Neuköllner Sauna

Wir waren auf einen Zeitungsartikel hin auf/bei einem Kneipenkonzert in einer Neuköllner Eckkneipe.

Krischan am

Die taz hatte was geschrieben, meine Olle hats gelesen, ich hab bei bandcamp angespielt, und Katharina fands immer noch ganz gut. Außerdem wollte sie ja noch möglichst schnell mal ihre neuen Ohrstöpsel testen, die ich ihr zum Geburtstag geschenkt habe. So spezielle Dinger fürs Konzert, die nicht nur alles verdumpfen beim leise machen, sondern die Frequenzen möglichst gleichmäßig absenken. Sowas hat und nutzt sie schon länger, war nun aber der Meinung, da könnte nach den vielen Jahren mal was neues her. Also simmer hin.

Mit Straßenbahn und U-Bahn. Die mir als schön erinnerliche Linie U8 fährt da hin, aber da sind die schönen Bahnhöfe wohl nur auf der nördlichen Hälfte der Strecke. Naja. Nach Neukölln hats uns jedenfalls bislang nur ganz selten mal verschlagen, und ich war verblüfft, dass die Ecke da am südlichen Ende des Schillerkiezes fast schon wie der Friedrichshain aussieht und gar nicht so doof nach Westberlin. Nicht so spießig gemütlich wie der Prenzlauer Berg, nicht so touristisch überlaufen wie der Friedrichshain, nicht so großstädtisch laut wie Kreuzberg. Aber das kommt ja eh immer auf die jeweilige Ecke an, weil: in allen Stadtteilen gibts schöne und eklige Viertel. Hier jedenfalls positive Überraschung meinerseits. Obwohl man doch seit geraumer Zeit immer wieder hört, da wären coole Ecken und viel von der Kultur, die es im Prenzlauer Berg und in Friedrichshain inzwischen so nicht mehr gibt.

Und das Bechereck an der südöstlichen Ecke der Schillerpromenade dann eine erfreulich nette Mischung aus ehemaliger Eckkneipe und alternativ angehauchter Kultur, ohne das eine zu sehr als Retro-Schick zu vermarkten oder das andere zu sehr in vordergründigen Kontrast treten zu lassen. Verschnörkelte Holzbar, Flipperautomaten, jede Menge Flaschen und Schilder. Und Flohmarkt-Collagen als Deko, vor allem Kitschfigurinen und anderer Kleinkram in Holzkästen, ein bisschen wie diese Miniaturzimmerchen zum an die Wand hängen, nur eben mit zum Teil zerbrochenem oder angesprühtem Krimskrams.

Das Konzert sollte in einem Nebenraum der verwinkelten Kneipe stattfinden, die ihren Ursprung als Wohnung nicht verhehlen kann. Durch eine verglaste Wand konnte man schon lunschen, wie die Instrumente und Verstärker aufgebaut wurden. Eintritt sollte laut handgeschriebenem Zettel zwischen 5 und 10 Euro kosten, Katharina hat wohl 12 für uns beide bezahlt, während ich die Getränke besorgt habe. Als Eintrittsbeleg haben wir Smileys auf die Hand gemalt gekriegt, Katharina ein :) und ich ein :(, warum auch immer. Viel größer als ein großes Wohnzimmer war der Raum dann gar nicht, die meisten Möbel waren aber rausgeräumt und der Billardtisch an den Rand geschoben, darauf stand das Schlagzeug der Hauptband, das kleine der Vorband mit den Verstärkern zusammen an der einen Stirnseite des Raumes. An der Flurseite ein Durchgang zu den Toiletten, an der rückwärtigen Wand eine kleine Bar und eine kleine Sitzecke, dazwischen ein paar Quadratmeter Platz. Aber wer wird schon kommen zu so einem Konzert?

Wer alles zur Vorband gehört, war beizeiten daran zu erkennen, wer sich da mangels Backstage-Raum zwischen den Leuten fast aus- und dann einen grauen Overall überzog: drei Typen in den Zwanzigern. Dann nochmal schnell die zwei oder drei E-Gitarren (kein Bass!) gestimmt und schon gings los. Laut und in mäßigem Sound, aber das wurde stetig nachgebessert mittels eines kleinen Mischpults am Fenster. Musikalisch ganz interessant, natürlich schon laut und rockig, aber nicht geradeaus und breitbeinig, sondern allerlei Nebengleise der Neunziger Jahre abgrasend, mal ein paar schräge Akkorde, mal ein paar ulkige Rhythmen und lustige Breaks. Mit dem angekündigten Noise-Rock der Hauptband hatte das jedenfalls nach meinem Verständnis nicht viel zu tun und war (bis auf eine Schnulze) gar nicht so schlecht. Dass mir der Sänger nicht halb so gut gefiel wie die anderen beiden, macht ja nichts. Der Drummer hatte übrigens ein so abgespeckt nur selten gesehenes Schlagzeug: außer Base-Drum, Snare und Hi-Hat war da glaubich nur noch die Stand-Tom und ein Becken. Aber trotzdem hat er schickes und abwechslungsreiches Schlagzeug gespielt. Wobei stures Geradeausspielen gar nicht seine Stärke war, wie an einer Stelle zu hören war, aber wenn es um rappeln und zappeln ging, war er richtig gut und hat sich auch nicht verhaspelt.

Hier könnte eigentlich ein Bandcamp-Player hin.

Und voll war es dann auf einmal auch. Was im August 2022 nur heißen konnte, dass es beizeiten recht warm wurde. Weil für eine ordentliche Lüftung natürlich auch nicht gesorgt war. Dazu die Verstärker und das Gehopse. Obs wärmer war als im Frühjahr in Dresden, ist schwer zu sagen, weil die Hitze hier im kleinen Kreis und der begeisterten, eng zusammengepferchten Menge ja eine ganz andere Berechtigung hatte als damals beim Stillestehen im großen Saal. Die grauen Overalls waren jedenfalls beizeiten ein paar Töne dunkler, vor allem beim Drummer natürlich. Hat sie aber nicht gebremst, sondern eher dazu verleitet, doch noch ein oder zwei Stücke länger zu spielen.

Wie warm es drin war, haben wir dann erst so richtig beim Rauskommen in der Pause gemerkt. Schon der Kneipenraum war deutlich kühler, erst recht die frische Luft vor der Tür. Und weil Katharinas T-Shirt auch recht nassgeschwitzt war, sind wir lieber schnell wieder in die Pufferzone zurückgekehrt und haben dort noch ein bisschen rumgestanden. Man will sich ja nicht verkühlen.

Das Schlagzeug der Hauptband war ungefähr dreimal so umfangreich, acht Becken und drei Hängetoms und noch so Zusatzzeugs. Die Verstärker waren auch ein bisschen größer, die Musiker waren aber genauso klein, vor allem die Sängerin mit der schicken Kurzhaarfrisur und der schönen Nase. Das war übrigens dieselbe, die uns im Vorfeld schon beim Aufhängen von Kameras aufgefallen war und uns dafür auch kurz von der einen Ecke verscheucht hatte. Umgezogen wurde sich nicht, also keine bunten Overalls wie auf dem Bandfoto, sondern halbwegs normale schwarze Klamotten, ausgenommen vielleicht das schicke asiatisch motivierte Kurzarm-Hemd des Drummers und das Freygang-Gedenk-Netzhemd des auch in der Frisurgestaltung eher bluesig unterwegsen Gitarristen. Habe ich die albern riesigen Effektpedal-Paletten erwähnt?

Um nicht wieder die jungschen Springmäuse vor der Nase zu haben, die kurz vor Ende der Vorband ganz vorne auftauchten und mehr mit sich und ihrer tanzend und schlenkernd zur Schau gestellten Begeisterung beschäftigt waren als mit der Musik, haben wir uns beizeiten einen Platz fast ganz vorne ausgesucht. Viel hat das nicht geholfen, denn es wurde noch mal ein Stückchen voller und keine Lücke war so klein, als dass sich nicht doch noch einer gefunden hätte, der sich da reinzwängen wollte. Aber die Stimmung war tatsächlich auch dufte und offenbar ist die Band keine unbekannte mehr, denn es wurden Songs eingefordert und sogar mitgesungen. Und der Aufforderung zum Pogen wurde ohne Murren Folge geleistet. Die Leute ganz vorne mussten immer wieder hart kämpfen, damit sie nicht im Instrumentarium landeten. Hatte ich die Wärme und die daraus resultierende Nässe angesprochen? Wie das Wasser die Fensterscheiben herunterlief? Und wie sich das anfühlt, wenn der Ellenbogen auf einen nassen Arm trifft, der noch wärmer ist als der eigene? Und wie das aber niemanden gestört hat?

Hier könnte eigentlich ein Bandcamp-Player hin.

Das Publikum freilich im wesentlichen ein ganzes Stückchen jünger als wir, ich muss mich langsam daran gewöhnen, dass das viel eher die Generation meiner Kinder ist als die meine. Direkt neben uns war aber ein sympathisch aussehendes Pärchen, das mit Sicherheit noch ein paar Jahre mehr auf dem Buckel hatte und ganz genauso selig grinsend und wippend mitgegangen ist. Ich hätte gern unterstellt, dass das die Autoren des taz-Artikels waren, aber der war ja von Jens Uthoff, und der sieht ganz anders aus.

Der Sound teils eher matschig, was aber vermutlich dank der vielen Effektpedale durchaus so gewollt war. Und auch der kleinen Anlage und dem kleinen Raum geschuldet ist. Technisch alles sehr viel sauberer gespielt als bei der Vorband, aber musikalisch eben leider auch nicht so interessant, sondern mehr so routiniert runtergerockt. Nicht schlecht, mir Druck und Verve und angenehmem Gesang in leicht schiefer Tonlage, wie man ihn von älteren Berliner Postpunk-Bands kennt, aber insgesamt dann doch nichts unbedingt zwingendes fürs Plattenregal.

Katharina hat sich dann natürlich ein T-Shirt gekauft. Und ich mir noch ein Bier. Flüssigkeit muss nachgefüllt werden, sonst stirbt der Mensch. Ist ja kein Vogel, schließlich.

Weil ich einen kleinen Appetit hatte, sind wir noch ein bisschen die Hermannstraße hoch und wieder runter, aber da war nichts, was uns wirklich ansprach. Also wieder in die U-Bahn und ab nach Hause. Im Späti vor der Haustür, der jetzt so grässlich blendende Lichter an seine Markise gehängt hat, von denen die Hälfte vermutlich immer noch zu grell wären, gabs aber erst noch ein Absacker-Bierchen und ein Tütchen Chipse. Und dann wars auch schon Mitternacht und Zeit fürs Bettchen. Weil wir ja jetzt schon die andere Generation sind.