Französische Schokolade

Wir waren beim Konzert der vor einem Jahr erfreut zur Kenntnis genommenen Vorband von Shellac im friseurmäßig benannten Club.

Krischan am

Ursprünglich wollte Katharina eigentlich mit Emma dahin, hat dann aber auch den Fehler gemacht, die Tickets nicht rechtzeitig zu besorgen, so dass ihr beim Anruf zwei Tage vorher erst verkündet wurde, das sei leider ausverkauft, und dann wäre das sowieso erst ab Achtzehn, weil manchmal wird geraucht und überhaupt. Ersteres stellte sich aber als Irrtum heraus, da war der Abend davor gemeint, es ließen sich nämlich online ganz prima noch Tickets buchen, und in der Zwischenzeit hatte ich mich dann auch entschlossen, doch mitkommen zu wollen, die Mischung aus vierstimmigem Gesang und rhythmischem Postpunk von lustig angezogenen Franzosen war doch eigentlich ganz dufte, da kann man ruhig zweimal. Anja durfte also in Ruhe zu Hause bleiben, die wurde von Katharina auch noch gefragt, ob sie mitwölle. Schade eigentlich, man hätte ja auch zu dritt …

Juri war sowieso bei seiner Holden, also konnten wir nach dem samstäglichen Wochenendausflug – das neue nationale Zugfahrticket wollte ja eingeweiht werden – und einem schnellen Abendbrot schon wieder losdüsen. Nur die arme Emma war dadurch schon wieder alleine; den Ausflug wollte sie nämlich auch schon nicht mitmachen, sondern sich lieber »mit Freunden treffen«, was dann aber ins Wasser gefallen war. Nunja, sie wird ja gleich zwölf, da schafft man das schon mal einen Abend allein mit Brause und Chipsen und ohne Weinen. Kurz nach achte waren wir aus der Straßenbahn raus und da, ein Häuflein Leutchen stand schon rum und ist dann mit uns in den kleinen Club hineingeklettert. Wann war ich da eigentlich zuletzt, ich kann mich gar nicht mehr erinnern, so viele Jahrzehnte wird das schon her sein. Taschentelefontickets wurden eingelesen, Stempel auf Handrücken verteilt, und hinten im Saal saß einer mit genau demselben T-Shirt wie ich, dem schlüppiblauen Regenbogen-Einhorn-T-Shirt von Napalm Death. Ich war so entrüstet, dass ich gar nicht kumpelig grüßen und winken konnte. Die Anerkennung des Tresenmannes habe ich später schon souveräner entgegennehmen können, er hätte ja auch mindestens zwei Napalm-Death-Shirts, die sähen ja ganz anders aus, so orrrrr, aber das hier, das wäre wirklich das beste. Genau.

Die Vorband aus Berlin hat dann auch gleich angefangen. Der Bassist in der Mitte hatte mit seiner Griffhand wenig zu tun, aber fetten Sound und eine john-lennon-mäßige Kombi aus halblangen Haaren und Nickelbrille, der süße Sänger und Gitarrist war angemessen nach hinten gemischt, was den Gesang anging, und die hübsche Gitarristin mit den schwarzen Locken hat auch irgendwas gemacht, bestimmt was mit viel Hall. Ich hatte mir vorher zu Hause noch schnell einen Überblick verschafft und war schon neugierig, wie so ein Shoegazer-Sound live rüberkommt: war ganz nett, aber interessanter wurde es tatsächlich doch nur an wenigen Stellen mit dem lauteren Gesang und dem schnelleren Schlagzeug, schade. Bass und Drums waren vielleicht auch einfach zu laut bzw. die Gitarren zu leise, die Vermutung hatte der Sänger ja zwischendurch auch, aber es hieß dann aus dem Publikum weiter vorne, dem wäre nicht so, so dass der Sänger denken musste, das Problem läge nur bei ihm und seiner falschen Wahrnehmung, naja. Vielleicht standen wir auch doof so an der Seite. Die Ansagen auf Englisch fand ich erst albern, aber den deutschen war dann anzuhören, dass es gar keine geborenen Berliner waren, sondern vermutlich auch Franzosen; zumindest der Sänger.

In der Umbaupause nochmal draußen frische Luft schnappen, dann aber mit den ersten Leuten wieder rein, Katharina wollte ja ganz vorne stehen. Ich hab mich ein bisschen geziert und bin wenigstens ein Stück an den Rand gerutscht, weil man ja mit knapp Einsneunzig nicht in der ersten Reihe stehen kann. Finde ich, weil ich ja kein Arschloch sein will; Katharina nicht. Am Ende stand ich schräg hinter ihr und sie auch nicht so sehr in der Mitte. Aber mit direktem Blick auf die Musikanten, die eigentlich alle genauso aussahen wie vor einem Jahr: die Frauen hatten die glatten Haare etwas länger, die Männer die lockigen Haare und Bärte etwas kürzer, das rote Leinenhemd war einem popartig gemusterten, blauweiß glitzernden gewichen, nur den Bassisten im grässlich sofastoffgemusterten Hemd hätte ich nicht wiedererkannt.

»We are not ready to start, I must pee.« sagtese und grinste verschmitzt, die schöne schwarzhaarige Gitarristin mit der Vorliebe für komische Kleider – zumindest auf der Bühne –, diesmal war es ein gelbliches Rüschenkleid bis zu den Knöcheln, das einen schönen Kontrast zu den Doc-Martens-Kappen bildete, die unten rausguckten. Dann waren alle viere nochmal weg, und dann waren alle viere wieder da, und dann es ging auch wirklich wie fast schon erwartet mit demselben Opener los wie letztes Jahr, dem Opener des Albums, das sich Katharina ja beim Konzert gekauft hatte und das ich mir nur digital gezogen habe: nacheinander einsetzender mehrstimmig versetzter Gesang von allen vieren und dann auf einmal Woo! Tschack-Bumm! Gitarren-Riffs; auf Platte kommt das ja recht brav rüber, aber live war das wirklich wieder verblüffend dufte.

Und Spaß hatten sie wieder, vor allem die Schlagzeugerin, die immer so fröhlich griente und wirklich herrlich auf den Punkt haute. Auf ihr stilecht reduziertes Schlagzeug in Goldglitteroptik. Und die Gitarristin, die immer wieder herumzuhüpfen begann. Und der Gitarrist und der Bassist bestimmt auch, die zeigen das halt auch als Franzosen nicht so, spielten aber auch sehr schön auf den Punkt, dass es eine Wonne war, weil ja trotzdem der Ausdruck nicht fehlte. Nur leider habe ich kein Wort verstanden. Ein paar Songs kannten wir nicht von Platte, die waren wohl entweder älter oder neuer. Viel Applaus, viel Kopfgenicke und Kniegewiege, für viel mehr war kein Platz. Glaub ich, hab ja nicht nach hinten geguckt; von wildgewordenen Pogotänzern geschubst wurde ich aber auch nicht. Die Gitarristin der Vorband direkt neben mir fands auch gut.

Wenn man so weit vorne steht und auch ein bisschen am Rand, dann sieht man, dass auf der Bühne tatsächlich eine Uhr hängt, damit die Band gut geplant und pünktlich um zehn fertig sein kann, weil sonst kriegen die Betreiber des Ladens natürlich Ärger mit den neuen Anwohnern, keine Frage, das ist schließlich nicht mehr Berlin, sondern irgendwas anderes, wo sich die unter dem Label »Schwaben« zusammengefassten erbberechtigten Wessis Wohnungen und Häuser kaufen und ihre Ruhe haben wollen. Kultur könne ja schließlich auch tagsüber stattfinden, also wirklich. Punkt zehn waren sie also fertig, Zugaben konnte es nicht mehr geben, also haben wir uns noch ein Absacker-Bier geteilt und vom schmalen Podest an der Rückseite des Raums aus den Bands und Technikern beim Abbau und Abtransport ihres Equipments zugeguckt.

Und dann hat Katharina draußen tatsächlich nochmal die Drummerin abgepasst und sich bei ihr bedankt und auch berichtet, dass sie die Band letztes Jahr schon gesehen hatte und heute eigentlich ihre schlagzeugspielende Tochter mitbringen wollte, aber leider ... Den Nachhauseweg haben wir zu Fuß genommen, es gab sogar noch ein paar Cigara Böregi, die aber ehrlich gesagt nicht mehr besonders lecker waren. Und zu Hause das Töchterlein auch kurz vor Mitternacht immer noch nicht am Schlafen, also noch bisschen unterhalten. Auch schön.

Katharina hatte dann noch rausgekriegt, dass Irnini Mons am Tag drauf in Dresden – im Café 100! – spielen sollte, das haben sie noch schnell organisiert gekriegt, in den Tourlisten stand für den Tag überall noch tbc. Also konnte ich den Dresdnern doch noch bescheid signalisieren, dass sie da hingehen sollen, aber über den sonntäglichen Wochenendausflug mit dem Nationalticket hab ich ganz aus den Augen verloren, ob sie dem artig nachgekommen sind oder nicht. Ist ja auch immer schwierig mit so kurzfristig angesetzten Terminen, die sind nirgends im Internet zu finden und stimmen am Ende vielleicht doch gar nicht?