Den Einstieg in die Konzert-Saison macht schon wieder Motorpsycho im Festsaal Kreuzberg. Dabei ist das Konzert tatsächlich erst Ende letzten Jahres geplant worden, jedenfalls haben wir unsere Tickets (Nummer 49 und 50) am 17.12. gekauft.
Juri ist mit seinem CLIL-Kurs die ganze Woche in Brüssel, und auch Emma längst alt genug, um einen Abend allein zu Hause auszuhalten, so dass ich schon direkt nach dem Abendbrot zum Aufbruch drängeln konnte. Heutzutage fangen die Bands ja erfreulicherweise immer nahezu pünktlich an. Diesmal sind wir linksrum gefahren, mit der S-Bahn bis Treptower Park und dann von Osten aus rübergelatscht. Mehr Fußweg zur Bahn, aber deutlich weniger zum Club. Dessen Eingang nun auch nicht mehr durch den Biergarten führt, sondern direkt an der Breitseite zur Straße hin offen war. Bisschen Schlangestehen, Handybildschirm mit QR-Code vom Ticket vorzeigen, Hand abstempeln lassen. Katharina musste noch kurz ihre Gürteltasche oder wie das heißt öffnen.
Jacke abgeben, Merchandise-Stand begutachten. Gelbe T-Shirts mit Pril-Blumen und hippieskem Make-Loud-Not-War-Schriftzug, blaue T-Shirts und grüne Kapuzenjacken mit Kraken-Grafik, viele Platten, ein paar Aufkleber, keine CDs, und vor allem: die aktuelle Tour-Single mit dem schönen Ülf-Ülf-Lied, über das wir uns letzten Winter so beömmelt hatten, in rotem oder blauem Vinyl zu haben. Die vage Antwort auf Katharinas Frage, ob denn genug davon da wären, dass man auch nach dem Konzert noch welche bekommt, hat uns beruhigt, wir wollten ja nicht die ganze Zeit damit in der Hand herumstehen, und in den folgenden Tagen standen ja noch mehr Konzerte an, da werden schon genug vorrätig sein.
Im Saal auch schon etliche Leute, laut Katharina überwiegend älter als wir, ich war mir gar nicht so sicher, und prompt scharwenzelte ein junges Teenie-Pärchen vorbei: bestimmt nicht der mitgekommene Sohn eines Fans samt Freundin. Natürlich ist auch Oliver Polak wieder da, sonst aber niemand, den ich (er)kennen könnte.
Diesmal mit Vorband. Eine ebenfalls norwegische Band, die eher als Jazzband angekündigt wurde, aber auch unter Prog-Rock firmiert und damit gar nicht soweit weg von Motorpsycho ist: ohne den Metal-Hintergrund natürlich, und ohne den Noise und den Space-Rock, insgesamt mehr so akademischer Prog-Rock mit nur ganz selten mal einem Verzerrer. Bis auf den Basser alle sitzend: bei Schlagzeuger und Keyboarder noch verständlich, beim Gitarristen wegen des zusätzlichen Synthesizers auch nachzuvollziehen. Eine lustige Zusammenstellung von schluffigen Typen, die in ganz unterschiedliche Schubladen passen würden, ginge man vom Äußeren aus, auf das offenbar ganz unterschiedlich viel Wert gelegt wird. Die Musik ist ganz okay und stellenweise sogar ziemlich gut und wird vom Publikum durchaus mit ordentlich Applaus gewürdigt. Needlepoint heißen die übrigens.
Ewiger Umbau, der Typ mit dem Deep-Purple-Shirt gehört also zum Technik-Team. Die anderen zwei sind offenbar Vater und Sohn und langhaarig und verbraucht genug für ein Leben als Roadie. Zeit für noch ein Bierchen und die Suche nach einem Platz weiter vorn. Nochmal Merchandise-Stand abchecken, Katharina hätte ja gern ein T-Shirt, kann sich aber nicht entscheiden und entschließen.
Der Bart ist ab. Hatten nicht beide Gitarristen beim letzten Mal diese viel zu langen Bärte? Davon ist fast alles wieder weg. Die Haare aber weiterhin lang, nur bei Snah wandert die Stirn immer weiter nach oben. Muss er sich überlegen, wie lange das noch gut aussieht. Wenn überhaupt. Der kurzgeschorene Schlagzeuger mit dem Tool-T-Shirt war beim Aufbau schon dabei und wurde nur nicht erkannt. Der strubbelige Keyboarder sieht immer noch aus wie gerade eben erst unter der Brücke hervorgezogen.
Sie spielen vor allem neuere Stücke, von denen ich ein oder zwei gar nicht kenne. Ich habe aber auch die letzte Platte kaum und in der letzten Zeit sowieso ganz andere Sachen und als Vorbereitung zum Konzert diesmal gar nicht wieder explizit in die Band reingehört, um nicht ständig was wiederzuerkennen, sondern möglichst unvoreingenommen zuhören zu können. Soweit das eben geht bei einer beinahen Lieblingsband. Die ersten paar Songs jedenfalls kenne ich, zumindest die grundlegenden Riffs, live sind die Sachen aber wie üblich gern mal ganz anders strukturiert und vor allem deutlich länger.
Zum Einsatz kommen vermehrt diese albernen doppelhalsigen Instrumente, obwohl ich nicht beobachten konnte, dass dann tatsächlich während des Stücks zwischen Bass und Gitarre gewechselt wurde. Außerdem war auch die Fußorgel wieder dabei, mit der Bent den Bass spielen kann, wenn beide eine Gitarre in den Händen halten und der Keyboarder auch mit seinem Keyboard beschäftigt ist (manchmal wechselt der ja auch an die Gitarre).
Zwei alte Gassenhauer kommen aber doch: »Greener« vom 1996er Album »Blissard« hat nur leider gar nicht funktioniert, das ruhige Stück lebt doch sehr von der Ausgewogenheit zwischen Gitarre und den langgezogenen Gesangslinien, die zumindest an unserer Position vorne rechts nicht gegeben war. Und leider boten gerade die ruhigen Akustik-Passagen des Stücks genug Raum für einen Hampelmann hinter mir, seiner Begleitung einen lautstarken Vortrag zum Song zu halten und dass der bestimmt zwanzig Jahre alt ist. Amateur.
Und als letztes und vermutlich längstes und auf jeden Fall phänomenalstes Stück des Konzerts haben sie »The Wheel« vom 1994er Album »Timothy’s Monster« gespielt, das ja ohnehin zu meinen Lieblingsliedern zählt mit dem herrlich dröhnenden und nicht enden wollenden Riff-Part, der sich am Schluss so wunderbar mit der fein schwebenden Melodie aus der ruhigen Passage vermischt. Alter Falter. Bestimmt eine halbe Stunde kollektives Kopfnicken und Haareschütteln im Blitzlichtgewitter, lange Haare müsste man haben. Zwischendurch ist der Song schon scheinbar zu Ende und alles pfeift und johlt, aber dann brettert er natürlich nochmal und womöglich sogar noch lauter los. Eine Wonne.
Eine kurze Zugabe, dann war Schluss, waren ja auch trotzdem um die zwei Stunden. Jedenfalls wars auf einmal schon halb zwölf.
Die schöne Wolfs-Single gabs dann noch für mich, in transparentem Altrosa. Katharina versenkte sie in ihrem vom letzten Konzert mitgebrachten Motorpsycho-Stoffbeutel, der dann auch gleich Nachfragen anderer Kunden provozierte. Ansonsten konnte sie sich mit den Pullis nicht so recht entschließen, der Krake (offenbar das Tour-Motiv; oder kommt der auch auf die neue Platte?) war zwar ganz nett, aber die Umsetzung auf den T-Shirts zu groß und/oder farblich nicht so fetzig und überhaupt. Als Rückseite auf einem Kapuzenpulli wäre das Ding gut, aber nicht als Jacke mit Reißverschluss wie im Angebot. Die anderen Platten hab ich alle schon, ein Trucker-Basecap trage ich nicht, und der Schlüsselanhänger hat Katharina nicht gefallen. Also ab nach Hause.
Diesmal wieder linksrum und also durch den Zipfel Kreuzberg durch, schnell noch ein Pizzastück für zwei nächtliche Hunger, über die stinkende Oberbaumbrücke und zur Straßenbahn, die uns dann wegen abweichender Linienführung an der Frankfurter Allee tatsächlich nochmal umsteigen ließ.
Bei Emma war noch Licht.
Um eins hing die Hose kalt über der Sofaecke.
Katharina am 6. Mai 2022
Reine Fiske ist übrigens der Name des Keyboarders/Gitarristen.