Katharina mag ja die Irnini Mons. Also hat sie uns, als es hieß, die Band komme mal wieder rum, zwei Tickets besorgt. Ach nee, hat sie nicht, weil es für das Supamolly ja gar nicht sowas wie digitalen Vorverkauf gibt. Ist ja schließlich eine gute alte linksradikale Szenekneipe aus den guten alten Hausbesetzertagen. Sie haben aber auf drängende Nachfragen per E-Mail eingeräumt, dass sie uns zwei Tickets reservieren. Das hat Katharina hinreichend beruhigt, glaubich.
Kurz vorher hieß es dann, losgehen täte es erst halb zehn, also gar nicht so früh wie heutzutage gern üblich, aber für einen Freitag ist das ja eigentlich okay. Konnten wir noch gemütlich ein paar Tiefkühlpizzen zum Abendbrot verspeisen und uns nach einem kurzen Disput über die Mediennutzung des daheimgebliebenen Teenies in die Tram setzen. Weil man ja mit Straßenbahn und einmal umsteigen ein bisschen dichter an das Supamolly rankommt als mit der Ringbahn, obwohl man dabei natürlich einen sinnlosen Bogen durch Weißensee und Lichtenberg macht, aber ein halbes Stündchen in der Tram sitzen statt bei Minusgraden übers Eis der ungeräumten Gehwege zu schliddern, das ist ja eigentlich auch okay.
Ich war da ja noch nie. Im Supamolly. Kannte ich nur vom Namen her. Irgendwann vor Jahr(zehnt)en standen wir, in welcher Konstellation auch immer, mal davor, wollten dann aber doch nicht rein, warum auch immer, ich erinnere mich natürlich nicht mehr.
Vor dem Laden standen schon einige Personen, drinnen gerammelt voll, nirgends eine Bühne oder ähnliches, das auf ein Konzert hindeuten könnte. Falscher Eingang? Falsches Datum? Nochmal raus und gucken. Nö, alles richtig. Beim Blick in die Schaufenster der Nachbarhäuser kam uns aber auf einmal die Band entgegen und Katharina hat gleich nachgefragt und die Schlagzeugerin hat uns dann wieder mit zum Laden begleitet. Das Tor zur Einfahrt, an dem sie dann gerüttelt haben, war aber zu, also wieder durch die Kneipe, die auf einmal recht leer war, und siehe da, in der linken Wand war eine Tür offen, die uns durch den Hausflur in einen Gang hineinführte, wo schon etliche Leute Schlange standen. Lauter alte Plakate an der Wand. Mord und Totschlag und so, die ganze alte Chose, was war das gleich nostalgisch. Und alles voll mit Aufklebern, zum Teil ganz lustiges Zeugs, hab aber schon wieder alles konkrete vergessen.
Eintrittspreis dann sechs Euro plus Spende, wir haben also einen Zwanni bezahlt. Garderobe gabs sogar auch, war vorerst noch etwas kühl ohne Jacke, aber das würde sich ja mit Sicherheit mit der Zeit geben. Treppen runter und um noch ein-zwei Ecken, ich hatte schon total den Überblick verloren, in welcher Richtung eigentlich die Straße liegen müsste, aber das muss man ja während eines Konzertes auch nicht wissen. Alles ganz dunkel und verwinkelt und oll, die rohen Wände fantasievoll, aber dilettantisch dekoriert, keine Ahnung, wie man das vernünftig beschreibt, jedenfalls genauso wie ich das von früher aus all den anderen Hausbesetzer-Kneipen und Clubs in abgeranzten Industriegebäuden aus Dresden und Leipzig und Berlin kenne. Findsch guddi, dasses sowas immer noch gibt. An einem Tisch im Gang wurde von der Band schon Merchandise ausgepackt, T-Shirts und irgendwelche anderen Sachen, und auf der Bühne hing sogar eine richtige tourmäßige selbstgemalte Irnini-Mons-Flagge mit schicker Grafik, den kosmischen Bandnamen aufgreifend und sowas wie Kometen und Vulkane darstellend.
Wendeltreppe nach oben gabs einen Tresen und ein paar Plätze zum von oben auf die Bühne gucken. Bier kost zwei Euro, da zahlt man ja in manchem Späti mehr. Sind die hier etwa gar nicht an Geld interessiert? Warten und rumlungern. Am Mischpult jemand mit Nietengürtel und Lederweste, man kanns auch übertreiben mit den Klischees, fehlt nur noch der Bart, ach nein, das ist ja eine Frau, dann tatsächlich alles anders. Komisch eigentlich. Katharina guckt sich nochmal das Merchandise genauer an, inzwischen sind sie ja fertig mit auspacken. Irgendwelche Siebdrucke. Und Buchstaben-Perlen-Armbändchen mit ACAB, aber auch mit Irnini Mons. Und das T-Shirt mit der Kosmos-Grafik eigentlich ganz schön, in weiß und grün eher so lala, aber in blau vielleicht? Die Farbe stellt sich später als lila raus, was man unter der farbigen Beleuchtung an der Stelle nur schwer sehen konnte.
Dann irgendwann die Vorband. Zwei Frauen an Bass und Gitarre, ein langhaariger Schlagzeuger am Schlagzeug. Hat ordentlich losgerockt und klang dabei auffallend deutlich nach Nirvana, auch was den kratzigen und immer wieder leicht abgedrehten Gesang anging, das hat sich mit den folgenden Liedern ein ums andere Mal bestätigt. Zwischendurch Probleme mit der E-Gitarre. Und englische Ansagen, die offenbar kommentiert und also erklärt wurden: dass ja nicht alle im Publikum des Deutschen mächtig wären, deswegen. Nett eigentlich; ich fand das ja an anderer Stelle auch schon mal albern, dass deutsche Bands vor deutschem Publikum einen auf Englisch machen, aber … hatse schon recht.
Nicht schlecht, aber der große Nirvana-Fan war ich ja noch nie. Schwachpunkt war meines Erachtens der Schlagzeuger, der im Zweifel immer zu viel gemacht hat und dabei an der einen oder anderen Stelle leider aus dem Takt gekommen ist. Oder warens die anderen? Aber eigentlich gehört das zum Grunge ja auch dazu. Und ich bin ja auch weit entfernt davon, handwerkliches Geschick und technische Raffinesse einzufordern. Also alles in Butter. Bisschen langweilig halt auf Dauer.
Wir standen die ganze Zeit am Rand neben einer Nische, von der ich erst später mitbekam, dass sie nochmal zwei-drei Stufen nach unten führte, wo sich dann eine Tür befand. Wollte mich im voller werdenden Saal schon wundern, warum der eine Typi den Raum in der Nische nicht einfach nutzt und einen halben Schritt zurück macht. Ansonsten hingen zwar überall Verbotsschilder, was Rauchen und Fotografieren angeht, aber daran hielt sich das linksradikale Publikum natürlich nicht, hallo, Vorschriften oder was?! Die Luft war aber erträglich, es hing ja eine Lüftungsanlage an der Decke. Und in der Pause sind wir dann, nachdem ich mir ein weiteres Bierchen gegen den Pizzadurst geholt hatte, ein Stückchen nach vorne gerutscht, um bei der Hauptband bessere Sicht zu haben. Der Umbau war schon im Gange, Effektpedalpaletten wurden platziert und verkabelt, selbstgebastelte Bommelketten wurden an die Mikrofonständer gebammelt.
Und nachdem sich die Gitarristin wie vorausgesagt nochmal ein bisschen mädchenhafter umgezogen hat, gings auch schon los. An Details erinnere ich mich nicht mehr, war mal wieder richtig super, der Bassist sah anders aus, als wir ihn in Erinnerung hatten, aber der Lockenkopf und der Bart passten ins Schema, die Schlagzeugerin hatte die Haare etwas länger und in zwei süße Zöpfchen geflochten und hat immerzu spitzbübisch in alle Richtungen gegrinst wie ein Honigkucheneinhorn, der Gitarrist ein Schlacks in schicken karierten Hosen, der mich an eine junggebliebene Mischung aus meinem Mitschüler Jens und meinem Großcousin Klaus erinnerte, die hübsche Gitarristin abwechselnd mit Natalie-Portman-Lächeln und mutwilliger Schnute, zwischendurch gern zum anderen Gitarristen herüberlaufend, um ein bisschen rockermäßig herumzuposen. Die Songs Montreal und Feu de Joie wieder einsame Spitze. Aber verstehen tu ich natürlich nach wie vor kein Wort. Singen die was doofes?
Als Ausrede, warum sie keine Zugabe spielen können, haben sie dann nochmal bestätigt, dass der Bassist neu ist. Und der kann noch gar nicht so viele Songs. Soso. Na gut. Dann hat sich die Katharina eben ein T-Shirt gekauft, dass also als lila angepriesen wurde und beim Herausnehmen aus der Ecke auch so erkennbar war. Sehr gut, besser als doofes langweiliges Blau. Und auf die Frage, was das für sieb- o.ä. gedruckte Zettelsammlungen seien, hat sie noch ein Tütchen mit den Lyrics der letzten Platte erstanden. Ob mir das aufgeschriebene Französisch beim Verständnis der Texte helfen könnte? Eher nicht. Inzwischen war es schon nach Mitternacht, wir haben uns also unsere Jacken wieder abgeholt, ich bin in der Kneipe nochmal aufs Klo gehuscht, und dann haben wir uns auf den Weg zur U-Bahn gemacht, das mit der Straßenbahn funktioniert um diese Uhrzeit nicht mehr so schön.
Zu Hause überall Licht, das Mädel im Bett. Der Junge sowieso in Dresden, den Cousin besuchen. Konnte ich in Ruhe noch ein kleines übriggebliebenes Stück Pizza vom Vorabend wegspachteln.