Fit fürs Schöffenamt

Das hat jetzt nichts mit dem Spülmittel zu tun.

Krischan am

Weil ich ja bislang noch keinen Gerichtstermin hatte als Schöffe und mir bei genauerer Betrachtung neulich doch noch nicht alles so ganz lupenrein klar war, was dieses Ehrenamt angeht, hatte ich mich nun doch entschieden, all diese Termine wahrzunehmen, die mir da in den ersten Schreiben anempfohlen wurden: neben der Wahl neulich gibt es nämlich noch Einführungsveranstaltungen an der Volkshochschule und direkt am Gericht. Und gestern war der Termin an der Volkshochschule.

Musste man sich vorher anmelden, versteht sich. Auf dem Zettel des Briefanhangs wurde man zur Website des Vereins verwiesen und von dort auf die Volkshochschule, die aber natürlich nicht einfach alle Veranstaltungen auflisten kann, sondern über etliche Links zu einer Suchmaske führt, die erst gefiltert werden möchte, für den Titel der Veranstaltung (wegen der vielen Umlaute?) aber nichts findet, jedenfalls war das bei meinem ersten Versuch so, als ich nur mal nachsehen wollte, aber eigentlich noch dachte, dass ich da gar nicht hin muss. Bei meinem nächsten Versuch wollte ich dann eigentlich lieber den Termin am zurückliegenden Wochenende buchen, aber den gab’s gar nicht oder nicht mehr. Dann erfuhr ich erst in der Detailansicht, dass ich nicht das Buchungsformular ausfüllen, sondern mich per E-Mail melden soll. Den zurückliegenden Termin hatte ich dann noch als bevorzugte Alternative mit in die E-Mail reingeschrieben, als Antwort aber nur kommentarlos eine Bestätigung für gestern bekommen. Das im o.g. Briefanhang genannte Kennwort wurde in dem ganzen Prozedere gar nicht benötigt.

Und dann hätte ich fast verschlafen. Hatte mir ja auch den Wecker gar nicht gestellt, hatte vorgestern abend einfach gar nicht mehr daran gedacht nach dem Besuch im Zeughauskino, wo wir uns einen Dokumentarfilm von Cho Sung-hyung angeschaut haben, der Regisseurin, deren Wacken-Open-Air-Dokumentation uns vor ein paar Jahren so gut gefallen hatte und von der es jetzt den Film über die koreanisch-deutschen Rentnerpaare zu sehen gab, die nach ihrem deutschen Arbeitsleben in einem Dorf in Südkorea wohnen. War wieder richtig schick, und die Veranstaltung in dem kleinen Kinosaal dort (unsere Plätze in der fünften Reihe waren in der letzten Reihe) war kein bloßes Film-Abspielen, sondern wurde von einer geschichtlichen Einführungsrede eröffnet und mit einem Umtrunk (den haben wir ausgelassen) beendet. Und das für nur halb so viele Euros wie in einem »richtigen« Kino. Da müssen wir wohl jetzt öfter hin, das Programm ist ja wirklich interessant.

Aber: kurz vor halb zehn bin ich jedenfalls durch ein Rummsen im Treppenhaus wachgeworden, hab wie nebenbei auf die Uhr geguckt und beim Anblick der Uhrzeit auf einmal erschrocken festgestellt, dass ich ja in einer reichlichen halben Stunde auf der Fröbelstraße sein muss. Nun ja, kein Grund zur Hektik: anziehen, Papier und Stifte und eine kleine Wasserflasche einstecken dauert ja nicht ewig und das Bürgeramt für den Prenzlauer Berg, in dessen einem Gebäude der Kurs stattfinden sollte, ist ja auch gleich um die Ecke. Und ohne die frühstücksüblichen anderthalb Liter Grünen Tee muss ich dann auch nicht dauernd aufs Klo, vielleicht eigentlich gar nicht schlecht so.

Beim Verlassen der Wohnung eine Plastekiste einen Treppenabsatz weiter oben, Jacke und Schal am Fenster einen Absatz weiter unten, die Haustür sperrangelweit offen und vor dem Haus zwei LKW und drei wartende Männer: offenbar mal wieder ein Umzug. Dabei ist doch jetzt oben in der vierten Etage gar keine WG mehr? Aber der Vater mit Kind, der da neuerdings wohnt, wird in der riesigen Eck-Wohnung ja auch nicht ewig allein bleiben wollen.

Außer mir strömten natürlich noch etliche andere Leute durch den grauen Berliner Wintermorgen in dieselbe Richtung, durchs Tor neben dem Standesamt auf das Gelände des ehemaligen Hospitals und Siechenheims, den Schildern zum BVV-Saal folgend durch Türen und Treppenhäuser und verwinkelte Gänge, u.a. an den Büros der Parteien vorbei. Im Saal sollten wir uns in eine Anwesenheitstabelle eintragen, deren Zettel angeblich alphabetisch sortiert auslagen, aber sinnigerweise von rechts nach links. Zudem fing der Zettel mit A nicht direkt mit einem A-Namen an, sondern mit einem Dr., so dass ich zwei-dreimal gucken musste, bis ich meinen Namen endlich auf dem richtigen Zettel in der dritten Zeile entdeckt habe; als Adolphi steht man ja immer fast oder ganz oben.

Der Saal war früher vermutlich mal ein Tanz- oder Veranstaltungssaal, hohe Decke, vorne eine Bühne, jetzt aber mit Stuhlreihen vollgestellt. Neben der Bühne standen und hingen auch noch Fahnen herum, die an die aktuelle Nutzung erinnerten, die Möblierung dürfte üblicherweise aber anders aussehen, diverse Notfallplan-Aushänge zeigten lauter fest definierte Rechtecke, die sich im Raum nirgends ausmachen ließen. Die Reihen waren noch nicht sehr gefüllt, ich habe mir einen Platz weit vorne gesucht, um sicherzugehen, dass ich mit meinen schlechten Ohren am frühen Morgen auch alles verstehe, in der zweiten Reihe war ja noch jede Menge Platz. Stift und Papier raus und warten. Vorne wieder der Vorsitzende des Landesverbandes der ehrenamtlichen Richter, den kannte ich ja jetzt schon vom Sehen, an der Seite ein Tisch mit Infomaterial, das ich aber vermutlich auch beim letzten Termin schon vollständig eingesammelt hatte.

Irgendwann ging’s dann doch noch los, sicher schon einiges nach zehn, kurze Vorstellung der Beteiligten, der schon bekannte Vorsitzende, eine Sekretärin oder so, die aber die Leitung der Veranstaltung nicht übernehmen konnte, weil sie grad keine Stimme hatte, aber offenbar trotzdem schniefend ihre Zeit absitzen wollte, und ein weiterer Herr, an dessen Vorstellung ich mich nicht erinnern kann. Und gleich der Hinweis, dass die Datensammlung am Eingang nicht von der Richtervereinigung ausginge, sondern von der Volkshochschule. Okay.

Der eigentliche Redner übernahm das Mikro und fragte als erstes interessiert, wieviele der Anwesenden freiwillig Schöffe geworden wären: fast alle. Was er mit Wohlwollen quittierte, in den Jahren zuvor sei das immer anders gewesen, und die Motivation der Schöff*innen dann zum Teil entsprechend schlecht, das wäre jetzt mit dieser Freiwilligkeit hoffentlich bzw. sicherlich ganz anders. Dann hat er sich genauer vorgestellt, richtiger Richter ist er und hat die Gerichte aufgezählt, an denen er schon tätig war und jetzt ist, das konnte sich ja kein Mensch merken, aber so sollte das wohl auch sein. Dann hat er lang und breit erklärt, was ein Schöffe ist und was der macht und warum. Das allermeiste wusste ich schon, ein paar Details haben mir aber ein neues Licht auf die zusätzliche Perspektiven geworfen. Oder so.

Gut, dass ich so weit vorne saß, denn er kam mit der Technik nicht gut klar, die ja auch dämlich organisiert war: auf seinem Rednerpult hatte er nur einen Zettel und eine Fernbedienung, der Laptop mit den Powerpoint-Folien stand aber auf einem Tisch näher am Fenster, vermutlich weil das Stromkabel zur Steckdose an der Wand nicht lang genug war und es woanders keine Stromzufuhr gab. Das hatte zur Folge, dass er die ganze Zeit schräg hinter sich geguckt hat, um die Projektion auf der Leinwand vor der Bühne konsultieren zu können, und dabei sprach er dann eben mehr oder weniger am Mikro vorbei, zu dem er ohnehin keinen allzu konstanten Abstand einhielt, wofür dieses Mikro offenbar nicht gemacht war. Zudem waren die Lautsprecherboxen ja direkt hinter ihm am Bühnenrand und hätten bei mehr Empfindlichkeit des Mikros ein herrliches Feedback produziert. Und: es waren offensichtlich nicht seine eigenen Folien, die er da durchgeklickt hat, und so musste er an einigen Stellen beim Präsidium nachfragen, was da jetzt gemeint sein könnte.

Was ich mir aber trotzdem unter anderem mitnehmen konnte:

– Die Termine, die ich am Anfang des Jahres mitgeteilt bekommen habe, sind gar nicht hundertprozentig festgenagelt, sondern die in der Jahresplanung eingetakteten Starttermine für die geplanten Verhandlungen, die konkreten Termine (mit möglichen Folgeterminen bei längeren Verhandlungen) kommen dann immer erst jeweils ein paar Tage vorher, genau so wie die eine Absage, die ich für den Januartermin bekommen habe. Dabei werden auch jedesmal gleich die Formulare für die Beantragung der Verdienstausfälle und Fahrtkosten und Zeitversäumnisse mitgeschickt. Ist bis drei Tage vor dem angedachten Termin keinerlei Schreiben eingetroffen, ruhig nochmal anrufen.

– Schöffen bekommen keine Haus-Ausweise, mit denen sie an der Personenkontrolle vorbei ins Gerichtsgebäude kommen, sondern müssen sich mit der o.g. Ladung ausweisen.

– Bei den möglichst früh an das Gericht zu meldenden Urlaubsplanungen muss »außerhalb Berlins« angegeben werden, weil man sonst als doch verfügbar gespeichert wird. Das werde ich für die zwei schon erfolgten Urlaubsmeldungen mal noch nachholen.

– Für kurzfristige Meldungen von Verhinderung oder Verspätung soll man direkt in der Abteilung anrufen, der man zugeteilt wurde, damit die notwendige Beschaffung eines Ersatzschöffen oder das kurze Wartenmüssen gleich an der richtigen Stelle bekannt wird. Da ich ja noch keinen Termin hatte, weiß ich aber noch gar nicht, in welcher Abteilung ich tätig sein werde. Aber ich sollte mir die zentrale Telefonnummer schonmal ins Handy speichern, falls ich auf dem Weg zum Gericht in der Straßenbahn in einem Unfall steckenbleibe oder so.

– Handys sollen wohl am besten ganz draußen bzw. ausgeschaltet im verschlossenen Richterzimmer bleiben, es gäbe gar keine Veranlassung, was anderes zu tun als der Verhandlung zu folgen. Im Zweifelsfall könnte der Eindruck entstehen, man wäre gar nicht voll anwesend, was im Extremfall zu Wiederholungen oder Abbruch der Verhandlung führen könne. Deswegen solle man auch ausgeschlafen am Gericht erscheinen. Zu allem wurden passende Anekdoten mitgeliefert, die durchaus für Gelächter sorgten.

– Keine Getränke. Getrunken, gegessen und gepullert wird in den Pausen, die es ausreichend geben wird, man darf auch darum bitten, aber vielleicht nicht kurz vor einem Geständnis.

– In den Pausen nicht mit anderen Verfahrensbeteiligten reden! Nett grüßen natürlich, und mit den anderen Schöffen und Richtern darf auch gesprochen werden, aber nicht mit Zeugen, Angeklagten, Gutachtern, Anwälten und so weiter. Bei merkwürdigen Gesprächsanbahnungsversuchen von anderen immer gleich alles dem vorsitzenden Richter melden.

– Pokerface. Neutrale offene Fragen stellen. Alles vermeiden, was nach Voreingenommenheit oder Parteilichkeit aussehen könnte. Auch nicht die Augen verdrehen, wenn mal wieder einer dummes Zeug erzählt, das wirklich kein Mensch glauben kann.

– In der Öffentlichkeit darf ich von den Verhandlungen berichten, dabei aber keine Namen nennen oder andere Fakten, die einen Rückschluss auf Beteiligte erlauben würden. Oder persönliche Meinung widerspiegeln könnte. Die Verhandlungen sind ja üblicherweise öffentlich, und alles das, was jeder andere Besucher des Verfahrens auch berichten könnte, darf ich als Schöffe dann ebenfalls rumerzählen. (Wo genau da die Grenzen liegen, frag ich nochmal per Mail an den Verein nach. Ich will das ja hier möglichst ausführlich verbloggen.) Nur aus den Beratungen des Richterzimmers darf generell und überhaupt nichts nach außen dringen, nichts darüber, wer wie abgestimmt hat und ob mir persönlich das Strafmaß zu hoch oder zu niedrig war oder ob ich anderer Meinung über die Schuldfrage war. Auch meine nächste Familie darf davon nichts wissen. »Und auch nicht über Social Media.«

Natürlich gab’s auch hier wieder einen komischen Zwischenrufer, der beim Thema Verfassungstreue als Voraussetzungen fürs Schöffenamt wissen wollte, wer denn festlege, wer verfassungstreu sei. Im Prinzip durchaus sinnvolle Frage, den Hintergrund seiner Fragestellung konnte oder wollte er aber nicht erklären. Meines Erachtens ist das auch nicht vorher zu klären oder gar festzulegen, sondern nach einer konkreten Beschwerde über einen zur Wahl stehenden oder bereits vereidigten Schöffen erst zu prüfen. Was genau dann die Indizien und Parameter sind, um diese Frage zu beantworten, steht zudem noch nicht fest, weil das Gesetz ja noch gar nicht fertig ist, sondern laut Aussage der Sekretärin eben erst aus dem Bundestag wieder in den Ausschuss zurückgegeben wurde. Den Hintergrund und Anlass hat sie gleich mitgeliefert: ein Schöffe in Thüringen mit Verbindungen in die rechtsextreme Szene hatte über Social Media und andere Wege Interna aus den Verhandlungen weitergereicht. Eine konkrete Antwort blieben sie aber schuldig.

Und bei den Fragerunden gab es dann erstaunliche Verrenkungen zum Thema, wann ein Schöffe verhindert ist oder nicht und ob es wirklich eine Pflicht zum Erscheinen gibt. Kind krank, Partner verhindert, beruflich wichtig eingebunden, kurzfristige Ladung eines Ersatzschöffen, viele Verhandlungstage bei freiberuflichen Selbständigen. Was haben sich die Leute denn vorgestellt, wie sowas funktionieren soll? Sie haben sich doch freiwillig gemeldet, da informiert man sich doch vorher? Irgendjemand war dann ganz schön schockiert und wollte wissen, ob sie nicht vielleicht doch wieder vom Ehrenamt zurücktreten könne, aber da war der Redner knallhart: »Da kommen Sie jetzt nicht wieder raus.«

Dann war noch einer unzufrieden, dass es quasi eine doppelte Vergütung gibt, sowohl für den Verdienstausfall als auch für die Zeitversäumnis. Der Unterschied war mir vorher auch nicht klar und dass man tatsächlich Anspruch auf beides hat, aber offenbar ist das eine eben eine (niedrig gedeckelte) Entschädigung für den Ausfall des Gehalts und das andere quasi eine Belohnung für die ehrenamtliche Tätigkeit im Dienste der Allgemeinheit. Zudem gibt es freilich keine Pflicht, immer beides (oder auch nur eines davon) zu beantragen.

Und dann waren die drei Stunden auch schon mehr als rum und noch gar kein Wort über die speziellen Anforderungen an die Jugendschöffen gefallen, aber die Veranstaltung trotzdem zu Ende. Und draußen im graubraunen Matsch schon die ersten Schneeglöckchen.