Sonic Oma im Astra

Kim Gordon hat aber noch gar keine Enkel*innen, soweit ich weiß.

Krischan am

Diesmal sind wir wieder erst im Laufe des Tages nach Berlin zurückgekommen, und wieder gab es zähflüssigen Verkehr auf der Autobahn, weil es wohl einen Unfall gegeben hat – es war auch ein echtes Polizei-Auto, das da durch die Rettungsgasse an uns vorbeifuhr –, aber da wir ja wie üblich schon vormittags aus der Ferienwohnung im Mecklenburger Nirgendwo rausmussten, hatten wir Unmengen Zeit und konnten dann sogar noch einen der üblichen Abstecher zum Klopse-König machen und sind trotzdem noch ganz beruhigt im Laufe des Nachmittags in der Wohnung eingetrudelt.

Aber testen mussten wir uns noch, weil im Laufe des Kurzurlaubs an verschiedenen Familienmitgliedern Erkältungssymptome festgestellt wurden. Aber alle negativ. Also alles gut. Bis auf den Umstand halt, dass wir immer noch nicht den Kommunismus haben, aber das wird wohl auch dieses Jahr nix mehr.

Nach dem Abendbrot wie gehabt losgestiefelt, nur Katharina musste dann nochmal fix umdrehen und ihre speziellen Ohrstöpsel holen, die sie auf Konzerten immer benutzt, aber diesmal merkwürdigerweise zu Hause vergessen hatte. Wir waren aber noch keine hundert Meter weit gekommen, und so blieb mir gar nicht allzu viel Zeit, um über die Funktion der Holzkiste zu grübeln, die ich da am Fenster im vierten Stock des Hauses gegenüber entdeckt hatte und die um einiges über den Rand des Fensterbrettes hinausragte, sich aber an einem seitlichen Fenster des Erkers über dem Balkon der darunterliegenden Etage befand, also im Falle eines Falles nicht unbedingt bis ganz runter auf den Fußweg oder die Köpfe der Pizzeriabesucher fallen täte. Ergebnis der Bemühungen: keine Ahnung.

Da wir schon im Besitz des allseits beliebten und leider mit keinem typisch deutschen Verwaltungsnamen bedachten, sondern neumodisch unfunktional benannten Neun-Euro-Tickets waren, mussten wir gar nicht erst einen Fahrschein kaufen oder auf dem Handy zurechtwischen, sondern konnten schnurstracks in die Straßenbahn einsteigen, auf die wir vorher aber doch noch kurz warten mussten. Die Zahl der Maskenträger in den Bahnen nimmt weiterhin stetig ab, inzwischen sind es ungefähr noch zwei Drittel, wenn man die OP-Masken-Träger mitzählt, die sich ja genaugenommen auch nicht an die FFP-2-Maskenpflicht halten. Aber wie sollen die armen Leutchen auch wissen, dass im ÖPNV die Regeln nach wie vor gelten, die da überall auf Zetteln, Aufklebern und in Durchsagen bekanntgegeben werden?

Vorm Astra diesmal nicht ganz so voll, und ich war mir auch noch gar nicht so richtig einig mit meinen Vermutungen, ob es nun voll werden würde oder nicht. Sonic Youth gut und schön, aber einerseits ist das ewig her, zudem hat es Frau Gordon den Hörern dann auch nicht unbedingt leicht gemacht mit ihren komischen Dröhn-und-Stöhn-Projekten, andererseits hat sie mit der letzten Platte und einigen Kollaborationen der jüngsten Zeit doch einen Fuß ins Pop-Genre gesetzt, der dem einen oder anderen gefallen könnte.

Am Einlass das übliche Prozedere des Astra. Wir hatten diesmal die Tickets sicherheitshalber ausgedruckt, weil das als Vorschrift zwar nicht auf dem Ticket selbst, aber in der E-Mail stand, die ich nach dem Kauf erhalten habe, und nach einem kurzen Zögern habe ich dann auch gar nicht erst versucht, zunächst nur das Handy hinzuhalten, sondern doch gleich den Zettel rausgefischt und auseinandergefaltet und dem Heini hingehalten, der das Einscannen nach zwei-drei Versuchen dann auch hingekriegt hat. Dann das Filzen der Besucher auf unerlaubte Gegenstände, diesmal gabs als zweiten Security-Typen sogar eine Frau, die auch etwas großzügiger zu sein schien, als sie die Gäste mit Rucksack nicht wieder wegschickte oder deren Gepäckstücke einzog, sondern die Besitzer nur ermahnte, die Dinger an der Garderobe abzugeben.

Und das Publikum war auch deutlich weiblicher als sonst. Und älter. Und kultureller. Aber auch schrille Hippen mit bunten Frisuren und ulkigen Klamotten waren da. Genauso wie altgewordene Alternative und aufgedonnerte Ex-Punker. Letztlich genau die Mischung, die man erwarten darf.

Kein bekanntes Gesicht. Jedenfalls keine Gesichter von Bekannten – bei ein oder zwei anderen Nasen hatte ich aber das Gefühl, sie in den Medien oder sonstwo schon wahrgenommen zu haben. Zeitungsfuzzis? Musikerinnen? Plattenladenbesitzer? Egal.

Es sollte ja eine Vorband geben, wir haben aber nicht rausgekriegt, wer das sein soll. Der Saal fast ganz leer, am Merchandise-Stand gabs nix außer albernen blauen Tour-Shirts und der letzten Solo-Platte, und der Barkeeper hat uns irgendwie 20 Cent zuviel berechnet für die beiden Biere, das Carlsberg für Katharina soll doch »nur« 3,80 kosten? Aber vielleicht wird das an diesem Tage notwendige Umfüllen in Plastebecher mitberechnet.

Wieder draußen, konnten wir ein bisschen beobachten, wie die Leute auf die albernen Sicherheitsüberprüfungen der Einlasser bzw. Security-Typ*innen reagieren: Arme hoch, Abtasten, Taschen öffnen, mit Taschenlampe reinleuchten, Koffer auspacken, alte Bananen, Brötchentüten und Wasserflaschen auf einen Tisch legen, diskutieren und erklären. Nun ja, irgendwer wird wissen, wozu das alles notwendig ist. Zumal bei so einem Konzert. Haben sie mit Randale gerechnet? Wirkt Bataclan immer noch nach?

Wieder drin, wars schon etwas voller, das Licht schien schon auf Instrumente und Musiker, und während wir nach vorn gingen, gabs auch erste zarte Töne und Beckengezischel und urplötzliches hysterisches Losgebrülle des Bassisten: was in den ersten drei-vier Songs irgendwie so gar nicht klingen wollte, war meiner missgünstigen Meinung nach offenbar ein Versuch, die wilden Achtziger Jahre des arty Post-Punks nachzuzimmern, wirkte aber in seinen lärmenden Ausbrüchen immer wieder viel zu kontrolliert und konstruiert. Ich hab ihnen das Gekreische und Gejammer und die Zuckungen jedenfalls nicht abgenommen, dafür war das alles zu sauber. Zudem war die Gitarre so merkwürdig verwaschen im Sound, dass bei mir leider keine Begeisterung aufflammen wollte. Zwischendurch dann doch ab und zu ganz nett, wenn es ein bisschen grobschlächtiger lospolterte, und auch hier der Wechsel beziehungsweise das Zusammenspiel des Gesang zwischen allen drei Musikern ganz prima. Vielleicht funktioniert das in kleineren Clubs mit direkterem Publikums-Kontakt besser?

Na, war ja beizeiten vorbei. Sie haben sich nochmal bei Kim Gordon für die Einladung bedankt und kundgetan, dass das ihr letzter Auftritt auf dieser Tour und damit irgendwie was besonderes sei.

Waren wir dann nochmal draußen? Doch. Und hatte ich schon berichtet, dass das kulturvolle Publikum sich an den Tresen drinnen wie draußen immer artig in einzelnen Schlangen angestellt hat, statt sich da in breiter Front zu drängeln und möglichst subtil darum zu kämpfen, wer von welcher Tresenkraft als nächstes bemerkt wird und was bestellen darf? Verrückt. Ich hab mir aber bei den letzten Konzerten angewöhnt, zur Hauptband kein Getränk mehr mit mir herumzuschleppen, um mich ungestörter auf den Auftritt konzentrieren zu können und die Hände frei zu haben für das notwendige Geklatsche und Gepfeife. Also Becher zurück und weiter nach vorn in den Saal, schonmal einen Platz in passender Bühnennähe sichern, denn inzwischen sind eine ganze Menge Leute da. Nicht so knackevoll wie bei den Post-Metallern vor drei Wochen, aber gut gefüllt.

Mehrere Durchgänge von Technikern sind die Instrumente durchgegangen und haben sie gestimmt und getestet, während komischer Hip-Hop lief. Die komische Schnatze, die mir dann den Großteil des Konzertes in unnötiger Nähe ihre Schultern und Hüften in die Seite schaukeln wird, hat sich auch alsbald den Platz zwischen mir und meinem seitlichen Vordermann ausgesucht. Nun ja. Ich hatte keinen Platz zum Ausweichen, und da sie mich nicht darum bat, sah ich auch keinen Anlass, mir welchen zu suchen. Wieder vereinzelte Maskenträger im Publikum; das wäre mir dann doch zuviel des guten.

Los gehen ging es dann mit dem verlängerten Intro zu »Sketch Artist« vom Band, und die Leinwand hinter der Bühne, die schon bei der Vorband für farbige Flächen genutzt wurde, zeigt den ersten Film: nach einer nicht identifizierbaren Animation mit einem zentrierten Dreieck, unter dem irgendwelche geknickten und gebogenen Linien wegliefen, war der schräge und zeitlich leicht geraffte Blick aus dem Seitenfenster eines Autos zu sehen, das durch kalifornische und New Yorker Straßen fährt. Das wird während des Konzerts im wesentlichen so beibehalten, ab und zu geht der Blick aber auch nach vorn, auf Ampeln und Kreuzungen und Brückenkonstruktionen und die typischen roten Ziegelgebäude von Brooklyn. Autorin ist vermutlich eine bekannte Künstlerin, Kim Gordon steckt ja tief in der nordamerikanischen und internationalen Kunstszene drin, aber an den Namen kann ich mich nicht erinnern und hab ihn sowieso nicht verstanden, er wurde aber mit Sicherheit genauso erwähnt wie die Namen der drei jungen begleitenden Musikerinnen, die dann nach einigen Momenten mit der Sängerin zusammen die Bühne enterten. Alle in weiß, die Bassistin mit cooler Sonnenbrille, die Gitarristin mit kurzen gelben Haaren und die Schlagzeugerin mal wieder mit sportivem Mittelscheitel in der Jungs-Frisur, Kim mit lockerem schwarzem Schlips und kurzer schwarzer Hose.

Das Publikum zum Teil unangenehm hysterisch in die Songs hineinjubelnd. Rhythmisches Klatschen ist auch schon längst kein Tabu mehr. Sind wir hier im Stadl? Ist sie jetzt ein Popstar? (Aber wenigstens bleibt der inzwischen 69-jährigen (und dem Rest des Publikums) das machohafte Gehabe der notgeilen männlichen Besucher erspart, das mir bei früheren Auftritten von Sonic Youth immer so unangenehm war.)

Die neue Musik ist ja eigentlich nicht so richtig meine. Aber tatsächlich bringen sie die fast ausschließlich elektronische Musik der Platte als normale Rockband auf die Bühne, ein bisschen Beatkram kommt zwar schon noch aus einem kleinen Laptop in Reichweite der Schlagzeugerin und vielleicht auch aus dem neben der Bühne aufgebauten Technikarsenal, aus dem zwischen den Songs regelmäßig ein Techniker herausgekrabbelt kommt und Kabel nachjustiert. Aber das allermeiste machen sie von Hand, und das bekommt der Musik durchaus: die rockigen Songs profitieren natürlich davon, und an einigen Stellen darf die Gitarre nach alter Sonic-Youth-Manier mit Schraubenziehern bearbeitet werden oder sonstwie unkonventionell darauf herumoperiert werden, aber bei dem einen oder anderen Stück fehlt mir dann vielleicht doch die ausgewogene Akkuratesse der Produktion.

Während des schönen, eher ruhigen und ein bisschen mehr nach dem bekannten Gestöhne klingenden Songs »Earthquake« fiel Kims frisch umgehängte Gitarre aus, Kim hat aber genauso stoisch weitergesungen wie die Band weitergespielt hat, während der Techniker an allen Ecken und Enden Kabel und Knöpfe überprüft hat. Allzuviel hat vielleicht sowieso nicht gefehlt. Obwohl, wenn man so mit Aufnahmen aus anderen Städten vergleicht, wäre schon noch ein bisschen Geschrammel im Outro drin gewesen. Danach schien sie aber erstmal keinen Bock mehr zu haben und verzog sich mit dem Rest der Band wieder. Der Jubel des Publikums und die Bemühungen der Techniker haben aber ebenfalls einfach weitergemacht, und als dann endlich wieder Töne aus der Gitarre kamen, gings ja auch gleich weiter.

Neben den Songs des einzigen Albums wurde »Blonde Redhead« von DNA gecovert, und zum Schluss kam noch ein neuerer Song, der dem demokratischen Experiment in den USA gewidmet wurde, und der in fast sonischem Genoise endete, und damit hatte sichs auch schon wieder. Aber es war ja schließlich schon nach zehn. Und viel mehr Material war auch nicht da. Hätten sie was doppelt spielen sollen? Alte Gassenhauer aus der Sonic-Youth-Zeit? Ich hatte ja schon überlegt, ob es lustig wäre, ein »Teenage Riot« in die Pausen zwischen die Songs zu rufen … (Ergebnis: nein.)

Hier könnte eigentlich ein Video hin.

Naja. Noch ein Bierchen Radler vom Späti, das wir auf einer Bank auf dem Mittelstreifen der Warschauer weggezischt haben, und ab in die Straßenbahn und ohne weitere Imbiss-Stopps direkt nach Hause. Ist doch prima für so ältere Leute mit Angestelltenverhältnissen wie uns.