Eine meiner Lieblingsbands. Meiner absoluten Lieblingsbands. Die sich aber eigentlich vor wieviel Jahren schon aufgelöst hat? Zwanzig Jahre sinds noch nicht ganz genau auf den Tag exakt, also doch schon zwanzig Jahre. Weil der Sänger und Gitarrist es mit den Ohren hatte. Oder zu bekommen drohte. So die offizielle Version. Bzw. meine Erinnerung daran. Aber vielleicht wollten sie auch alle erstmal was anderes machen. Was richtiges. Was wichtiges. Oder so.
Dann kam aber letztes Jahr auf einmal eine neue Platte raus. Vorher gabs schon diverse Sammler-Boxen mit den alten Platten, das hätte man ja fast schon als Ankündigung werten können, dass da wieder was kommt. Und nun waren sie wieder auf Tour. Haben wir gleich im Oktober die Karten gekauft. Kaum das die Nachricht unsere erstaunt aufgerissenen Augen und Ohren erreicht hat. Weil da muss man ja nun wirklich hin.
Katharina hatte sichs dann aber doch nochmal überlegt und ausgerechnet am Tag des Konzerts lieber eine kleine Erkrankung bekommen, so dass ich nochmal im klammen Netzwerk herumgefragt hab, ob jemand eine Karte braucht. Erst vor ein paar Wochen hatte ich eine ähnliche Frage selbst bekommen und weitergeleitet und konnte dadurch eine Karte an Anja weitervermitteln, also war wie zu erwarten tatsächlich kein Bedarf mehr, alle waren woanders eingeplant oder hatten schon Karten oder so. Nu ja, inzwischen ist das Konzert ja vom Lido in den größeren Festsaal Kreuzberg verlegt worden und trotzdem waren alle Karten ausverkauft, offenbar kennen die Band doch viel mehr Leute, als ich immer anzunehmen bereit bin, also würde es wohl keine Schwierigkeiten geben, die Karte vor Ort noch loszuwerden.
Vorher noch schnell ein komisches Spargel-Rezept ausprobieren, ein- oder zweimal im Jahr kann man ja mal Spargel essen, der Hype erschließt sich mir nicht, und nach den Berichten und Diskussionen der letzten Jahre über die Arbeitsbedingungen der Erntekräfte hab ich eigentlich vom Kauf auch nochmal mehr Abstand genommen als sonst schon, aber beim Biomarkt mal eben ein paar grüne Stängel mitnehmen und in den Ofen legen, das hatte ich schonmal getestet und war nur halb zufrieden mit dem Ergebnis, also musste ichs nochmal anders versuchen. Stand schließlich auf dem Essenswunschzettel in der Küche, hat sich also wer aus der Familie konkret gewünscht. War dann aber leider wieder nicht die Wucht in Tüten. Also fix los, ich war ja mit Anja für halb achte verabredet.
Die Straßenbahn kam ewig nicht, eine ganze Weile stand sie für in vier Minuten dran, dann recht lange für in drei, dann blinkte die Anzeige so als wäre sie bereits da, und das alles für die eine Haltestelle bis zur S-Bahn, wo einen üblicherweise die Tram überholt, wenn man die kurze Strecke frohen Mutes zu Fuß geht, sinnlos. Aufm S-Bahnhof konnte ich dann aber mehr oder weniger direkten Schrittes ungebremst in die Bahn steigen, die mich zum Treptower Park gebracht hat, wo dann aber wiederum eine müdegewordene Ampel das Überqueren der Straße um ein gerütteltes Maß an quälend langen Minuten verzögert hat. Dabei war gar keine Eile, ich war ja trotz alledem deutlich vor halb acht da. Und außerdem war schönes Wetter, Sonne und frühlingshafte Wärme und grüne Blätter überall, guck.
War trotzdem schön, dass vorher in der S-Bahn die Schnatze am Ostkreuz ausgestiegen ist, die die ganze Zeit neben mir stand und ohne Punkt und Komma und Platz für Entgegnungen in ihr Handy gesprochen hat, irgendwas mit Job und Arbeitszeit und Booking und wahrem Beruf und was aufbauen und Gespräche mit der Personaltante und was die Therapeutin auch immer gesagt hat, säuselsäusel, blablabla, den Berlinern ist halt nichts peinlich, lass uns den Senf doch in aller Öffentlichkeit ausbreiten, wer nicht zuhören will, kann sich ja sone dämlichen Knöppe ins Ohr stecken und Musik hören oder besser einen Laberpodcast, wo mehrere Leute die ganze Zeit dummes Zeug quatschen.
Auf der Wiese vor dem Festsaal Kreuzberg auf einmal abgezäunter Bereich voller den Blick verstellender Stapeln aus Wohncontainern, wer wohnt denn da? Arbeiter von der Baustelle, meinte Anja dann später. Bin ich lieber außen rum gegangen. An der letzten Ecke dann ein Typi, der sich nach übrigen Karten erkundigte. Ja, hab ich, aber wofür denn eigentlich? Na fürs Konzert. Sagt man so, wenn man da hin will? Nennt man da nicht den Bandnamen? Der Typ sah in meinen Augen auch gar nicht so aus, als wöllte er zu Karate. Kann natürlich täuschen, ich seh ja regelmäßig auch nicht so aus wie der Rest des Publikums. Dann hielt er mir einen Zwanni hin, ich sagte siebenundzwanzig, er hielt mir fünfundzwanzig hin, da wurde es mir zu blöd, und ich hab ihn stehen lassen. Rief er mir noch was hinterher, aber ganz offensichtlich wollte er ja nur einen Reibach machen und die Karten hinterher für deutlich mehr an bedürftige Konzertgänger weiterverkaufen, sich als Unberteiligter am kulturellen Angebot anderer bereichern wollen, den Scheiß mach ich ja mal sowas von nicht mit. Arschgeige.
Am Zaun lümmeln und warten und Leute begucken, es müssten doch eigentlich trotzdem ein paar Leutchen auftauchen, die man von ganz früher kennt. Obwohl, laut Internet hatte die Band ja in Dresden schon gespielt, witzigerweise im Jazzclub Tonne. Aber der eine oder die andere zog ja vielleicht nach Berlin und geht jetzt hier auf Konzerte. Anja zum Beispiel kam dann, dies und das, die Container, die Kinder, und gehen wir doch nochmal vor zur Ecke und gucken, ob wir die Karte da besser loswerden, da kommen doch alle vorbei. Die mit den Gesuch-Zetteln vorm Bauch waren schon wieder weg. Aber schau mal, der eine Typ da am Imbiss-Stand ist doch der Tom aus Dresden, oder? Der auch mal ne Band hatte? Dann tauchten zu Anjas Verwunderung Kolleginnen und Kollegen von ihr auf, lauter RBB-Personal, kurzes Gespräch und Mensch, die eine braucht ja wirklich noch ne Karte. Fast hätte sie sich von dem Typi von vorhin eine deutlich überteuerte Karte aufschwatzen lassen, aber wir haben sie zurückgepfiffen und ihr meine vermacht. Kleiner Aufschlag zum aufgedruckten Preis, damit ich die Vorverkaufsgebühr nicht allein zahlen muss, und das Papier und der Ausdruck, jaja. War sie trotzdem zufrieden, dass sie auf ihr Papiergeld noch ein paar Münzen zurückbekommen hat.
Dann simmer aber rein. Ich hab extra aufgepasst, dass ich nicht dasselbe Ticket vorzeige wie das, was ich grad verkauft habe. Garderobe kostet jetzt drei Euro, das Bier aber weiterhin nur einen Fümwer und Becherpfand auch nur einen Euro. Am Merchandise-Tisch im Vorraum nur Zeugs von der Vorband, da hatte Katharina schon was gemunkelt von Tim Kinsella, und sowas stand da auch drauf, zusammen mit einem zweiten Namen. Ich kenn den ja kaum, war aber auch ne Größe in einigen wichtigen Bands, Cap’n Jazz, Joan of Arc, Owls und so, alles nicht so ganz meins, aber auch nicht so ganz schlecht. CDs, Platten, Preisliste und niemand in der Nähe. Karate-Kram kommt vielleicht später aufn Tisch, wenn sich auch jemand dahinterstellt? Im Saal trotz Ausverkaufs nicht allzu voll.
Auf die Minute um acht enterten zwei Gestalten die Bühne, ein Kunde mit hässlicher Brille und längeren Locken unterm Käppi und eine Trulla mit Basecap und selbstgehäkeltem Oberteil. Sie stellte sich hinter ein Knöppchenpult und er hängte sich eine schöne gibsonförmige E-Gitarre mit Schnitzereien um, und dann ging das Elend los: Rumms-wumms-knarz und halbe Gitarren-Akkorde, dazu bisschen schiefer Gesang. In den Pausen zwischen den Stücken zumeiernde Samples, damit man auch ja nicht zur Ruhe kommt. Bei einem Stück auch emotional gemeintes Gekreische, das Ergebnis hat mir trotzwohl einfach so gar nichts gesagt. Publikum aber artig am wippen und klatschen. Hat das jemandem wirklich in echt gefallen? Ganz zum Schluss ein langsameres Stück mit weniger Beats und Störgeräuschen, das fand ich ganz nett. Kinsella & Pulse, LLC heißen die jetzt, vorher hießen sie noch Good Fuck. Und Jenny Pulse ist die Frau von Tim Kinsella, vielleicht liegt da der Hund begraben.
Zweites Getränk, der Saal füllt sich erheblich, wir haben uns dann ein paar Meter weiter hinten noch einen Platz erdrängelt, und dann kamen die drei alten Männer auch schon auf die Bühne. Drei angegraute Glatzköpfe, Anja hat den Sänger mit seinem silbernen Stoppelbart tatsächlich nicht gleich erkannt. Der Basser mit Unwound-T-Shirt, aber ohne Mütze. Dafür erheblich dicker geworden, nur der Drummer scheint sich nicht groß verändert zu haben, erinnerte mich aber immer wieder frappant an meinen Onkel Peter, wie er da so mit gewölbter Stirn und Mundwinkeln nach unten hinter seiner Batterie saß.
Und dann haben sie all die geilen alten Gassenhauer gespielt. Altes, neues, mittleres, bluesiges, jazziges, postcoriges, ruhiges, lauteres, von jeder Platte was. Herrlich auf den Punkt, das ist ja immer eine Stärke von dreiköpfigen Bands und von dieser ganz besonders, dabei unaufgeregt und ohne Hektik, der Großteil der Songs ist ja eh von mittlerem Tempo. Extremst schöne Basslinien, das war immer mein Vorbild, dazu rhythmisch höchst interessantes Schlagzeug, das aber tunlichst nicht zuviel herumzaubert, sondern den Songs dient, die von der oft Solo-Melodien spielenden und nur selten in volle Akkorde greifenden Gitarre und dem sparsam eingesetzten Gesang getragen werden. Zwischendurch mussten sie immer wieder die Gitarren stimmen, Geoff Farina hatte wohl gerade erst neue Saiten aufgezogen, da ist das nicht anders. Berlin hat ihm gefallen, es wäre ja eine Weile her, dass er hier gewesen sei, im Magnet und so, und dann hat er noch einen Witz versucht, irgendwas mit der Mauer, haha, aber auch dass der dann nicht gezündet hat, war irgendwie auch gleich Teil der Story.
Das Publikum unerwartet begeistert, es wurde mitgesungen, es wurden Arme geschwungen, es wurde geklatscht und gejohlt und gepfiffen, es wurde mit dem Kopf genickt, es wurde dezent mit den Füßen gewippt und nahezu jeder Songanfang frenetisch bejubelt, schließlich wurde die Band sogar als You are heros tituliert, was der Sänger aber gleich zurückgespielt hat, wir seien doch die wahren Helden, offenbar wollte er freundlich sein, statt dem Publikum einfach den Vogel zu zeigen.
Und nach anderthalb Stunden wars leider schon wieder vorbei, eine kurze Zugabe musste reichen. Die zwei Biere wollten aber zusammen mit dem Abendbrot-Getränk auch langsam wieder ans Freie, darauf mussten sie ja die ganze Zeit warten, ich wollte ja keinen Ton verpassen. Am Merchandise-Tisch jetzt die zwei von der Vorband, aber weiterhin keine Artikel von Karate. Katharina war ja in der Zwischenzeit schon der Meinung gewesen, mich per Kurznachricht daran erinnern zu müssen, dass sie Siebdruckplakate mag. Aber leider: nüschte-nich. Auch kein neues T-Shirt für mich. Aber das zu klein gewordene mit den Zähnen hab ich mir ja längst mal nachgebaut und als Einzelstück von Spreadshirt herstellen lassen.
Also ab nach Hause. Im Thälmannpark zwischen S-Bahn-Ring und Danziger Straße lauter Nachtigallen, die ohrenscheinlich einen Wettstreit laufen hatten, wer die Auto- und Spielautomaten-Geräusche der Großstadt am besten nachahmen und an gewieftesten in seinen Balzgesang integrieren kann.