Verständigung, Verständigung

Zwei Frauen, zwei Betrugsmaschen, zwei Verständigungen auf jeweils zwei Jahre Bewährung.

Krischan am

Obwohl ich mal wieder viel zu früh im Gericht angekommen bin, saßen da schon mehrere Leute vorm Saal 135 auf den Bänken, zwei, wenn ich mich recht erinnere, jeweils allein auf einer Bank, eine dritte war nämlich noch frei für mich. Ich bin aber erstmal schnell aufs Klo gehuscht, ich will ja auf keinen Fall um eine Verhandlungsunterbrechung bitten müssen, nur um aufs Klo zu gehen, und da ich früh immer eine ganze Kanne Tee trinke, muss da so einiges wieder raus.

Auf dem Zettel mit den anberaumten Verhandlungen standen diesmal nicht nur die Namen der Angeklagten, sondern richtig offiziell auch die N(achn)amen des Richters und der Schöffen. Cool. Die Beisitzerin haben sie aber weggelassen. Der zweite Schöffenname war für beide Verhandlungen identisch, und es sollte sich auch herausstellen, dass die eine Person da auf den Bänken meine Partnerschöffin für dieses Jahr ist, die nun zum ersten Mal zum Einsatz kam. Es ist nicht ihre erste Schöffenperiode und irgendwie hatte sie wohl früher immer eine Abfrage für den Urlaub erhalten und sich darauf zurückgemeldet, statt sich proaktiv bei der Schöffenabteilung zu melden, wie ich das lobenswerterweise tue, und prompt lagen die ersten Termine dieses Jahr mitten in ihren Urläuben.

Zweite Überraschung war der unbekannte Richter, der dann in Begleitung der obligatorischen hübschen jungen Beisitzerin das Beratungszimmer betrat. Guten Tag, so und so, der Richter der Abteilung 213 sei erkrankt und jetzt also Vertretung, noch keine Zeit gehabt, tiefer in die Akten hineinzuschauen, ein Stapel von mehrere Ordnern, bestimmt dreißig Zentimeter hoch, landete auf dem Tisch. Was wir denn beruflich so machen würden. Auch was mit Zahlen (die zweite Schöffin ist irgendsowas wie Verwaltungsbeamtin mit ökonomischer Ausbildung), das sei gut, die Beisitzerin habe ja auch Erfahrung in Wirtschaftssachen, es gehe nämlich im ersten Fall um eine Steuersache, Hinterziehung durch eine Event-Management-Firma, Schadenssumme eine knappe Million, die Fälle lägen aber mit zehn bis fünfzehn Jahren schon recht lange zurück, aber offenbar sei ja hier eine Verständigung geplant, so wenige Leute sind geladen. Gar keine Zeugen. Das kann ja klappen und spart eine Menge und hat ja auch schon ein paar mal geklappt und ist offenbar ohnehin so Usus in der Abteilung.

Zwei Anwälte, eine Angeklagte, eine Frau von den Steuerbehörden, Staatsanwalt und wir vier Richter. Und ein Justizbeamter. Und Besucher waren auch welche da, oder? Die Rechtsanwälte waren offen für eine Verständigung, der Staatsanwalt auch, also wurde die Verhandlung für zehn Minuten unterbrochen, die Angeklagte verließ den Saal, und an dieser Stelle darf ich vermutlich gar nicht weitererzählen, fällt mir grade ein, weil unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Dabei war das schön hin und her und durchaus etwas chaotisch, was den Wissens- und Datenbestand der einzelnen Beteiligten betraf. Jedenfalls hat man sich auf die Rahmenbedingungen der Verständigung geeinigt, die wir Richter dann nochmal kurz beraten haben. Dabei hat uns der Richter noch ein paar Erläuterungen geliefert, was so alles zu einer Verständigung gehört, was zu beachten ist und was keinesfalls Teil einer Verständigung sein darf, damit sie auch Bestand hat. Platz auch für ein paar Storys aus dem Nähkästchen.

In der dann fortgesetzten Verhandlung hat der Richter den Beschluss der Verständigung diktiert (Buff hat er das genannt, »beschlossen und verkündet«), nämlich welche Fälle nach 154 StPO einzustellen sind, welche Fälle als verjährt ganz entfallen, und dass bei einer geständigen Einlassung der Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe von ein und einem Viertel bis anderthalb Jahren verhängt werden könne, auszusetzen auf eine zweijährige Bewährung. Alle waren einverstanden, der Staatsanwalt, die Rechtsanwälte und auch die Angeklagte.

Dann musste die Anklage verlesen werden. Nein, erst noch schnell die Personalien klären: Jahrgang 73, zwei erwachsene Kinder, das jüngere aber noch zu Hause, deutsche und griechische Staatsangehörigkeit, Job in der Logistik mit 750 Euro Monatsgehalt. Dann also Anklageschrift, langes Ding, das kann verkürzt werden, alle anderen kennen sie ja schon. Zehn Fälle Steuerhinterziehung, heißt unrichtige und unvollständige Angaben an die Steuerbehörden und so weiter. Die Rechtsanwälte bemängelten daraufhin, dass das hier gar nicht die aktuelle Anklageschrift sei, hier würde nämlich noch der Ehemann der Angeklagten als weiterer Beschuldigter genannt, dessen Verfahren aber inzwischen eingestellt wurde. Die geständige Einlassung folgte aber, sie räume alles ein und es tue ihr leid, so der Rechtsanwalt, und er erging sich in Details über das Geschäft der Angeklagten.

Der Staatsanwalt unterbrach das irgendwann, er wolle nun doch nochmal die aktuelle Anklageschrift verlesen. Der Richter freute sich, dass es keine Zuschauer gebe, die dieses Chaos mit ansehen müssten, doch eine war da ja, die sich als Schwägerin zu erkennen gab. Also keine so richtig echte Öffentlichkeit. Jetzt die Anklageschrift nochmal, kaum Änderungen, Unterbrechung durch den Richter bei den Fällen #6 und #7, die ja nun verjährt seien, und interessiertes Oha bei der Erwähnung der Einziehung, die bei der vorherigen Anklageschrift nämlich merkwürdigerweise gefehlt hatte.

Dann fuhr der Rechtsanwalt fort mit seiner Beschreibung der türkischen Hochzeiten, viele Leute und überhöhte Barzahlungen, dazu Ausgaben für Personal, Catering, DJs und Limousinen, so als wäre uns das neu, dass man als Geschäftsfrau nicht nur Einnahmen, sondern auch Ausgaben habe. Die lange Dauer des Verfahrens habe der Angeklagten zudem sehr zugesetzt, seit mehr als zehn Jahren hinge das Verfahren wie ein Damoklesschwert über der Angeklagten. Diese stimmte dieser Erklärung zu. Erkundigungen bei der Steuertante nach der aktuellen Schadenssumme blieben erfolglos, der Rechtsanwalt (warum waren das eigentlich zwei?) erwähnte Zwischenverhandlungen, und in der Zwischenzeit hat der Staatsanwalt die neue Schadenssumme mit seinem Taschenrechner ausgerechnet: reichlich 400 000 Euro. Der Rechtsanwalt ist auf eine ähnliche, aber niedrigere Summe gekommen, hatte aber auch nur mit gerundeten Zahlen gearbeitet. In der Zwischenzeit ist ein Registerauszug in den Akten aufgetaucht: keine Einträge, also tatsächlich keine Vorstrafen. Beweisaufnahme abgeschlossen.

Plädoyer Staatsanwalt: besonders schwere Fälle von Steuerhinterziehung mit hohem Schaden, aber andererseits lange her und geständig, also Gesamtstrafe von 18 Monaten, auszusetzen auf zwei Jahre Bewährung, zudem Einziehung der Schadenssumme. Plädoyer Rechtsanwalt: Geständnis sei als besonders verfahrenserleichternd zu werten, da die 64 Zeugen nicht geladen und gehört werden mussten, die lange Dauer der Verhandlungen hätte sich einschüchternd auf die Angeklagte ausgewirkt, eine Strafe am unteren Ende des vereinbarten Korridors sei also angemessen. Die Angeklagte stimmte dem zu.

Beratung im Beratungszimmer. Die Protokollführerin kam schonmal rein und fuhr den PC hoch und meldete sich an, der vertretende Richter tippt nämlich gern selber und lässt dann nur nochmal drübergucken und Details ergänzen. Wir haben uns wie fast immer irgendwo in der Mitte geeinigt. Zusätzlich kam hier eine sogenannte Schadenskompensation zum Tragen, die bei sehr langen Verfahren (»rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung«) anzuwenden ist: drei Monate der Strafe gelten als bereits abgegolten. Bei Bewährungsstrafen wird das kaum Auswirkungen haben, es sei denn, die Bewährung wird widerrufen und die Verurteilte muss wirklich ins Gefängnis. Der Richter tippte also selbst das Urteil ein und erzählt nebenher ein paar Storys, von wegen da gabs mal so einen Fall, erklärt uns Schöffen und der jungen Beisitzerin auf diesem Wege aber auch das eine oder andere Detail, was so alles in den sogenannten Tenor mit aufgenommen werden muss.

An dieser Stelle enden meine Aufzeichnungen, es gab also nur noch eine Urteilsverkündung, mit der meiner Erinnerung nach auch alle einverstanden waren. Der Richter ist dann nicht nur mit seiner Beisitzerin Kaffee trinken gegangen, sondern hat uns Schöffen auch dazugebeten. Nu gugg. Also waren wir zu viert gegenüber im Café, und dort gabs weitere Storys über Kollegen und die Digitalisierung und die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den Reaktionen der Staatsanwaltschaften, wenn man von dort ans Gericht wechselt, das haben offenbar beide Richter hinter sich, er schon vor Jahrzehnten, sie erst vor kurzem.

Danach hatte ich einige Zeit totzuschlagen, zu wenig, um noch sinnvollerweise nach Hause oder ins Büro zu fahren, aber zu viel, um nur so rumzusitzen. Also bin ich ein bisschen durch die Gegend gestromert, am ulkigen Gebäude B auf der Wilsnacker Straße vorbei, das nun fast gar nicht mehr eingerüstet ist, über den kleinen Kriegsgräberfriedhof gegenüber, weiter an die Spree und auf dem Rückweg am Gerichtsgebäude auf der Kirchstraße vorbei und noch einen Kringel um den sogenannten Kleinen Tiergarten. Dort hab ich mich kurz auf eine Bank gesetzt und den Nachtigallen zugehört.

Beim Wiedereintritt in das Amtsgericht hatte ich meine Ladung nicht dabei und musste mal wieder durch die Sicherheitsschleuse. Diesmal waren die Herren aber nett und wollten auch mein benutztes Taschentuch nicht sehen, den Vorschlag, es wegzuwerfen, habe ich aber abgelehnt, weil ich ja tatsächlich Tücher verwende und kein Papier. Vor dem Saal schon wieder Leute, auf dem Aushang aber inzwischen die Namen mit blauem Kuli durchgeschmadert, dabei hat sich ja nur der Name des Richters geändert, nicht aber die der Schöffen. Nu ja. Kurzer Plausch mit meiner Mitschöffin, den Namen hab ich mir noch gar nicht gemerkt und auch Handynummern haben wir nicht ausgetauscht, aber ein bisschen über unsere Berufe und den letzten Fall gesprochen. Ob ich nicht im Öffentlichen Dienst arbeiten will, da werden Informatiker gebraucht, sie hätte ja neulich versucht, auf berlin.de eine Seite für sich und ihr Amt einzurichten, grauenhaft. Hab die Seite aber später gefunden und weiß nun ihren Namen.

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Dann aber. Inzwischen ist auch eine Akte zum zweiten Fall aufgetaucht, am Morgen hatte der Richter noch gar keine, der Rechtsanwalt hätte sie sich mitgenommen. Als der irgendwann auftauchte, hat ihn der Richter gleich nochmal hopsgenommen mit der Behauptung, sie wäre immer noch nicht da. Haha. Jedenfalls 41  Fälle von Abrechnungsbetrug in einer Physiotherapie-Praxis, Schadenssumme knapp 300 000 Euro, der Aktenstapel wieder so ein Ungetüm aus acht dick gefüllten Ordnern. Urkundenfälschung war nicht Bestandteil der Anklage, weil nicht zweifelsfrei zu ermitteln war, ob die Verordnungen von der Kollegin gefälscht oder vom Arzt tatsächlich unterschrieben worden sind.

Den Rechtsanwalt kannte ich übrigens schon aus dem letzten (oder diesem?) Jahr, eine angenehm spontan wirkende Labertasche, gerade im Unterschied zu den beiden geschniegelten Wahlanwälten des ersten Falles eine interessante Abwechslung. Die Protokollantin, eine andere als noch am Vormittag, kannte ich auch schon, das war die vom letzten Mal. Allzu viele verschiedene haben die ja vermutlich nicht in den einzelnen Abteilungen. Hätte ich bestimmt auch bewusster begrüßen können, aber sowas ist halt immer noch so gar nicht meins.

Huch, mein Stift schrieb nicht mehr, der Kuli, den mir Petra letztes Jahr mal geborgt bzw. geschenkt hatte, aber ich konnte mir noch schnell einen anderen aus der Tasche im Beratungszimmer holen, das Verfahren war ja noch nicht offiziell eröffnet worden. Dann die Personalien: Jahrgang 79, türkische Staatsangehörigkeit, ein erwachsenes Kind zu Hause, Job als Bürokraft mit etwa 600 Euro Monatseinkommen, Jobcenter zahlt erheblich zu. Der Staatsanwalt fragte nach einer Gewerbeanmeldung, die er gefunden hatte, Geräte mit Gewinnmöglichkeiten oder so, aber die war nicht mehr aktuell.

Die Anklageschrift listete Fälle des gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs auf, bei dem Verordnungen bei den Krankenkassen eingereicht wurden, deren Leistung gar nicht erbracht worden sind. Details, wie die Verordnungen in die Praxis gelangt sind und wer sie unterschrieben oder gefälscht hat, waren nicht Teil der Anklage, hier ging es nur gegen die Geschäftsführerin der Praxis, die diese Verordnungen abgerechnet und somit das Geld ergaunert hat. Der Richter wies darauf hin, dass das mit dem bandenmäßig entfalle, weil das Verfahren gegen den angeklagten Arzt aus Mangel an Beweisen eingestellt worden sei, somit seien nur noch zwei Personen als beteiligt anzusehen (neben der hier Angeklagten noch die MTA, die sowohl in der Physiotherapie als auch in der Arztpraxis gearbeitet hat, aus der die Verordnungen stammen), und zwei seien zu wenig für eine Bande. Damit sinke die Einordnung der Tat auf ein Vergehen.

Es bestehe offenbar ein Interesse an einer Verständigung, so der Richter. Eine bewährungsfähige Strafe sei angestrebt, zudem sei eine Verjährung der ältesten Fälle zu prüfen, da ja jetzt keine Bande mehr. Der Staatsanwalt konnte sich einen Strafkorridor von anderthalb bis zwei Jahren vorstellen, der Rechtsanwalt bestand eigentlich nur auf der Bewährungsfrist von zwei Jahren und schwadronierte noch etwas herum von Einziehung der vollen Summe, obwohl ja noch andere beteiligt waren, obwohl er selbst zugeben musste, dass daran kein Weg vorbei geht. Schadenswiedergutmachung gebe es noch keine, aber die Krankenkassen würden schon gegen die Angeklagte vorgehen, ohne das Urteil abzuwarten.

Wir haben nach einer kurzen Beratung den Strafkorridor des Staatsanwaltes übernommen, und der Richter verkündete die Verständigung: bei einer geständigen Einlassung sei mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von anderthalb bis zwei Jahren zu rechnen, auszusetzen auf eine Bewährung von zwei Jahren, ohne weitere Auflagen. Die Angeklagte war ebenfalls einverstanden, die Fälle #1 bis #4 wurden eingestellt, und warum ist mir in diesem Moment aufgefallen, dass jetzt zwei Besucher mehr im Saal saßen? Vorher war nur einer da sowie die blonde Begleitung des Rechtsanwaltes. Der Rechtsanwalt verkündete jedenfalls erwartungsgemäß die geständige Einlassung der Angeklagten, garniert mit Informationen darüber, dass die Angeklagte gar nicht mehr genau wisse, wieviel sie von dem ergaunerten Geld abbekommen hätte, und auch von ihrem Anteil hätten weitere Personen profitiert. Je nun.

Trotz des Geständnisses hat der Richter daraufhin den geladenen Zeugen aufgerufen, einen Kriminalkommissar, der seinerzeit mit dem Fall befasst war. Er konnte recht detailliert berichten, wie üblicherweise in solchen Fällen vorgegangen wird, hier hat eine anonyme Anzeige den Stein ins Rollen gebracht sowie eine Strafanzeige einer Abteilung des LKA, das würde dann regelmäßig zu einer Überprüfung der Abrechnungen und des Personalstandes führen, und die hätte ergeben, dass das Abrechnungsvolumen nicht zum Personalstand passte, was ein hinreichender Anfangsverdacht war, um die Praxis zu durchsuchen. Dort fehlten etliche Dokumentationen, die es eigentlich hätte geben müssen. Er selbst war in der benachbarten Arztpraxis, aber nicht in der Physio, und die Verdächtigten hätten sich zwar nicht eingelassen, aber wären kooperativ gewesen. Die Vorwürfe hätten sich dann erhärtet, die Umsätze seien viel zu hoch gewesen, die Unterschriften der Patienten hätten auch nicht übereingestimmt, und das Geld ging auf das Praxiskonto der Physio, von wo es bar angehoben wurde, bei den Durchsuchungen wurde jedoch keins gefunden. Warum das Ermittlungsverfahren erst im vorletzten Jahr im Gericht angekommen sei, konnte er nicht sagen, auch diese Fälle lagen nämlich nun schon fast zehn Jahre zurück.

Keine Vorstrafen. Der Staatsanwalt würdigte das Geständnis, hob aber auch den hohen Schaden hervor und plädierte wegen der nun nur noch 37 Fälle für eine Gesamtstrafe von zwei Jahren, auszusetzen auf eine Bewährungszeit von zwei Jahren, dazu die Einziehung der immer noch knapp 300 000 Euro. Der Rechtsanwalt erinnerte an die schwierige Beweiserbringung, die ohne ein Geständnis mit vielen Zeugen und Fragen nach lange zurückliegenden Details fast unmöglich gewesen wäre, die Angeklagte hätte auch gelitten, ohne klarzumachen woran, und der frühe Termin der Anklage, ich konnte ihm nicht folgen, keine Ahnung, was er uns zu sagen versuchte, jedenfalls gäbe es eine gute Prognose, die Angeklagte sei seit 2018 nicht mehr straffällig geworden, er wolle aber aus Prinzip keinen konkreten Strafantrag stellen, das wäre irgendwie dings, wenn der Staatsanwalt eine hohe und er dann als Antwort eine niedrige, also nein. Das fand ich ja letztes Jahr schon so komisch. Die Angeklagte schloss sich dem aber trotzdem an.

Und wir haben uns dann im Beratungszimmer eher an der unteren Kante des Korridors orientiert, sind aber ein Stück oberhalb geblieben, um den Staatsanwalt nicht ohne Grund zu ärgern. Oder so. Wieder viel Zeit für Storys und Erklärungen, interessant interessant, aber leider dem Mantel des Schweigens anvertraut. Im übrigen gab es leicht amüsiertes Hallo, weil der PC im Anmeldefenster die Vornamen der Protokollführerin verraten hat, ob ihr das wirklich peinlich war oder eigentlich in Wirklichkeit nicht ganz so, kann ich schlecht beurteilen, so abwegig oder abgedroschen waren sie auch gar nicht, ich hab sie sowieso schon wieder vergessen, den dazugehörenden Nachnamen erst recht.

Als wir zur Verkündung des Urteils wieder im Saal auftauchten, stand da auf einmal ein aufgeregter Typi und wedelte mit einer Ladung, die er für diesen Tag für diesen Saal bekommen habe, obwohl die Verhandlung schon seit Tagen gestrichen war, wovon er aber bis grade eben nichts erfahren habe, keine Abladung, aber die Ladung auf mehreren Wegen. Da er nicht locker ließ, hat sich der Richter dann doch die Eckdaten aufgeschrieben und versprach dem Polizeibeamten eine Intervention.

Bei der Verkündung des Urteils müssen dann übrigens alle im Saal aufstehen, auch die Besucher, das musste der Justizbeamte den beiden durch die Hintertür hereingelassenen Gästen von vorhin doch nochmal nahelegen, ich hätte das an deren Stelle auch nicht unbedingt gewusst, wäre aber in der Situation vermutlich sicherheitshalber mit aufgestanden, schadet ja nicht, auch wenns nicht nötig ist. Darf man aber während der Verhandlung eher nicht, oder?

Der Richter ging dann bei der Urteilsbegründung nochmal auf dies und das ein, das wiederholt ja im Grunde immer nur die Argumentation der Plädoyers, Geständnis, mehrere Beteiligte, Geld weg, aber zuerst ja auf dem Konto, über das die Angeklagte verfügen konnte, und die Einziehung sei mithin vom Gesetz so vorgeschrieben.

Und dann wars schon früher Nachmittag, ich hab meinen Stundenzettel bekommen, der die ganze Zeit beider Verhandlungen inklusive der langen Pause dazwischen umfasst, habe die Danksagung des Richters wahrscheinlich irgendwie nicht so richtig gewürdigt, sondern mich flugs verabschiedet und meine Anträge der letzten Verhandlungen zur Berechnungsstelle gebracht und eingeworfen, das Pult und der Briefkasten stehen jetzt ein paar Meter weiter, nicht mehr mitten im Gang, sondern in einer Ecke einer Gangkreuzung oder wie man das nennt, da steht man vielleicht weniger im Weg, aber kurz dachte ich, ich hätte mich verlaufen, als nicht alles an seinem gewohnten Platz war.