Musikalische Zerstörung

Fünf auf einen, das ist voll unfair.

Krischan am

Ich war mal wieder auf einem Konzert.

Nachdem wir neulich erst eins verpasst haben. Da ist mir am Samstag nachmittag erst aufgefallen, dass das eine Konzert, um das ich mich irgendwann später mal kümmern wollte, schon am selben Tag war: Jim Jarmusch war mit seiner Postrock-Band Sqürl in der Volksbühne. Wir sind dann zwar trotz ausverkauft noch hin, um vielleicht noch an der Abendkasse oder von den Leuten vorm Haus ein paar Restkarten abzustauben, aber Pustekuchen. Haben wir uns ganz umsonst den Hintern verkühlt.

Das Konzert am letzten Samstag hatte ich hingegen schon länger auf dem Schirm, habe aber lange hin-und- her-überlegt, ob ich da wirklich hinmuss, und mich dann aber doch dafür entschieden: Napalm Death ist zwar keine meiner Lieblingsbands, aber drei-vier Platten aus den späten Neunzigern finde ich immer wieder ziemlich gut, und überhaupt sollte man diese Pioniere der extremen Rockmusik mal gesehen haben. Finde ich. Also schnell noch eine Woche vorher ein Ticket geklickt. Gab ja noch welche. Und dafür, dass es drei Bands sein sollten, war der Preis für heutige Verhältnisse auch ganz okay.

Das Astra ist zwar nicht weit, aber um wegen falsch vermuteter Anfangszeiten nicht wieder was zu verpassen, habe ich nochmal nachgeguckt, und siehe da, es sollten sogar vier Bands auftreten und danach noch eine Star-FM-Disko stattfinden, also Einlass um sechs und Beginn um sieben. Ich wurde also ab um fünf ungeduldig und bin dann gegen sechs schon in die Bahn gestiegen, hab an der Ecke vorm RAW-Gelände schnell noch zwanzig Euro abgehoben und bin dann rein. Vor dem Eingang wuselte es schon und auch drin war es schon recht voll, vor allem altgewordene Punker und Mättler in stilechter Kluft, so richtig wie früher, als man im alternativen Umfeld noch unter sich war. Nur ich hab da nicht reingepasst mit meinem gemusterten Hemd. So sollte das ja auch sein. Dabei wars extra eins mit mexikanisch angehauchtem Totenkopf-Muster.

Es klang schon sehr nach einer Live-Band, was da aus dem Saal zu hören war, und richtig: grad mal halb sieben, und ich hab trotzdem nur noch anderthalb Lieder der ersten Band gesehen. Die versprochene vierte Band konnte es aber nicht sein, da sollten zwei Frauen mitspielen, und auf der Bühne standen nur Männer, die astreines Deutsch sprachen und also nicht aus Amiland kommen konnten. Also sogar fünf Bands. Bestimmt was lokales, jemand mit Kontakt zum Veranstalter. Laut den T-Shirts am Merchandise-Stand heißen sie Wojczech. Und kommen aus Rostock, wie ich dann später im Internet nachlesen konnte. Von der Musik weiß ich nichts mehr; es war laut und hart und schnell.

Erstmal Bierchen und wieder nach draußen. Wobei dieses »draußen« für den Winter mit Zeltplanen und Decken überdacht und mit Heizlüftern angewärmt war. Noch nichts von Klima gehört? Immer noch kein bekanntes Gesicht zu sehen. Aber es wird voller. Wieder drin, hat die vierte Band schon angefangen: Escuela Grind. Ganz nett, wie am Nachmittag schon im Internet gesehen, krasser Hardcore mit wütenden Frauen an Mikro und Gitarre, aber live leider nach meinem Geschmack viel zu viel animierendes Party-Getue zwischendurch; das Gefuchtel und Gezappel während der Lieder dagegen prima, das ist erlaubt, das gehört dazu, das muss so, anders geht so Musik gar nicht. Lustig ist ja immer der Unterschied zwischen dem veranstalteten Krach und dem kontrollierten Spiel an der Gitarre. Und auch der Schlagzeuger drosch nicht auf den Drums herum wie wild, was ja bei der Geschwindigkeit auch gar nicht geht, sondern stöckelte da ganz filigran aus dem Handgelenk. Nur die Sängerin wie gesagt durchgeknallt am Rumschreien und -hopsen. Am Anfang waren sie übrigens viel zu leise, dann wurde aber pö-a-pö am Mischpult nachgeregelt und der Sound zunehmend druckvoller.

Hier könnte eigentlich ein Video hin.

Wieder Bierchen und draußen und kurzes Telefonat mit der Holden, die ja aus Gründen nicht mitkommen wollte, vielleicht wegen der gefühlten Einordnung ins Metal-Genre, vielleicht auch weil diverse Neffen zu Besuch da waren, die nicht ganz allein gelassen werden sollten, wer weiß. Drin schon deutlich voller, und mit dem Abspielen des Jump-Songs von House of Pain machen die uniform in Band-Shirts gekleideten Russen von Siberian Meat Grinder einen albernen Einmarsch auf die Bühne, als wären wir hier beim Wrestling. Der Sänger mit einer schwarzen Maske, die vermutlich einen Bären darstellen soll, und später kommt für ein Lied noch ein braunes Bär-Maskottchen mit Hermelinmantel und Zarenkrone auf die Bühne, da wusste ich ja gar nicht so richtig, wie das affige Showgehabe mit der eindeutig aus dem linksgerichteten Alternativspektrum stammenden Hauptband zusammengehen soll. Der Sound irgendwas zwischen Hardcore und Thrash-Metal, der Gesang eine Spur zu weit in Richtung Hooligan-Oi!, aber an irgendwas anderes hats mich auch immer wieder erinnert, an Biohazard vielleicht, die machen ja immer so einen auf dicke Hose. Hab ich die Gitarren-Soli erwähnt? Den Fan-Schal, den der Sänger ab und zu vom Hals nahm, um ihn wie im Stadion hochzuhalten? Und den Typen mit der Handykamera, der ständig auf der Bühne herumwuselte? Es gab dann zwar schon noch eine Ansage gegen Rassisten usw., aber ich habs ihnen halt nicht halb so sehr abgenommen wie der Band vorher, die zwischendurch immer wieder ein paar feministische Ansagen eingestreut hat.

Hier könnte eigentlich ein Video hin.

Pause wie üblich, nochmal am Merchandise-Stand gestöbert, vielleicht solls ja doch so ein bonbonfarbenes T-Shirt sein, wie ich sie am Nachmittag im Band-Shop entdeckt hatte. Ein Zwanni geht ja. Ich frug die Olle am Telefon, sie solle mal gucken, wie sie das findet. Prompt war ich zu spät wieder drin im Saal, die oldschoolige Hardcore-Band Dropdead hatte schon angefangen. Also bin ich recht weit hinten neben dem Mischpult stehen geblieben und hab mir über die Schulter eines langhaarigen Schlackses den gealterten Skinhead am Mikro, den Glatzkopf mit Günter-Grass-Bart und Schnippsgummibrille am Bass, den zauselbärtigen Gitarristen, der aussah wie der Bühnenmaler Kalle aus dem TJG, und den mit Wallehaar und Wallebart wie aus einer alten Ikone ausgeschnittenen Drummer angeguckt. Und angehört: simpler flotter Hardcore mit Kreischgesang. Der Sänger hantierte unsachgemäß mit dem Mikroständer und ließ das Mikro am Kabel durch die Luft sausen, der Bassist nickte heftig mit dem halben Oberkörper, der Drummer kroch fast in sein Schlagzeug hinein. Und immer wieder die etwas platten agitierenden Ansagen, die von einer als politisch bekannten Band zu erwarten sein sollten, aber mehr als »use your number« und »fight back« und »I believe in you« kam da nicht, ein konkretes Ziel oder ein richtungsweisender Weg jedenfalls nicht. Brauch ich ja auch nicht. Nett fand ich sie trotzdem, die Sozialarbeiter, die!

Hier könnte eigentlich ein Video hin.

Es wurde noch voller, ich war fix pullern und neues Bierchen zischen und war schon wieder zu spät zurück: da sägte doch schon eine Gitarre durch den Saal, dass einem ganz bange wurde, was das denn nun schon wieder für ein komischer Sound sein sollte. Inzwischen war der Saal wirklich voll; ich hatte ja vorher so meine Zweifel, wieviele Leute sich so einen krassen Kram freiwillig und für Geld anhören wollen, aber nee: gibt ganz schön viele Bekloppte. Am Rand war noch Platz, bisschen weiter vorne aber als zuvor. Und alles war genau so wie in den Live-Videos, die ich mir die Tage vorher nochmal angeguckt hatte, vor allem das eine, wo sie den Sonic-Youth-Song covern: ein unförmiger Klops mit buntem Hemd und hässlichen Haaren und hässlichem Bart am Bass, ein dicklicher Typ mit viel zu langen Dreads neben der Glatze am Bass, ein Typ mit dämlichem Bart an den Drums, und der zappelige schambefreite Schlacks am Mikro, der so komisch auf der Bühne herumwackelt, weil das so gut zu der Musik passt. Super Stimmung, das berühmte Dead-Kennedys-Cover kam auch, obwohl ich es ohne die Ansage vermutlich nicht erkannt hätte. Und ein paar politische Ansagen durften auch nicht fehlen. Nur die etwas langsameren und komplexer strukturierten Sachen von den drei Alben, die ich mag, wurden freilich nicht gespielt. Dafür gabs Stagediving und Crowdsurfing ohne Ende, von gebrochenen Nasen habe ich auch gelesen. Ein Hexenkessel. Da ich noch Jacke anhatte, konnte ich leider nicht mittun, jaja. Trotzdem ein Erlebnis!

Hier könnte eigentlich ein Video hin.

Nach dem letzten Song ging sofort die Musik vom Band und das Licht an, keine Zugabe, schnellschnell. Ich flott raus und im Vorraum zwischen den zwei Ausgängen erstmal alle vorbei lassen, dann den Becher zurückgeben, wegen zu langer Schlange an den Merch-Ständen nochmal raus und mich freuen, die Jacke nicht abgegeben zu haben, weil urst lange Schlange an der Garderobe, dann wieder rein und anstellen, andere vordrängeln lassen und trotzdem noch ein blaues Shirt in der L bekommen, weil der Liebsten das rosane nicht so gut gefiel, obwohl da ja der Spruch auf der Rückseite besser ist.

Straßenbahn kam gleich, zu Hause noch all wach, zwei späte Abendbrötchen, und vor lauter Aufregung noch Videos aufm Handy gucken/zeigen.