Hinter Gittern

Ich habe eine Führung durch das Untersuchungsgefängnis Moabit mitgemacht.

Krischan am

Das passt ja. Grad letzte Woche erst jemanden in den Knast geschickt, schon mach ich mir mal schnell einen Eindruck davon, was die Leute denn da so erwartet. Oder passt eigentlich nicht. Hätte ich ja mal besser vorher wissen sollen. Wobei das Ding da direkt neben dem Amtsgericht Tiergarten gar kein »richtiges« Gefängnis ist, sondern »nur« ein Untersuchungsgefängnis, wo vor allem Untersuchungshäftlinge einsitzen, also Leute, die eben noch nicht rechtskräftig verurteilt wurden, sondern noch auf ihre Verhandlung oder deren Abschluss warten. Oder auf die Überstellung in ein richtiges Gefängnis. Oder auf die Abschiebung.

Aber mal immer schön der Reihenfolge nach. Das war der eigentliche Grund für mich, dem Verein der ehrenamtlichen Richter beizutreten: weil die solche Führungen durch Gefängnisse anbieten, aber eben nur für Mitglieder. Und weil der monatliche Beitrag niedriger ist als die üblicherweise zu erwartenden Entschädigungszahlungen, mach ich dabei ja keine Miesen, also hab ich in den sauren Apfel gebissen. Ansonsten wüsste ich nicht, was ich in so einem Verein eigentlich soll, »den Gedanken der Beteiligung von Laien an der Rechtsprechung verbreiten, die Laienbeteiligung an der Rechtsprechung stärken und ausweiten, die Laienrichter auf die Wahrnehmung ihres Amtes vorbereiten und in der Ausübung unterstützen«, das kriegen die doch auch ohne mich hin.

Die Führungen finden natürlich tagsüber statt, nach Feierabend haben auch die Insassen der Gefängnisse Feierabend und werden eingeschlossen, da kriegt man ja nix zu sehen und außerdem gelten dann wohl auch andere Sicherheitsregeln. Aber als ehrenamtlicher Richter ist mans ja gewöhnt, mitten am hellerlichten Tag den Arbeitsplatz zu verlassen, um sich anderen Dingen zu widmen. Und ich als im Moment nicht allzu ausgelasteter Home-Officer erst recht. Treffpunkt war aber gar nicht am hellerlichten Tag, sondern dreiviertel neune schon, direkt vor der Pforte II, wo bereits ein Grüppchen Leute auf dem Fußweg herumstand, als ich mich von der anderen Straßenseite aus heranschlich auf der Suche nach einem geeigneten Standpunkt für ein schickes Foto.

Geplauder vor der Tür, gern etwas launig, ein Witzbold kristallisierte sich schnell heraus, der wirklich jeden dummen Spruch anbringen musste, der sich auf die vielen ihm bekannten Stichworte anbot. Offenbar gings auch ein bisschen darum zu zeigen, wie abgebrüht man nach all den Jahren der Verurteilungen der Missetäter schon war. Jaja, diese Fotos neulich, erinnerst du dich, die waren schon harter Tobak. Naheliegende Witzchen über das Betreten und Verlassen des Gefängnisses inklusive. Ankündigungen von Beeindruckung aber auch. Als sich dann das erste Tor hinter uns langsam schloss, war aber noch nichts zu spüren, oder?

Pforte II

Uns war schon angekündigt worden, dass wir unsere Handys abgeben müssten, ich hatte glatt überlegt, das Ding überhaupt zu Hause zu lassen, aber es war ja Mittwoch, mein Bürotag, da wäre es ohne Handy doof, weil meine Durchwahl aufs Handy umgeleitet wird. Im Internet hatte ich noch gelesen, dass man als Besucher ein Zwei-Euro-Stück für ein Schließfach benötigt, weil man natürlich keine Rucksäcke und Taschen mit hineinnehmen darf. Das galt dann aber für uns nicht, wir waren ja Schöffen und hatten eine Führung. Also Ausweis und Handy in eine Schublade legen und sich vom Pförtner dafür einen Hausausweis aushändigen lassen. Den Hinweis, die Handys vor Abgabe auf Flugmodus zu stellen, habe ich quasi ignoriert und das Gerät einfach komplett ausgeschaltet. Geht immer noch. Kann man machen.

Begrüßung durch eine kurze stämmige Frau mit sportiver Figur und freundlichen blauen Augen, die uns also jetzt das Haus zeigen will. Namen hab ich schon wieder vergessen, tut ja auch nichts zur Sache. Für uns stand ein gemeinsames Schließfach zur Verfügung, wo wir alle unsere Taschen und Rucksäcke zurücklassen konnten, außerdem alle Smartwatches und Werkzeuge und andere potentiell gefährliche Gegenstände. Dann wurden wir noch elektronisch abgetastet oder wie das heißt, die kleinen Piepser bei Hosenknopf und Bargeld wurden ignoriert, offenbar klingt das Gerät anders, wenn was wirklich interessantes gefunden wird.

Ab in den nächsten Hof. Wieder schloss sich hinter uns langsam ein Schiebetor. Rundum jetzt nur noch Mauern mit Stacheldraht und Gittern, aber noch fühlt sich alles wie Fernsehen an. Dann irgendwie in eins der Gebäude rein und durch Gänge durch und auf einmal standen wir schon in der Mitte des fünfstrahligen Sterns, der das Hauptgebäude das alten, vor fast hundertfünfzig Jahren gebauten Gefängnisses bildet. Sagt man Panoptikum? Ein großer, hoher, runder Raum mit einer Kuppel, nach fünf Richtungen gehen hohe schmale Gänge ab, in denen sich die Zellen befinden, überall Gitter, Türen, Treppen, Netze. Und Leute. Justizbeamte und Häftlinge, geschäftig hin- und herwuselnd, Wäschewagen schiebend, Säcke tragend, in Gruppen begleitet oder allein unterwegs. Manche haben gegrüßt und freundlich geguckt, andere eher mürrisch oder neugierig: was sind denn das jetzt schon wieder für komische Leute.

Die Reaktion auf die Gefangenen unter uns Schöffen war aber auch ganz unterschiedlich, manche haben sich umgesehen wie im Zoo, einige waren etwas beklommen und ängstlich, ein paar waren betont sachlich interessiert und haben eifrig Fragen gestellt, eine hat sich gebrüstet, dass sie jetzt grade ganz freundlich gegrüßt hätte, jaja, der hätte so nett geguckt.

Dann waren wir kurz aufm Hof, nebenbei bisschen Rauchpause für die Raucher. Auch von außen alles wie im Klischee-Fernsehen, überall die großen Zahlen unter den Fenstern und Gitter davor, an denen Wäsche trocknete, große Buchstaben für die Gebäudeteile und Nummerierung der Höfe, überall Kameras und Zäune. Rüber in einen anderen Hof. Und in ein anderes Gebäude. Und so weiter, ich weiß gar nichts genaues mehr, weil ich nicht daran gedacht hatte, mir Zettel und Stift mitzunehmen, wie das ein anderer gemacht hat, der offenbar in die Organisation der ganzen Veranstaltung involviert war, jedenfalls immer wieder als Wortführer auftrat. Naja, beim nächsten Mal. In einem der Gebäude, wo man durch die milchigen Scheiben den Blick auf die Rathenower Straße erahnte, konnten wir uns ein paar gerade nicht belegte Zellen ansehen, die wohl vor allem als Quarantäne-Zellen für Häftlinge dienen, die sich nicht röntgen lassen wollen, eine Maßnahme, die zur Eindämmung von Tuberkulose notwendig ist. Woanders konnten wir uns eine Duschkabine ansehen. Zweimal die Woche sieben Minuten darf geduscht werden.

Allerlei Fragen tauchten auf, ich kann mich gar nicht mehr an alles erinnern: Speiseplan, Tagesablauf, Schließtechniken, Haftkleidung, Arbeitsmöglichkeiten für die Häftlinge, Alter der Häftlinge, Arbeitsalltag für die Beamten … Anekdoten wurden erzählt: von Ausbruchsversuchen und ekligen Insassen, Ungeziefer und Krankheiten, das meiste blieb aber angedeutet. Die eigene Geschichte inklusive einer längeren Arbeitspause aufgrund von Burnout hat sie uns aber auch erzählt und dass sie froh ist, hier in einem Männergefängnis zu arbeiten, wo sie im Zweifelsfall doch netter behandelt wird und sich auf einen Rest von Hemmschwelle verlassen kann, das wäre im Frauengefängnis ganz anders gewesen.

Und am Ende gings tatsächlich mal mitten rein in einen der fünf Gänge des alten zentralen Sternchenhauses, die engen Gänge vor den Zellen entlang, die eisernen Treppen an den aufgespannten Netzen vorbei nach oben, an den schmalen Türen mit dem kleinen Spion vorbei, alles sah haargenauso aus, wie man es aus Film und Fernsehen kennt. Wir wurden beobachtet und haben zurückbeobachtet. Oder andersrum? Dass wir nicht durch die Spione lunschen sollten, wurde uns vorher eindringlich ans Herz gelegt, auch Gefangene hätten ein Recht auf Privatsphäre, also hat das auch niemand gemacht. Aber was da unten im Gang gerade passiert, wo ein Häftling mit Gepäck neben dem Justizbeamten stehenbleibt, oder da der eine, der vor einer verschlossenen Zellentür steht und hindurchspricht, da kann man schon mal stehen bleiben und gucken. So wie die Gefangenen eine Etage weiter oben durch das Netz auf uns herabsahen.

Dann gings nochmal runter zu der Stelle, wo der Übergang vom Gefängnis zum Gerichtsgebäude stattfindet. Sicherheitsschleusen und ein Beamter, der auf dem Fensterbrett mit einem kleinen Elektrogrill Bratwürste briet und damit den Geruch im halben Gebäude verbreitet hat, der so gar nicht zu den Milchnudeln passen wollte, die es an diesem Tag laut Speiseplan für die Häftlinge geben sollte. Viele meiner Kolleg:innen hatten offenbar Erfahrungen mit Angeklagten, die diesen Weg gehen und haben meine Vermutung über die zusätzlichen Türen und Gänge bestätigt, die da unabhängig von den hohen und breiten öffentlichen Gängen zu den Gerichtssälen führen. Muss ich mir nochmal genauer angucken demnächst.

Und dann waren die drei Stunden auch schon wieder um. Vielen Dank an die Führerin, Verabredungen mit dem Wortführer zu weiteren Kooperationen, irgendwas mit Schulklassen, und die Ankündigung, jetzt als Schöffengruppe gemeinsam in die Kantine gehen zu wollen. Ein paar hatten Termine, aber die meisten haben zugestimmt. Da der o.g. Scherzkeks auch mitgehen wollte, hab ich mich aber lieber verabschiedet und bin ins Büro gefahren. Will ja jetzt auch ein bisschen mehr auf mein Gewicht aufpassen, das nimmt grad komische Formen an, also eigentlich sowieso kein Mittagessen.

Und tatsächlich hat mich eine deutliche Erleichterung erwischt, als ich die hohen Mauern verlassen habe und wieder das Gefühl hatte, ich dürfe jetzt einfach langgehen, wo ich will. Oder einfach nochmal stehenbleiben. Und kurz nochmal überlegen, ob ich ins Büro fahre oder doch wieder nach Hause. Ist ja meine Entscheidung, kann ich machen, wie ich will. Weil ich frei bin. In Freiheit.