ja erstaunlich leer für meine Erwartung an die großen Helden der Neunziger, die zwar nicht meine persönliche Lieblingsband sind, aber als Meilenstein der Musikgeschichte doch eine wesentliche Rolle spielen. Aber verkaufsmäßig waren sie ja wohl doch nicht so der Bringer für das Major-Label, bei dem sie so lange waren. Die Galerie war jedenfalls nicht offen, alles musste unten reinpassen, und da füllte es sich dann doch. Natürlich fanden sich noch zwei Riesen, die sich direkt vor uns platzierten, aber mir machte das im Unterschied zu anderen nicht viel aus, bin ich halt ein Stückchen zur Seite gerutscht. Und andere scheinen es dank ihrer unterdurchschnittlichen Körperhöhe gewohnt zu sein, fast nie irgendwas zu sehen. Da hab ichs echt gut. Und gebe mir ja auch Mühe, nicht allzu sehr im Wege zu stehen. Manchmal. Aber was sehen will ich ja auch.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen die drei Herren Dinosaurier dann auf die Bühne. Der erste Song war auffallend leise und schon wieder mit nur mäßigem Sound, so dass ich schon dachte, sie wollten das alte Publikum schonen, beim zweiten Stück wurde es aber schnell sehr laut, und gerade die schrille Gitarre von J war stellenweise fast schon zu laut. Showmäßig passiert bei einer glaubwürdigen Alternative-Band nicht allzu viel, J im Augapfel-T-Shirt ist cool und macht an Gitarre und Mikro einfach unprätentiös sein Ding, der dickgewordene Murph im Grunde auch, bewegt sich aber natürlich als Schlagzeuger etwas mehr, während Lou im Gegensatz zu den beiden mit weit ausholenden Bewegungen den Bass malträtierend beinahe Overacting betreibt, vielleicht auch damit jeder sieht, dass er den eigentlich wie eine Gitarre spielt; ein schönes großflächiges Modell mit schmalem Hals, ist das ein Ibanez? Nee, ein Gibson.

Gespielt haben sie fast alle Hits aus ihrer langen Schaffensperiode. Ganz altes von der ersten Platte wie »Forget The Swan« genauso wie neues Zeug vom aktuellen Album. Und natürlich durfte neben »Little Fury Things« und »Just Like Heaven« auch »Feel The Pain« nicht fehlen, das den Laut-Leise-Wechsel mit einem zusätzlichen übertriebenen Geschwindigkeitswechsel aufgebohrt bekommen hatte.

Ganz vorne rechts ein paar Fans mit hysterischem Gejohle Gekreische, über das sich die Band verhalten amüsiert hat, aber offenbar keinen wirklich witzigen Spruch als Kommentar dazu parat zu haben schien. Ich fands auch lustig. Mitunter viel Bewegung im Moshpit, und einmal versuchte auch einer zweimal Crowdsurfing, wurde aber beizeiten wieder abgeladen. Lou mit zwei Versuchen der Publikums-Unterhaltung, sein angeblich schlechtes Deutsch anbietend. Und einmal wurden die zwei Zusatzmusiker vorgestellt, die sonst immer als Techniker und Roadies die Gitarren gebracht und am Schlagzeug herumjustiert haben, die dann aber bei »The Wagon« eine zusätzliche Gitarre und weitere Drums gespielt haben.

Hier könnte eigentlich ein Video hin.

Nach anderthalb Stunden wars dann nach einer Zugabe mit zwei Stücken vorbei. Axel und Klaus waren nach dem Bierbecher-Zurückbringen auf einmal weg, also bin ich nach einer kurzen Wartezeit vorm Club zur U-Bahn gelatscht und wieder im großen Bogen um das Zentrum herum nach Hause gegondelt.