The Hope Six Demolition Project

Band
Harvey, PJ
Format
LP
Jahr
2016
Label
Island
Kennung
4774545
Zusatz
Klappcover, bedruckte Innenhülle, Poster

Krischan am

Lange angekündigt und von vielen sehnsüchtig erwartet: die neue PJ-Harvey-Platte. Hab ich gleich bestellt, musste dann aber doch noch warten, wahrscheinlich weil nicht alles lieferbar war, was ich in die digitale Tüte gepackt hatte. Und immer noch nicht ist.

Aber zurück zu Polly: Diesmal hatse sich ja Zeit gelassen, und wieder ist es wohl eine politische Platte, die sich aber diesmal nicht an England abarbeitet, sondern an: was eigentlich? In den USA, in Kosovo und in Albanien war sie, während sie die Songs geschrieben hat. Und aufgenommen hat sie die Platte dann in mehreren Live-Sessions. Vor Publikum. Warum auch immer.

Ein zwei Songs hab schon vorher schon im Netz gesehen, die meinen Geschmack aber nicht so richtig getroffen haben, im Gegensatz zu dem schon vorher verfügbaren Trailer, der mich durchaus neugierig gemacht hatte.

Los gehts mit einem müden Abklatsch von typischen PJ-Harvey-Songs, dem der Biss und das gewisse schräge Etwas fehlt, dafür hat der Gesang so einen komischen Echo- oder Hall-Effekt, der in den Zischlauten wirklich merkwürdig klingt. Und der Refrain wird vielstimmig intoniert, während die Band in einem Brei aus Hall und Raum versinkt. Fußball-Hymne? Nee, das ist der Song über das Problemviertel in Washington, D.C., wo sich dann die Bürgermeister und Politiker über einseitige Sichtweisen aufgeregt haben. So als müsse ein Rocksong objektive Berichterstattung liefern.

Ähnlich der zweite Song, der zwar mit fetten Riffs startet, die aber so weich produziert wurden, dass sie mächtig an Wirkung verlieren. Okay, soll ja wahrscheinlich auch gar kein Metal sein, und irgendwie muss es ja auch mit dem Chorsound der Refrains harmonieren. Obwohl, wieso eigentlich? Bin ich hier bei Pink Floyd? Ich wollte doch eine PJ-Harvey-Platte hören!

Etwas flotter und poppiger und mit höherer bis piepsiger Stimme, mit erkennbarem Rhythmus und nachvollziehbarer Melodie: »A Line In The Sand« ist der erste Song, den ich auf Anhieb akzeptieren kann. Obwohl er mir ja eigentlich viel zu melodiös und poppig ist. Die vielen Stimmen im Hintergrund und den Hall verbuche ich als Album-Sound.

Und dann wieder Gospel: Rumpelpumpel, wechselnder Einzel- und Chorgesang, das ganze zugemeiert mit knarzenden und dröhnenden Instrumenten unklarer Bauart. Ach nee, das sind wohl vor allem diverse Saxophone, die da die ganze Zeit im Hintergrund herumtröten. Mann, ist das öde. Vielleicht ist ja der Text besonders ausgebufft oder anrührend oder so. Aber diese Ebene fließt in meine Bewertung leider nicht mit ein. Manchmal lese ich mir das Zeug schon durch, das da auf den Textblättern und Innenhüllen abgedruckt ist, aber für die Rezeption der Musik spielt das allermeistens keine Rolle. Wenn auf Englisch gesungen wird.

Aber siehste, es geht auch mit fast nur Gesang, spärlich rhythmisch unterstützt von Trommeln und Keyboards. Und auch in der Mitte geht »River Anacostia« mit den für das Album offenbar unverzichtbaren Stilelementen ganz anders um, als all die verunglückten Rockdinger auf der Platte. Und auch die erwartete Schrägness ist wieder erkennbar da, in Melodie und Arrangement. Geht doch.

Seite B startet dann aber wieder mit diesem vielstimmigen Gesang, agitativ skandierend, unterbrochen von Strophen mit hoher Stimme und komischer Synthie-Begleitung, stoisch die Achtel durchzählenden Rhythmen, das ganze mit zu viel Hall verklebt. Evangelischer Singekreis für interessierte Laien mit Faible für Achtiger-Jahre-Rock?

Und so gehts immer weiter: manchmal sind die vielen Stimmen am Anfang tiefer und verhaltener, murmelnd quasi, sich aber gegenseitg Mut zusingend und langsam Tonhöhe und Lautstärke steigen lassend. Aber sonst derselbe Unsinn aus der verstaubten Poprock-Schublade. Was soll das?

Das kurze »Medicinals« macht nochmal den Versuch, die rockigeren Seiten von PJ Harvey anklingen zu lassen, der Sound ist etwas knackiger, aber das Saxophon, das die Gitarren ersetzen soll und der Gesangslinie folgt, macht es nicht unbedingt besser.

Später noch ein Hauch Blues, der in den ersten Sekunden ein altes Original versampelt. Gar nicht so schlecht. Aber auch da bleibt der Sound so komisch vermatscht, wie in einer dröhnenden Fabrikhalle mit zuvielen Störgeräuschen aufgenommen. Dafür gibt es in der zweiten Hälfte ein ausgedehntes schräges Saxophon-Gekeife, das den Lärm komplettiert.

Halbwegs erträglich kommt »The Wheel« daher: inzwischen hat man sich an den ewigen Chor gewöhnt, und die schrammeligen und gniedelnden Gitarren sind weit genug im Vordergrund, um dem Sound etwas prägnantes zu geben. Die klatschenden Hände sind witzig, und der Song als solches ist trotz/in/wegen seiner songwritermäßigen Schablonenhaftigkeit harveyesk genug, um mir zu gefallen.

Hier könnte eigentlich ein Video hin.

Zum Schluss nochmal viel Raum für Stimme und atmosphärische Fieldrecordings von der Straße, sparsam begleitet von wenigen Beats und Tönen, und am Ende nochmal ein klagendes Saxophon. So solls sein.

Insgesamt also nicht so schlecht wie anfangs und auch mittendrin immer wieder vermutet. Die eine Hälfte ist ganz schick, die andere aber zum Teil nahezu grässlich. Was macht man nun damit? Nochmal anhören, weil man sich vielleicht dran gewöhnt? Oder mit der Zeit doch noch ein paar Facetten entdeckt? Oder einfach auf spätere Alben warten, die dann vielleicht wieder schicker werden? Von wegen Hoffnung? Oder einfach auf die ollen Kamellen zurückgreifen? Hat ja inzwischen genug Alben gemacht, die gutste, hinreichend unterschiedliche, da kann man sich ja immer was zur Stimmung passendes raussuchen.

Das Cover mit dem schicken Wappen vorne drauf ist aus sträflich dünnem Karton und enthält neben der Platte noch ein Poster. Eigentlich gehört da wohl noch ein Download-Code rein. Stand aber bei Flight 13 auch nicht dabei. Wer weiß. Wahrscheinlich ist die Festland-Ausgabe ohne.

Tracks

  1. The Community Of Hope
  2. The Ministry Of Defence
  3. A Line In The Sand
  4. Chain Of Keys
  5. River Anacostia
  6. Near The Memorials To Vietnam And Lincoln
  7. The Orange Monkey
  8. Medicinals
  9. The Ministry Of Social Affairs
  10. The Wheel
  11. Dollar, Dollar

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