Fasching mit der Bergziege

Ein paar Schritte weiter bzw. kürzer war schon wieder ein Konzert.

Krischan am

Wie gerade erst erwähnt, liegt direkt neben der Columbia-Halle ja noch das etwas kleinere Columbia-Theater, in dem aber weniger Schauspiel, sondern vielmehr auch nur Konzerte stattfinden. Die Namen haben in den letzten Jahren immer mal wieder gewechselt, ich meine mich zu erinnern, dass sowohl das große als auch das kleine schonmal der -Club war, jetzt also -Halle und -Theater. Am Columbiadamm, daher der fantasievolle Name.

Hab mich wieder recht kurzfristig dazu entschieden, hinzugehen. Am 11.11. Zu den Mountain Goats. Die frühen Sachen find ich ja ziemlich gut. Die neuen aber gar nicht. Früher ein einsamer Mann, der auf seiner Gitarre herumdrischt und dazu halb zornig, halb folkig uramerikanische Songs erzählt. Wanderprediger oder so. Heute komplette Band, die stilistisch breiter aufgestellt ist und unauffällige soll heißen langweilige amerikanische Rockmusik macht. Und hatte ich die nicht vor ein paar Jahren schonmal im Magnet gesehen, bei einem Konzert mit drei Bands, wo Katharina wegen einer anderen Band auch hinwollte? Und wo sie mir auch schon nicht gefallen haben? Trotzdem, nach einer anstrengenden Woche wäre das doch ein schöner Abschluss. Zumal sich wieder ein paar Dresdner angekündigt haben.

Also Ticket geklickt und ausgedruckt (steht drauf, man solle, wäre nur als kompletter DIN-A4-Ausdruck gültig) und nach dem gar nicht so familiären Abendbrot – Emma beim Kindergeburtstag, Juri beim Bezirksschülerausschuss – losgedackelt. Wieder außen rum mit Ring- und U-Bahn, so der Plan. Dann wurde aber in der Anzeige überm Bahnsteig ein Text über Schienenersatzverkehr zwischen Treptow und Neukölln durchgescrollt, so dass ich schon am Überlegen war, ob ich stattdessen in die Gegenrichtung fahren und im Wedding in die U6 umsteigen sollte, aber dann kam die erst etliche Minuten später und ich wollte doch erstmal sehen, wie das mit dem Ersatzverkehr so läuft. Lief aber gar nicht, die Bahn fuhr nämlich einfach durch. Soll wohl erst irgendwann später so werden. Es gab nur Probleme mit der Anzeige der nächsten Stationen, aber dass Tempelhof erst nach der ewig langen und in irrem Tempo durchgerasten Zwischenstrecke kommt, wusste ich inzwischen und bin tapfer dringeblieben.

Vorm Columbia-Theater keine bekannten Gesichter, sondern eine brave Anstehschlange, die sich einige Dutzend Meter den Fußweg entlangzog. Also doch hinten anstellen. Die Engländer mit dem albernen Dialekt vor mir hatten u.a. Ferngläser in ihren Jackentaschen, was den Security-Typen etwas aus der Fassung brachte. Der Chef meinte aber, das ginge schon in Ordnung. Abwechslungen lauern also auch da, wo man sie nicht unbedingt vermutet.

Kleinerer Saal mit schönem Guckkasten-Rahmen. Ich war hier zuletzt vor vielen Jahren, auf Empfehlung einiger Herren zu einem Konzert zweier mir unbekannter Bands. Da waren doch diese komischen flachen Stufen im Raum verteilt? Über die man aber komischerweise doch nicht gestolpert ist.

Das Bier kostet runde fünf Euro, der Pfand für den Plastebecher beträgt zwei Euro.

Vorband war eine liebe kleine Frau, die sehr artig zu ihrer sanft gespielten Akustikgitarre schöne Lieder gesungen hat. Vermutlich. Geht es noch uninteressanter? Aber während ich da an der rückwärtigen Wand lehnte und mir überlegte, ob es wohl doch Wege gäbe, die mir einen Zugang zu dieser Musik verschaffen könnten, sah ich zwei Gestalten, die Ähnlichkeiten mit Falk und Jörg hatten, nur etwas ordentlicher aussahen und mir unbekannte Brillen auf den Nasen hatten. Und die dritte Person dazwischen kannte ich auch nicht. Es waren aber trotzdem die zwei, so dass ich meine geistigen Verrenkungen beenden und mich zu ihnen dazustellen und dummes Zeug labern konnte. Was man halt so redet. Familie, Konzerte, Bekannte und Verwandte. Platten, Bands, Personal. Wetter und Raumtemperatur. Ich war übrigens der einzige, der über die Verbindung von den Mountain Goats zu Superchunk über den gemeinsamen Schlagzeuger bescheid wusste. Warum sollte man das auch wissen? Mir hats aber den Zugang zu den neuen Sachen ein klein wenig erleichert.

Reden macht durstig. In der Umbaupause oder wie man das nennt also schnell noch ein neues Getränk beschaffen. Ohne albernes Anstellen, man kann doch in voller Breite am Tresen lungern und auf die Aufmerksamkeit des Personals hoffen. Ging flott. Die Stufen sind neuerdings beleuchtet, aber es sitzen auch im sich jetzt sehr füllenden Saal immer noch Leute drauf, so als wäre das eine ernstgemeinte Option und sie in dieser Position keine vermeidbare Stolperfalle. Naja, dann stößt man halt aus Versehen mit den Schuhen an.

Auf der Bühne dann mal wieder eine ulkige Zusammenstellung von Typen. Im ersten Eindruck noch nicht mal übermäßig sympathisch. Der Sänger mit frisch geföhntem, bis zur Schulter wallendem Haar und schütterem Ziegenbart und sportiver Brille, schwarzes T-Shirt unter grauem Jackett. Der businessmäßig frisierte Bassist mit hellblauem Button-Down-Hemd unter Tweed-Jackett, Einstecktuch, gerade Haltung, gerade Nase. Der Schlagzeuger mit verwuscheltem Lockenkopf, ausgeleierter Kinnpartie und Glanz-Jackett, das Abbild eines in die Jahre gekommenen Rockstars. Der Keyboarder / Saxophoner / zweite Gitarrist im hochgeschlossenen schwarzen Tweed-Hemd im Working-Class-Look, der massiv wirkende Vollbart ebenso weiß wie die etwas in Unordnung geratene Jungs-Frisur. Im Grunde haben sie aber doch sehr gut harmoniert, vielleicht so wie ein Lehrerzimmer, alle ganz eigenständig, aber in ihrem Beruf eben doch vereint. Was weiß ich. Für eine stimmige Fach-Zuordnung konnte ich mich jedenfalls diesmal nicht entscheiden, also habe ich das Bild wieder verworfen.

Und im Laufe der Zeit wurden mir die Typen auch langsam sympathischer. Der Bassist war gar kein Schnösel, sondern ein freundlicher eleganter Herr, der Schlagzeuger wirkte mit seinen Grimassen und den tuntig-schunkeligen Schulterbewegungen ein bisschen wie eine Schlagzeuger-Parodie aus Psych, der Keyboarder war still und ernsthaft bei der Sache, und die affektiert aufgerissenen Augen und Münder des Sängers waren vielleicht wirklich Ausdruck echter Spielfreude. Wir sind doch nicht mehr in den coolen Neunzigern.

Und das Publikum? Fiel spätestens mit dem empathischen Mitsingen und Hopsen und Jubeln unangenehm auf. Seit wann ist denn das so eine bekannte Band? Zu der man hysterisch werden kann? War ja auch voll, der Club. (Jörg hat noch was von zwanzig Leuten im Starclub erzählt, damals, in den Neunzigern.) Und dieser etwas gewollt wirkende Einsatz des Saxophons, der der Musik im Grunde gar nichts hinzuzufügen hatte als ornamentales Rumgetute, das fanden die alle richtig richtig gut.

Nach ein paar der rockigen Sachen, die ich mir wie gesagt mit dem Querverweis auf den punkpoppigen Superchunk-Sound schöngeredet habe, wurde es auch mal ruhiger, das fand ich dann gar nicht so schlecht. Etwas langatmig höchstens, so sehr viel gab es da eigentlich nicht zu wiederholen. Schlagzeuger und Bassist verließen dann sogar die Bühne und die beiden verbliebenen setzten sich an die Tasten und spielten etwas nett introvertiertes. Und dann verließ auch der Keyboarder die Bühne, und es gab tatsächlich ein paar ganz alte Sachen mit nur John Darnielle an Akustik-Gitarre und Mikro. Hab ich mich gefreut!

Aber nach drei Sachen war das dann leider auch schon wieder vorüber. Und wieder wurde das – übrigens mit komisch mattem Finish versehene – Saxophon ausgepackt. Nun ja. Ich fands verzeihlich, nur Jörg hat ja so eine grundsätzliche Abneigung gegen das Instrument in der Rockmusik. Doch langsam aber sicher begann ich mich zu langweilen. Ein paar der Lieder kannte ich zwar, die waren wohl von einer der ersten Platten in voller Bandbesetzung, »Tallahassee« zum Beispiel. So auch das vorletzte des Konzerts, das mit dem so schön bösartigen Text »I Hope You Die«, das vom eigentlich friedvollen Sänger nochmal ausführlich angekündigt und eingeordnet werden musste und das dann vom ganzen Saal mitgesungen wurde, so dass es dann doch kein richtiger Genuss werden konnte.

Muss ich noch auf den Typen eingehen, der direkt vor mir stand und mitsamt seiner Freundin, die halb umarmt vor ihm stand, pö-a-pö nach hinten in mich hinein rutschte, der ich nicht ausweichen konnte, weil unmittelbar hinter mir eine der schon genannten Stufen war? Ach was. Handys wurden nicht übermäßig, aber doch immer wieder nach oben gehalten. Warum finde ich dann keine Videos auf Youtube? Muss ich bei Instagram gucken? Gepupst wurde selten. Gekifft vermutlich nicht, geraucht kaum. Gequatscht eigentlich auch nicht, nur Jörg und ich konnten uns an der einen oder anderen Stelle einen Kommentar nicht verkneifen :)

Die Rückfahrt musste ich dann gar nicht in den Öffis antreten, weil mich die Dresdner einfach im Auto mitgenommen haben. Wobei ich leider keine Hilfe war, denn ich kenn die Route auch nicht. Bin ja kein Autofahrer. Also hat uns das Navi durch ein paar kleinere Straßen in Kreuzberg manövriert, wo der Feierabendverkehr schon die ersten merkwürdigen Züge annahm: Gehupe, Falschparker und Aussteigenlasser, Krankenwagen mit Sirene und Blaulicht, schrägstehende Spurwechsler, Jongleure, nervöse Taxifahrer. Und Jörg auch noch am Überreden, dass Falk nicht den Anweisungen des Navis folgt, sondern mich bis an die Ecke Greifswalder/Marienburger schoffiert. Danke!

Zu Hause waren sie dann noch am Harry-Potter-Gucken. Hab ich mich mit einem Späti-Bier und einer Tüte Chipse dazugesetzt und hinterher nochmal ein bisschen programmiert, damit mir das ungelöste Problem des Arbeitstages nicht den Schlaf raubt. Hat nur in Maßen funktioniert.