Nix mit Bauernstaat

Wir haben uns endlich mal den neuen Saal des Kulturpalastes Dresden angeguckt.

Krischan am

Ich bin ja nicht zuletzt durch die Betreuung der Website der Bundesstiftung Baukultur immer mal wieder über die Sanierung des Kulturpalastes in Dresden gestolpert. War ich sonst kein Konzertgänger im Bereich der Klassik und also nur selten Gast dort, hat mich das Gebäude dann doch immer mal wieder begleitet: dort haben wir Ende der Achtziger in einem albernen Massenevent unsere Personalausweise überreicht bekommen; dort hab ich als Kind auch mal das eine oder andere Konzert gesehen, obwohl uns unsere Eltern ja meistens ins Hygienemuseum geschleppt haben, wo auch Konzerte stattfanden; dort hab ich nach meiner Erinnerung auch mal Filme gesehen; und beim Vorbeispazieren in den letzten Jahrzehnten war ich eigentlich immer neugierig, wie lange die sozialistischen Staatssymbole da an der Seite des Gebäudes wohl noch zu sehen sein werden und wieviel davon vorher noch von selbst abfällt. Und habe später dann mit etwas Abstand über die Architektur und die Details am Gebäude gestaunt. Hatte ich nicht hier irgendwo schomma Fotos davon? Von der Tür und den Reliefs dadrauf?

Jedenfalls haben wir uns dann neulich einfach mal einen Termin rausgesucht, an dem wir sowieso in Dresden sind, und uns zwei Tickets für ein Konzert geklickt. Rachmaninow kann man sich ja mal anhören. Und weils ein Klavierkonzert war, haben sich meine Eltern auch noch eingeklinkt, und weil er gern in die Oper geht, hat sich auch mein Neffe noch ein Ticket dazubuchen lassen. Später noch ergänzt um eins für seine Freundin, die war auch grad in Dresden.

Am Tage hatte ich mir noch die gar nicht mehr ganz so frisch eingestürzte Carolabrücke angeguckt, von der immer noch ein Teil mitten in der Elbe herumlag, die Teile am rechten nördlichen Ufer waren aber schon weitestgehend zerkrümelt und abtransportiert, auch der auf dem Ufer stehende Pfeiler sah aus wie gerupft, doch die beiden schräg vom zentralen Pfeiler herabhängenden Teile waren noch schön zu sehen. Die überaus berechtigte Forderung »Millionäre besteuern!« war auch noch gut zu lesen. Gibts schon staatsschützende Ermittlungen gegen den linksextremistischen Übeltäter?

Marode Sozialismus-Architektur? Bestümmt. In der westlichen BRD stürzen ja keine Brücken ein, die sind alle noch tippitoppi, guter Westbeton braucht keine Pflege, der hält tausend Jahre. Aber einige der möglichen Ursachen sind wohl erst durch die früher nicht üblichen winterlichen Salzungen und Umbauten an den Gleisanlagen nach der Wende begünstigt worden. Hab ich irgendwo gehört. Wo? Von wem? Wann? Keine Ahnung.

Kulturpalast jetzt also auch DDR-Architektur. Mit waschechter Propaganda an der Seite. Der Weg der roten Fahne. Auweia. Aber der Rest des Gebäudes schon schicke Moderne. Flacher Kasten mit Glasfassade und ulkigem Dachaufsatz. Davon war am Abend aber nicht viel zu sehen, weil es neuerdings ja schon vor um sechs dunkel wird. Stattdessen das nach außen leuchtende Innere, aus den drei Etagen leicht unterschiedliche Farben abstrahlend. Schick.

Alles schon voller Leute, aber an der Garderobe eine halbe Treppe nach unten wurden unsere Jacken trotzdem schnell und freundlich entgegengenommen. Für umme. Ohne vorherige Kontrolle einer Eintrittskarte. Da könnte jetzt eigentlich jeder kommen. So solls sein. Öffentliches Gebäude, könnte man fast sagen. Unsere Plätze an der Rückseite des Saals, hinter dem Orchester, weil das jetzt so Mode ist, da Sitzreihen rundrum zu planen, haben wir über verschiedene Treppen und Gänge gefunden. Stand ja überall dran schließlich. Direkt unter der Orgel. In der ersten Reihe. Ziemlich genau in der Mitte. Am Eingang zum Saal wurden dann aber doch nochmal die Tickets kontrolliert. Ging ohne Ausdruck, aber der Bildschirm musste erst nochmal ein Stückchen heller gestellt werden.

Früher war der Saal ja eine eindeutige Frontalsituation, jetzt nach dem Umbau erinnert er mich hingegen stark an den Saal in der Berliner Philharmonie, wo man auch ringsum sitzen kann und all die Ränge lustige Formen haben, und die ulkigen akustisch funktionalen Formen an den Wänden und der Decke und die viereckigen Dinger, die da von der Decke in den Saal hinabbaumeln. Alles in Weiß und hellem Holz, die Sessel in einem Terrakotta-Ton, der sich auch schon im Bodenbelag des Foyers fand und der dem Farbton von Katharinas Pullover nahezu identisch war. Schick.

Eng wars aber, ich weiß nicht, wie es in den hinteren und anderen Reihen war, aber in der ersten Reihe hatte man keinen Platz für die Füße, die Knie waren die ganze Zeit ordentlich rechtwinklig angewinkelt, das ist nicht immer angenehm, gut dass ich tagsüber genug gelaufen bin. Die Musik war nett, Rachmaninow ist ja nicht mein Lieblingskomponist, ich hatte ihn mir aber mal als einen der akzeptablen gemerkt. Junger polnischer Dirigent, junge russische Solistin, alte Dresdner Philharmonie als Hausorchester. Ein Haufen Leute, bestimmt 70 Musiker, ich hab ein paar Mal versucht zu zählen, dann aber doch aufgegeben. Sechs Kontrabässe, sechs Celli, an die dreißig Geigen, je zwei Oboen, Klarinetten und Posaunen, vier Hörner und noch allerlei Instrumente, Trompeten, Bratschen, Querflöten, such dir einfach was aus. Links vor uns ein Pauker mit vier kupferbauchigen Pauken und einem Gestell voller filzfransiger Stöcker. Direkt vor uns und nur zu sehen, wenn man sich über die Brüstung lehnt (hab ich nicht gemacht), noch weitere Schlagwerker und Perkussionisten.

Die Solistin hat unterhaltsames Kasperletheater gemacht mit unterschiedlichsten Grimassen und krummem Rücken und ausholenden Gesten und zurückgeworfenem Kopf, hatte aber phasenweise auch irre zu tun mit den vielen Noten. Sehr vordergründig haben wir den Flügel nicht gehört, weil sein Deckel in die andere Richtung geöffnet war, aber ich fand das nicht störend, ich bin ja eh gegen die übermäßige Hervorhebung einzelner Instrumente oder des Gesangs. Der Dirigent, dem wir von unserer Position aus dafür besonders gut zusehen konnten, grimassierte auch ein bisschen, signalisierte mit seinen sparsamen Gesten aber auch vor allem Stimmungsempfehlungen und weniger wirklich exakte Rhythmusvorgaben. Anfangs fand ich ihn ein bisschen zu affektiert mit dem Dreitagebart und der Out-of-Bed-Frisur aus den Neunzigern, aber dann hab ich ihm doch gern zugesehen, so drin war er in seiner Musik. Der eine Fagottist hat lustig mit dem Kopf gewackelt, ein Cellist mit Hakennase blickte sehr ernst, der Pauker suchte sich regelmäßig andere Stöcker mit passenden Wattebommeln aus und war überhaupt sehr konzentriert dabei, auch wenn er nicht permanent mitspielen musste. Die erste Geige hat an den Stellen, wo sie nichts fiedeln musste, versonnen und gleichzeitig kontrollierend ins Orchester geschaut, und der Tubaspieler musste sein voluminöses Instrument immer wieder an- und absetzen, kriegte das aber ganz ohne störende Geräusche hin.

Die Musik? Naja, Klassik halt. Nette Stellen, schöne Melodien, aber auch mal ein bisschen Wumms und Rhythmus. Durchreichen der Themen durch die jeweils fast solo spielenden Instrumente, aber auch mal alle gemeinsam ordentlich Druck machen. Das eine Konzert ist noch in Russland entstanden, das andere dann schon im Exil in Amerika. Bisschen Jazz und Broadway hört man also manchmal schon durch. Ich habe wirklich keine Ahnung von sowas. Aber in eins der Konzerte kann ich ja nochmal reinhören, bei den ausrangierten Platten meiner Eltern müsste eine alte russische Pressung dabei sein.

In der Pause haben wir uns den Rest des Gebäudes noch kurz ein bisschen beguckt. Die Treppengeländer und Wände verwenden hier einen dunkleren Ton, ich hab auf Mahagoni getippt, so albern gestreift wie das aussah. Die Lampen überall klein und quadratisch und an den Decken in Vierergruppen. Das Wandbild im ersten Stock zeigt »unser sozialistisches Leben«, hat aber neben Arbeitern, Wissenschaftlern, Künstlern und Kosmonauten die Bauern ganz vergessen. Was da los? Dafür gabs eine Friedenstaube in der Mitte. Vom Balkon aus konnte man den Altmarkt überblicken, auf dem schon ein riesiger Weihnachtsbaum für den Striezelmarkt stand, noch ungeschmückt, aber immerhin. Eine Etage weiter oben Bildschirme und ruhigere Atmosphäre, hier ist schließlich auch ein Teil der Städtischen Bibliotheken zu Hause.

Der zweite Teil des Konzerts dann mit einem simplen, aber schönen kleinen Ohrwurm, den wir also im vierten Klavierkonzert vermutet, später aber in den Büchern meiner Eltern als Teil des dritten gefunden haben. Wer hat sich da geirrt? Genauere Recherchen zeigten: sie haben uns einfach zuerst das vierte und erst danach das dritte Klavierkonzert von Rachmaninow vorgespielt. Warum? Keine Ahnung. Wer geht denn heute noch chronologisch vor?