Tante J macht in Kultur

Ich war ja mal wieder aufm Konzert. Draußen in Weißensee.

Krischan am

J Mascis war da, letzten Freitag, ganz allein, nur mit seiner Gitarre. Und mit Verstärker und Effektpedalen und lauter Videofilmchen natürlich. Und nöligen Liedern aus allen Ecken seines Schaffens. Oder so.

Stattgefunden hat das Konzert im Kulturhaus Peter Edel, das Ding da kurz vorm Weißen See, das neuerdings wieder geöffnet hat und auch innen noch so schön nach Kreiskulturhaus aussieht und ja tatsächlich einen bunten Strauß an kulturellen Angeboten auffächert, der genau zu einer solchen Bezeichnung passt: Tanztee, Kindertheater, politische Gespräche, Afterwork-Partys. So soll’s sein. Damit die Provinzleutchen da auch mal was sehen von der Welt, gelle.

Ich war da freilich bislang noch gar nicht, liegt ja außerhalb des S-Bahn-Rings, da kommen wir kosmopolitischen Großstädter ja sonst bestenfalls nur durch, aber andererseits ist es ja nur vier oder fünf Straßenbahnhaltestellen weit weg und wer wöllte nicht ab und zu mal eine neue Event-Location besuchen? Siehste.

Hab ich mein feines Richterhemd also gleich angelassen und bin nach einem vorgezogenen Abendbrot überpünktlich hingefahren. Ganz allein. Katharina kann mit dem Gejaule nix anfangen. In der Bahn dann schon so ein schnöselig englisch sprechender Lautsprecher mit graumelierter Gelfrisur neben mir, dem jeder auf zehn Meter gegen den Wind ansehen konnte, dass er dasselbe Ziel hatte wie ich. Und das dunkel gekleidete Pärchen im fortgeschrittenen Alter ist natürlich auch Station Weißer See ausgestiegen, und der eine oder andere hat ein Ticket-gesucht-Schild in Anschlag gebracht. Wollen wir ihnen die Daumen drücken? Na gut.

Vorm Haus niemand, den ich kennen konnte, also rein und dort gucken. Im Saal standen schon paar rum, im Hof saßen auch paar rum, am Tresen lungerten noch paar rum, alle mir völlig unbekannt und um Jahre älter als ich. Denk ich immer, dabei werde ich ja dieses Jahr auch schon fuffzig. Das kleine Berliner Pils kostet vier Euro, soviel zur Stadtteilkultur. Es gibt auch schickere Bierchen für ein paar Cent mehr. Aber man kann ja auch ohne Alkohol fröhlich sein. Eins hab ich mir trotzdem gekauft und dann am Stehtisch lümmelnd das Eintrudeln der Gäste beobachtet und wie sie sich partout immer wieder ordentlich hinten an der Tresenschlange anstellen, was bei der vordersten der Tresenfrauen zu gebetsmühlenartiger Wiederholung der Ansage führte, man könne doch auch nachrutschen, da wären vier Leute hinterm Tresen. Warum ist das seit ein paar Jahren so üblich? Kommt das mit dem Alter? Diese Gesittetheit? Ich drängel mich doch nicht vor? Immer schön der Reihe nach? Hab ich ja meinen Kindern auch so beigebracht?

Ein Tüpi, den ich vom sehen kenne, humpelte ein-zwei mal vorbei, der gehört doch zur Klaus-und-Axel-Clique, aber er hat mich auch bei einem längeren Blickkontakt nicht erkannt, obwohl ich mir extra Mühe gegeben habe, fröhlich-erkennend-grüßend zu gucken. Ist mir wohl nicht gelungen. Dann sind auch tatsächlich Klaus und Falk aufgetaucht und kurz später noch Jörg und Axel – alles andere wäre ja auch Käse gewesen. Zumal es zeitnah gar keine weiteren J-Mascis-Gigs in Deutschland gab, wie ich gerade sehe.

Pünktlich um acht hat noch eine Vorband angefangen. Ein gemischtes Duo im dezenten Retro-Look, er mit hübscher roter Halbakustik-Gitarre und gemäßigter Siebziger-Jahre-Frisur, sie mit eschefarbenem Fender-Bass und Glitzergurt und dauerhaftem Grinsen. Die Musik irgendwas sehr nettes und gleichzeitig grundsolides zwischen Classic-Rock, Ami-Folk und Indie-Singer-Songwriter. An manchen Stellen klang es haargenauso wie Yo La Tengo beim Covern alter Klassiker, an anderen tatsächlich wie alte Ärzte-Sachen, manchmal aber auch einfach nur doof. Gesang meist zweistimmig, der Schellenring offenbar aus einer Maschine und nicht am Fuß eines Musikers, und ab und zu hatte der Gitarrist auch eine Mundharmonika vor der Brust und setzte damit dem Kitsch noch ein i-Tüpfelchen auf.

Dass sie aus Westberlin sind, haben sie als Einleitung zu einem Song übers Nachhausekommen erzählt, verbunden mit der Anerkennung, es wäre hier im Osten ja auch wirklich alles ganzganz toll, aber sie müssten nun Back to West-Berlin. Na denn man los. Hab ich mir den Bandnamen gemerkt? Nee. Aber das Internet weiß ja immer alles: Grateful Cat. Lustiges Wortspiel.

Und wer stand da in der Pause im erheblich voller gewordenen Vorraum am Tresen? Der Lars. Mit unrasiertem Kinn, Boomer-Basecap und in Begleitung einer kurzen Blondine, behauptet er doch glatt, mich nicht erkannt zu hätten. Er hatte aber auch nur Augen für seine Begleitung. Bis dahin. Dann musste er sich freilich mit mir und Jörg über Konzerte und Platten und eigene Musikprojekte und Wohnorte und die großgewordenen Kinder unterhalten, was wir reifen Herren halt so für Themen haben.

Kurz nach neun erste Töne aus dem Saal, da stimmt nochmal einer die Gitarre, also fix einen Platz gesucht. Weiter hinten. Wo sind denn alle? Egal, ich wollte mich sowieso nicht unterhalten. Und wurde dann von den englisch sprechenden Schnöseln hinter mir unterhalten, sie haben also noch eine Karte bekommen. Und haben inbrünstig mitgesungen. Bei Jammer-J. Bei den alten Dinosaur-Sachen. Darf man das? Tut man so etwas? Hat aber tatsächlich erstaunlich gut geklappt, der Ton stimmte, der Vortrag auch. Fandsch lustich.

Jedenfalls schlurfte Opa Mascis tatsächlich ganz alleine auf die Bühne, da hatte der eine oder andere ja gehofft, weil auf der neuen Platte ja eine ganze Band zu hören ist, dass er Begleitung mitbringt, aber nein, nur ein Mann und seine Gitarre, yeah. Aber freilich, wie schon eingangs erwähnt, ein schöner Vox-Verstärker und eine schlecht geölte Batterie an Effektpedalen, denn zwischendurch wurde aus der klampfigen Gitarre immer wieder ein Quell jaulenden und dröhnenden Krachs, dass es nur so splatatterte.

Gespielt hat er alte Sachen und neue, von Dinosaur und aus Solo-Projekten, alte Gassenhauer und mir eher unbekanntes Zeug. Alles immer untermalt bzw. illustriert von Videofilmchen, die hinter und über ihn an die Wand projiziert wurden. Lustige Sachen mit Knetfigürchen, spacige Sachen mit bunten und sich überlagernden Sequenzen, ordentlich gedrehte Song-Videos und Kombinationen aus allem. Zwischendurch immer wieder Album-Cover.

Hier könnte eigentlich ein Video hin.

Und bei den meisten Sachen, auch bei den im Original eher krachig-rockigen, hat die Transformation auf die ruhigere Akustik-Gitarre erstaunlich gut funktioniert. Einerseits. Auf der anderen Seite hatte er ja wie gesagt die Möglichkeit, per Effektpedal die Lautstärke aufzudrehen und ein paar seiner minutenlangen Soli herunterzugniedeln, dass einem schon ganz blümerant wurde. Sogar »Alone« hatter gespielt!

Außer zu musizieren, hat er natürlich nichts gemacht, ein-zwei lakonische Sätze werden noch gefallen sein, und ein-zwei mal ist er in opamäßiger Ruhe zu seiner Wasserflasche gebummelt und hat vorsichtig einen Schluck getrunken, aber das war’s auch schon. Keine Begrüßungsfloskeln, keine Song-Erklärungen, kein Berlin-ist-geil- oder Bestes-Publikum-Gekasper. Und nach anderthalb Stunden war Schluss, da half auch kein Gejohle und Gepfeife.

Die anderen standen nur zwei Reihen vor mir, na siehste. War geil gewesen? War geil gewesen. Gab’s dann am Merchandise-Tisch noch eine der neuen Platten, als wir irgendwann später aus dem leerer gewordenen Saal kamen? Nö. Von den Platten und CDs und T-Shirts und Pullis und-und-und war nur noch eine ältere CD und das knallblaue T-Shirt zur aktuellen Platte zu haben. Na denn ehmt nich.

Es sollte noch inne Kneipe gehen, irgendwo bei Klaus in der Nähe, vorher wollte Jörg noch seinem Neffen zum Geburtstag gratulieren, aber in der Bahn stellte sich raus, dass der inzwischen schon schlief. Und beim Gang die Stargarder und Senefelder Straße entlang stellte sich raus, dass Klaus und auch Axel schon längst und seit mindestens …zehn Jahren nicht mehr oben an der Wichertstraße wohnen, sondern viel näher hier im Helmholtzkiez gleich um die Ecke. Na Mensch.

Die angepeilte Kneipe war eine kleine Craft-Beer-Spelunke, die schicke Biersorten mit albernen Namen für happige Preise anbietet. Für uns wurde glatt ein Tisch für fünf freigeschaufelt, und ratzfatz waren drei der Biersorten ausprobiert, alle Urlaube und Platten und Konzerte und sonstige Erlebnisse durchgekaut und der gerade noch gesteckt volle Laden fast leer. Tschüss, bis bald.