Militärgewehr und rivalisierende Schulen

Wir waren aufm Konzert. Außerhalb vom S-Bahn-Ring.

Krischan am

Da sitz ich mal wieder im Büro statt zu Hause im Home Office, bin grad so richtig drin im Flow, keiner weiter da, der mich stören könnte, keine Kollegen mit Zwischenfragen, keine Kinder mit Wünschen, stattdessen neues Projekt, neuestes Typo3-System, handgestrickte Extension am machen, da guck ich warum auch immer auf die Uhr und stelle fest, dass es schon fast um sechs ist und ich ja noch nach Hause radeln und mich abduschen und Abendbrot essen und mich umhosen und mit der S-Bahn um die halbe Innenstadt drumrumfahren und vom Bahnhof Hermannstraße bis zum mir bislang noch unbekannten Hole 44 latschen muss, weil dort eine reichliche Stunde später schon der Einlass beginnt und eine weitere Stunde drauf auch schon das Konzert von Rival Schools. Also nüscht wie los.

War aber noch ’ne Vorband dabei. Also nicht ganz so hektisch. Und außerdem mit dem Radel, und auf der in der letzten Zeit zugunsten ruhigerer Nebenstraßen eher gemiedenen großen Bundesstraße (Potsdamer, Leipziger, Gruner, Otto-Braun, Greifswalder) geht’s ja flott voran. Stullen sind auch schnell abgeschnitten, hingestellt und gegessen. Und die Olle hat ihre Hose ja schon an, also kann’s auch gleich wieder losgehen. Und schwupps! waren wir schon um halb achte im Club drinne, wozu denn die Hektik? Offenbar ein ehemaliges kleines Theater oder Kino, es gibt eine Galerie zum Obenstehen, mit Stufen und Zwischengeländern und einer kleinen Extra-Bar, die Bühne ist mit einem reichlichen Meter eher ungewöhnlich hoch, genauso die Preise für die Getränke. Dafür war der Einlass-Heini erstaunlich freundlich bei seiner Ansage zu Stempel und fehlender Möglichkeit, während des Einlasses (was genau hat er damit gemeint?) wieder rauszugehen, und oben wäre auch noch eine Etage. Alles noch recht neu aussehend, der Name des Clubs ist mir ja auch erst in den letzten Wochen untergekommen, seitdem aber tatsächlich öfter, wird wohl erst vor kurzem aufgemacht haben. Oder hat sich umbenannt. Oder ist umgezogen. Oder ist unter neuer Bewirtschaftung. Na, egal.

Punkt achte ging’s wie heutzutage üblich auch gleich los mit der Vorband. Fünf jungsche Hanseln, die schonmal ganz sympathisch aussahen, aber der Sänger im Guided-By-Voices-Shirt hat mich gleich wieder angeödet mit seiner nervigen Ansage, sie seien aus »LA California« und »Move-up! Move-up! Move-up!«. Dass er dann in jedes zweite Lied ein »Uff! Uff!« spucken musste, hat den mittelguten Green-Day-Verschnitt auch nicht besser gemacht. Vielleicht lag’s auch nur am Sound, ich hatte anfangs den Eindruck, dass die Gitarren schlecht zu hören waren, aber das könnte auch daran gelegen haben, dass wir ein bisschen zu weit links standen. Wobei, auch darauf sollte ein Tontechniker vorbereitet sein. Zwischendurch gab’s auch noch ein paar schickere Songs, vor allem die flotter runtergerockten haben erheblich besser funktioniert und auch meinen Kopf mal ein bisschen nicken lassen. Aber leider immer wieder diese affigen Aufforderungen, nach vorne zu rücken, keine Angst, sondern Spaß zu haben und »Uff! Uff!« und sonstiges Blabla, als würde er hier den Unterhalter machen müssen oder sich jemand dafür interessieren, wer wann wo beim letzten Konzert der Band gewesen war und was er für’n toller Hecht ist und wie das nächste Lied heißt. Ein paar treue Fans hatten sie aber doch, die fleißig ihre Arme gereckt haben, sie sind wohl nicht ganz so unbekannt, wie ich alter Mann mir das gerne denken möchte.

Leute rausströmen lassen, doch noch ein zweites teures Bierchen holen, beim ewigen Warten Ausschau nach den eigentlich zu erwartenden bekannten Gesichtern halten, von denen sich aber keines zeigt; wohnen die zwei kurzen nicht auch in Neukölln? Und sind die nicht auch eher in der Hardcore-Ecke zuhause? Aber Neukölln ist groß und wer weiß, was es für echte Szene-Insider so alles an Befindlichkeiten zu den verschiedenen Bands von Walter Schreifels gibt … Jedenfalls war die Tresenkraft ja wirklich schnell und ebenfalls ungewohnt freundlich, aber zu zweit hinterm Tresen bei dieser Masse an Publikum und dann das ewige In-Plastebecher-Umfüllen, da dauert’s eben. Aber ich hatte ja Zeit.

Rumstehen etwas weiter vorn und mehr in der Mitte. Es zog sich, aber irgendwann war es dann um neun. Und zehn nach neun. Mein ungeduldiges Pfeifen fand Nachahmer, und bald danach ging auch wirklich kurz die Backstage-Tür an der Seite der Bühne auf. Und wieder zu, das Licht ging aus, die Musik hörte auf und änderte sich, und dann kamen sie auf die Bühne, gar nicht so inszeniert wie man bei der Beschreibung meinen möchte, und der Walter breit am Grinsen. Und das Publikum am Jubeln. Und ab geht er. Ich bin ja gar kein so großer Rival-Schools-Fan, ich mochte und mag Quicksand viel lieber, aber ein paar der Lieder dieser quasi Nachfolge-Band hab ich doch so halbwegs in Erinnerung. Und den Rest hab ich mir dann eben einfach als unbekannte neue Lieder angehört. Und war damit offenbar eine Ausnahme in der Masse der mitsingfesten und jedes Lied in Sekundenschnelle erkennenden Fans. Die die Band wirklich gefeiert haben, Walter hat also nicht ohne Grund ins Rund und hoch zu der Galerie gegrient. Und konnte tatsächlich die Hooklines der Refrains ungesungen lassen, weil hunderte Bundestrainer und Virologen für diesen Abend zu Sängern geworden sind. Hatte ich schon erwähnt, dass die alten Herren alle unterschiedlich voluminöses, aber fast identisch schulterlanges Haar trugen, bis auf den Drummer, der sein offenbar schon schwindendes Haar unter einer Schiebermütze versteckte?

Und der Drummer war der Hammer! Hört man ja auf Platte gar nicht so, sah man aber live um so deutlicher. Und wenn man im Internet nachliest, wo der schon alles mitgespielt hat, ist das vielleicht auch kein allzu großes Wunder. Oder andersrum. Hut ab! Irgendwann die Information, dass sie wirklich die ganze Platte komplett spielen. Welche auch immer, vermutlich die Neuauflage der ersten Platte der Band, die ich mir kürzlich erst angeklickt habe. Bei einigen Quellen im Internet heißt die Tour ja auch nach dem zwanzigsten Jubiläum dieser Platte. Und irgendwann die Information, dass heute auch ein Geburtstag wäre. Vom Gitarristen. Achtundzwanzig wäre er jetzt schon, der alte Sack, jaja. Alle »Happy Birthday« singen! Und der Techniker, der die ganze Zeit genervt hat, weil er am Bühnenrand allzu oft zwischen Backstage und Saal hin- und hergelatscht und Bierflaschen durch die Gegend geschleppt hat, der kam jetzt mit einer Torte in einem Kuchenkarton an. Ein Gejohle. Hinterher dann die Witzchen, dass das ja jetzt jeden Abend der Tour so geht und die Krauts sich immer wieder drüber freuen. Welcher Teil war jetzt der Witz? War die Torte echt?

Die Pause bis zur Zugabe war kurz, aber die Zugabe dann eigentlich auch, und so gegen halb elf war auch schon wieder alles vorbei. Fast alles jedenfalls, denn der Sturm auf den Merchandise-Stand ging jetzt erst so richtig los. Dort gab’s, wie wir uns schon in der Wartezeit vor dem Konzert vergewissern konnten, nicht nur etliche T-Shirts (Druck zu groß, Farben nicht schick) und Platten (hab ich schon) und CDs (will ich nicht), sondern auch schicke handgedruckte Siebdruck-Plakate für die zwei Deutschland-Gigs der Tour, von denen Katharina unbedingt eines haben wollte. Und nach zähem Ringen und Drängeln und genervtem Warten auch bekommen hat. Die Nr. 24/74.

Schön war’s. Auf Neuköllns Straßen ist noch was los. Großstadt eben. Den kleine Nachthunger hätten wir also dort stillen sollen, und nicht erst im verschnarchten Prenzlberg, der um diese Uhrzeit im Grunde nur noch die Spätis anzubieten hat, mit Schokoriegel und Bierchen. Aber zu Hause kann man sich ja noch ein kleines Stüllchen schmieren, das ist doch auch was …