Ich hätte das Konzert ja fast übersehen und dann nach Katharinas Hinweis auch fast noch falsch eingeordnet, weil ich June of 44 und Joan of Arc immer verwechsle und selber die mathige Postrock-Band ganz gerne mag, die von Katharina lange Zeit sehr gemochte experimentelle Indie-Band aber nicht so, und ihr dann aber prompt unterstellt habe, dass es ihr um die zweitere Band ginge. Aber nein, es sollte tatsächlich June of 44 spielen, die wegweisende Band aus den späten Neunzigern, die sich vor einigen Jahren ja wieder zusammengefunden hat und nun also auch mal wieder in Berlin vorbeischauen wollte.
Hatse also Karten besorgt, die gutste, und ich mir einen weiteren Konzerttermin in den Kalender gepackt. Herrliche Arbeitsteilung.
Stattfinden sollte das Ganze in der Kuppelhalle eines Silent Green genannten Etablissements, von dem ich noch nie gehört hatte und das, wie sich herausgestellt hat, zur Abwechslung mal nicht in Friedrichshain oder Kreuzberg liegt, sondern im Wedding. Von dem ja seit einigen Jahren immer wieder behauptet wird, dass da jetzt auch Kultur wäre. Scheiß Gentrifizierung. Aber andererseits ist das ja auch nur eine Handvoll S-Bahn-Stationen von unserem inzwischen nahezu komplett kulturfreien Prenzlauer Berg weg. Nach dem Aussteigen zweimal um die Ecke, und schon standen wir vor einem in städtisches Grün eingebetteten Biergarten, neben dem sich ein Weg zu weiteren Gebäuden hinzog. Ein ehemaliges Krematorium ist das wohl. Wir folgten den Leuten vor uns, und ein paar Meter weiter stand auch schon ein Aufsteller, auf dem was von Sonic Morgue (das ist wohl die Veranstaltungsreihe) und June of 44 draufstand. Weitere Cafétische mit Kaffee- und Weintrinkern, zwischen denen wir durchmussten. Außentreppe hoch, auf der ein buntbehemdeter Langhaar-Kultureller uns in die korrekte Benutzung von Treppen und Türen einwies. Abendkasse dreißig Euro, aber wir hatten ja online ein bisschen günstiger gekauft und ausgedruckt; auch hier stand nämlich was von ausdrucken dran. Warum jetzt eigentlich nochmal genau?
Zwischen Eingangs- und Saaltür auf der rechten Seite ein kleiner Merchandise-Stand, der neben Platten und CDs auch ein T-Shirt feilbot. Sah gar nicht so schlecht aus. Auf der linken Seite gings zu einem weiteren Tresen, man musste also vielleicht gar nicht nach draußen und unten, um sich ein Bierchen zu holen? Die Kuppelhalle entpuppte sich als mittelgroßer achteckiger Raum, um den sich zwei Galerien mit lauter spitzbögigen Mini-Nischen zogen und der in einer der Ecken eine kleine flache trapezförmige Bühne aufwies. Dort stand ein Anzugträger mit Schlips und kurzgeraspelten Haaren und schwadronierte in britisch eingefärbten Englisch herum, während er handgemachten Techno (oder Drum & Bass oder wie diese Stilrichtung nun genau heißt) fabrizierte. Ein rudimentäres Schlagzeug aus Tom, Snare und Becken vor sich, daneben noch ein viereckiges elektronisches Schlagzeug und anderes E-Spielzeug, mit dem Fuß eine elektronische Bassdrum bedienend, vor der Nase ein Mikro. Einerseits ist das nicht meine Musik, andererseits hatte das durchaus straßenmusikalischen Unterhaltungswert, wie er da so alleine mit all den Gerätschaften hantierte und musizierte, aber letztlich hatte er irgendwas an sich, das mir unsympathisch war. Vielleicht hab ich ihm das Banker-Aussehen einfach zu sehr abgenommen.
Es war warm und ich hatte Durst. Nach einigem Zögern, ob es denn an der Bar da oben auch wirklich ein Bierchen für mich und eine Olle gäbe und nicht nur Kaffee und Kuchen, sah ich aber doch ein paar leere Bierflaschen herumstehen und hab mich angestellt. Die zwei Bedienungen hatten zu tun mit Aperol-Spritz-Bestellungen und elektronischen Bezahlmethoden, eine Kundin hatte mit der Menükarte zu tun, aber irgendwann konnte ich dann doch zwei kleine Pilsner für je 3,50 € bestellen. Und kaum hatte ich sie in der Hand, sah ich den aufmerksamkeitsheischenden schräggestellten Kopf einer mir bekannten Person vor mir auftauchen: das ist doch der Axel, und daneben der Jörg und der Klaus. Nu gugge. Die hatten wohl schon mit mir gerechnet, ich mit ihnen ehrlich gesagt eher nicht: ist ja doch eher eine spezielle Band, die zwar in Kennerkreisen hohes Ansehen genießt, aber außerhalb kaum einer auch nur vom Namen her kennen dürfte. Aber nein, Jörg ist extra am späten Nachmittag mit dem D-Zug aus Dresden angereist, am nächsten Tag gehts dann auch gleich früh um sieben wieder zurück, damit er pünktlich nach neune wieder daheeme ist. Das wäre wohl auch in Zeiten von Neun-Euro-Tickets ohne langes Vorausplanen erstaunlich billig zu haben. Sagter.
Schnell wieder in den Saal, mal gucken, was der Herr von der Vorband so treibt. Die üblichen Beats, die üblichen Vocal-Effekte, das übliche sinnlose Gelaber. Macht bestimmt Spaß. Zum Schluss gabs für ein paar weiter vorne stehende Gäste eine fotokopierte Postkarte mit Noten drauf, das ist laut Katharina, die auch dazu zählte, genau das richtige für Emma, damit sie das Zeug auch mal am Schlagzeug nachspielen kann.
Marsch nach draußen in die kühlere Abendluft. Auf der Treppe darf man aber nicht stehen, bitte Platz machen: der Einweiser fängt dezent an zu nerven. Wir bleiben aber da stehen und vervollständigen das übliche Geschwätz über Konzerte, Corona, Kinder und dies und das.
Dann hieß es auf einmal, in drei Minuten ginge es los. Es war ja laut Katharina auch von vornherein ein strenger Zeitplan aufgestellt worden. Schon vorher war die Schlange am Tresen zu lang, als dass ich mich für ein weiteres kleines Bierchen hatte anstellen wollen. Jetzt gings aber doch etwas flotter, und ich hab nicht allzu viel verpasst, als ich wieder im Saal war und mich zu Katharina in die zweite Reihe vordrängeln konnte. Hab kurz gezögert, ob ich mit den Jungs weiter hinten stehen soll, wollte aber doch lieber vor. Hab auch versucht, den Leuten nicht allzu sehr die Sicht zu verstellen. Wie immer das gehen soll, wenn man bisschen größer ist als die meisten anderen. Aber andererseits war auch weiter vorn immer noch ein bisschen Platz und der Saal auch nicht allzu voll. Es sollte also für jeden ein Platz zu finden gewesen sein.
Ich lass mich jetzt doch nicht gar zu sehr über das putzige Aussehen der älteren Herren auf der Bühne aus, oder? Anglerhut? Langer weißer Bart? Macht doch nichts. Postpunk ist über so Äußerlichkeiten längst hinweg, beim zwanzig Jahre später stattfindenden Revival erst recht.
Kann ich stattdessen was übers Publikum sagen? Nicht so richtig. Hatte kein Auge frei. Unauffällig. Nicht allzu männlich. Meistens älter, aber auch ein paar Jüngere dabei. Wo ich wieder mitgebrachte Nachfolger-Generation vermutete. So als könne man nicht von selber Musik aus den vergangenen Jahrzehnten für sich entdecken. Schnösel ich.
Lass ich mich über die Musik aus? Könnte ich mal versuchen. Obwohl der Sound ja am Anfang recht mies war. Viel PA war da aber auch nicht vorhanden, das heißt, die Instrumente werden im wesentlichen aus den Verstärkern auf der Bühne zu hören gewesen sein, und nur Schlagzeug und Gesang kamen aus den kleinen Boxen über der Bühne. Oder waren da noch welche unter der Bühne versteckt? Jedenfalls war es anfangs stellenweise noch schwierig, sich die verschiedenen Teile der Songs vernünftig zusammenzuhören. Zumal die Band ja genauso gern sehr leise spielt wie sie recht laut agiert. Allmählich wurde es dann aber besser, und es hat auch niemand den Versuch gemacht, den Gesang in den Vordergrund zu schieben, der bei dieser Mischung aus Post-Hardcore, Math-Rock und jazzigem Indie ja keine überragende Rolle spielt, aber in seiner halb gesprochenen, kaum mit Melodien versehenen Beiläufigkeit doch ein gewisses Understatement transportiert. Melodien und Hooks und Song-Strukturen waren dagegen eher nicht so viel bei. Mehr so Stimmungen. Und vor allem Rhythmus: der Schlagzeuger hatte eindeutig am meisten zu tun. Und hat immer so schön streng geguckt und den Kopf von links nach rechts geworfen.
Trotzdem fand sich immer wieder eine hochgereckte Faust und ein Mitsänger. Und jede Menge nickende Köpfe und wippende Füße. In den Pausen zwischen den Stücken Gejuchze und Gejohle. Und bei ein oder zwei Anfängen auch erkennendes Gejubel. An den leisen Stellen aber sehr disziplinierte Stille. Das ist natürlich ein Vorteil, wenn die Bar ganz woanders ist und weder Kühlschranktüren klappen noch Flaschen klirren.
Die meisten Songs kannte ich natürlich auch, von den viereinhalb Platten, die die Band veröffentlicht hat und die ich mir am selben Tag alle nochmal angehört hatte, ein oder zwei Stücke kamen mir aber doch unbekannt vor. Waren die von der neuen Platte? Aber da sind doch eigentlich nur Neu-Aufnahmen und Remixe alter Sachen drauf? Nach dem für das zahlenmäßig fast schon übersichtliche Publikum doch recht energischen Applaus kam noch eine kurze Zugabe mit zwei oder drei weiteren Songs, die nochmal ordentlich reingehauen haben, und dann wars auch schon um zehn und Schluss. Draußen wurde es ja auch schon dunkel.
Anstehen am Merchandise war in der Enge unmöglich, aber noch ein bisschen am Rande rumlungern und weiter von Kindern und Schule und Konzerten und Urlaub schwafeln. Katharina hat das T-Shirt nicht gekauft, weil es das nur in S und XL gab. Dafür hat sie mir die neue Platte geholt. Die liebe. Die gute.
Irgendwann Aufbruch. Die Jungs mit dem Rad. Wir wieder mit der Bahn. Noch zwei Absacker-Bierchen vor der kleinen Kneipe auf der Danziger. Am Nebentisch wurde Geburtstag gefeiert, so dass es ständig Ermahnungen hagelte, entweder leiser zu sein oder reinzugehen.
War schön jewesen.