Zwei meiner Lieblingsbands aus dem Post-Metal-Lager waren da. Also nüscht wie hin.
Zum einen Rýr, die ich vor inzwischen doch schon wieder drei Jahren für mich entdeckt hatte; es ist jedenfalls eindeutig schon reichlich drei Jahre her, dass ich das mal als meine neue Entdeckung angepriesen habe, damals in Marienberg, als wir in einer Runde um den Tisch saßen und jeder mal seine neueste Lieblingsmusik vorspielen sollte. Klirrende Kälte in Noten gegossen, mal als glasklare Echotöne, mal als eiskalt hämmernde Riffs. Berliner Band, also Vorband.
Zum anderen Shakhtyor, die ja eigentlich Шахтёр heißen, sich aber der Lesbarkeit halber lieber so ulkig mit lateinischen Buchstaben und ans Englische angelehnter Buchstabenauswahl schreiben, weil man sich natürlich nicht einfach Bergmann nennen kann, wie sieht denn das aus, und die ich zeitlich schon vor den Berlinern für mich entdeckt hatte; es ist jedenfalls schon fast dreieinhalb Jahre her, dass ich mir die beiden Platten der Band für kleines Geld im Internet kaufen und ins Regal stellen konnte. Hamburger Band fortgeschrittenen Alters, also Hauptband.
Und im Monarch war ich auch noch nicht. Hatte das Wort eigentlich nur für eine American-Football-Mannschaft im Hinterkopf, aber das war ja noch in Dresden. Man kriegt dann jedoch recht schnell raus, dass das Ding direkt am Kottbusser Tor liegt, da im ersten Stock über den Läden, mit dieser angeschrägten Fensterfront direkt von schief unten auf die U-Bahn guckend, die da alle Naselang vorbeirattert.
Den Eingang zum Club hab ich nicht gleich gefunden, alles voll da mit Gekrakel und Postern und Spuckis und Schildern und Aufklebern, aber an der einen Ecke des Durchgangs stand weiter oben was schwarz auf gelb, das man als Monarch entziffern konnte, also wäre da irgendwo im oder hinter dem Durchgang vielleicht ein Aufgang zu finden, ach nee, doch nicht, aber direkt unter dem Schild hab ich dann gesehen, als ein paar der Leute wieder weg waren bei meinem Zurückkommen, direkt unter dem gelben Schild war eine stinknormale kleine Haustür, an der ein handgeschriebener Zettel hing, der offenbar was zu einer anderen Veranstaltung kundtat, und die Tür war mittels Kette und Schloss gegen ein Zufallen gesichert, die hab ich einfach aufgeschoben und bin das enge, schlecht ausgeleuchtete Treppenhaus hoch, und da standen ab dem ersten Treppenabsatz schon welche Schlange, da hab ich mich angestellt und wurde auch nach einem knappen Blick auf mein Handydisplay hineinkomplimentiert, das hätte am Ende alles mögliche sein können, ich hatte ja auf den QR-Code vergrößert, damit der einfach einzulesen sei, aber das wurde gar nicht für nötig erachtet, Technik nicht vorhanden, Eintrittspreis eh für heutige Verhältnisse niedrig, und das Vertrauen, dass man in so einer Situation nicht bescheißt, schon gar nicht in einem Kreuzberger Club bei so einer Nischenmusik, außerdem war ich ein freundlicher alter weißer Mann mit Mütze.
Drinnen recht klein, aber dafür bzw. deswegen doch schon recht voll. Man macht sich ja so seine Vorstellungen, wer sich bei diesen Bands alles auf den Weg durchs nasskalte Winterberlin macht, ich hatte also eigentlich weder mit deutlich mehr noch mit deutlich weniger Leuten gerechnet. Die Fahrt hatte mich etwas mehr Zeit gekostet als geplant, ich musste noch fix Bargeld holen, so dass ich eine der M10 schon wegfahren sah, die nächsten dann aber erst in 16 und 17 Minuten angekündigt waren, so dass ich kurz überlegt habe, nicht doch die andere Route zu nehmen, die in der Fahrinfo einerseits als schneller angepriesen wurde, aber andererseits mit Störungen benotiert war wegen der Demos, die schon wieder stattfanden: da war wohl eine kleine Nazidemo in Friedrichshain mit erheblichem Antifa-Gegenwind, das hatte ich gar nicht mitgekriegt. Aber in genau diesem Moment fuhr jedenfalls die M4 auch schon ab, und ich mag die Strecke durch Friedrichshain und mit der U1/3 durch Kreuzberg doch mehr, und es war ja erst um sieben, also hab ich die Viertelstunde halt gwartet. Laut Ticket sollte es um acht losgehen, also kein Grund zur Hektik. Und mit bisschen Schieben kam man dann in die Bahn auch rein, die Leute lassen ja immer viel Platz zwischen den Türen und stapeln sich dafür direkt davor. Drinnen offenbar lauter Demoteilnehmer, rote Fahnen in den Rucksäcken und Gespräche über Treffpunkte.
Vor Ort war ich dann jedenfalls halb acht. Bisschen umgucken, schön düster und abgeranzt, bisschen verwinkelt, ein paar Kneipentische mit Gästen, die Garderobe hatte zu, in einer Ecke vorne CDs und Pullis, in der hintersten Ecke eine kleine Bühne für maximal drei Musiker. Erstmal am Tresen anstellen und beobachten, wie das Bier in dünner werdendem Strahl aus dem Zapfhahn tröpfelt und auf welche Weise man hier die Bedienung auf sich aufmerksam macht. (Im übrigen waren alle nett, diese so36mäßige Überheblichkeit, von wegen wir sind hier die coolen Kreuzberger und du nicht, die konnte ich jedenfalls nicht beobachten.) Und auf einmal dröhnte es schon von der Bühne, ein Gitarrist wollte wohl nochmal einen Soundcheck machen, nee, die erste Band stand schon komplett da und wollte anfangen. Kurz nach halb acht schon. Ich hab mein Bier also gestikulierend bestellt und bin am hinteren Rand des Publikums verblieben.
Und wie eigentlich zu erwarten, war die Band live nicht so doll wie auf Platte. Das könnte zum einen daran liegen, dass sie nur zu dritt waren, ich hab jetzt zumindest hinterher noch Videos von Auftritten gefunden, wo sie zu viert waren und deutlich besser geklungen haben, zum anderen könnte es am kleinen Club mit dem schrägen Grundriss und der Akustik dadrin liegen, vor allem aber wird es daran liegen, dass bei dieser Band der Sound aus dem Studio eben besonders künstlich ist: das glasklare und transparente, das deutlich abgesetzte, das kriegt man live kaum hin. Möglicherweise hat der Gitarrist ein paar Spuren geloopt, so genau konnte ich das aus der hinteren Reihe nicht verfolgen, hatte aber immer wieder den Eindruck, nicht nur zwei Instrumenten zuzuhören. Und der Sound war halt recht matschig, die Black-Metal-Riffs kamen nicht so sauber rüber, die Soundwechsel und Spuren-Verschiebungen waren nicht so rauszuhören, und damit war das Hörerlebnis doch deutlich getrübt, kam vieles von dem gar nicht an und rüber, was man aus dem Studio so mitnehmen konnte. Schade.
Dafür sah der Gitarrist putzig aus mit seinem Oberlippenbart und seinen kinnlangen Haaren, die er aber irgendwie über der Stirn festgeklemmt hatte, so dass nur am Rand ein paar Haare an den Wangen vorbeiwipperten, wenn er mit dem Kopf wackelte. Ein bisschen hat er mich auch an meinen Cousin Matthias erinnert, der sah eine Zeitlang auch mal so ähnlich aus und war ja auch in Berlin zuhause. Der Schlagzeuger arbeitete genau und emotionslos und nicht übermäßig kräftig, das kommt mir bei Rockmusik immer ein bisschen komisch vor, ist bei metalligen Bands aber gar nicht so selten. Der Bass durfte dafür ab und zu ordentlich bratzeln, so soll es sein und hört man es gern.
Nach einer dreiviertel Stunde waren sie soweit fertig, allzu viele Stücke haben sie nicht gespielt, aber da die alle so lang sind, ist das ja auch gar nicht nötig, um einen kompletten Konzertabend zu bestreiten. Es wurde ordentlich applaudiert und eigentlich sogar noch eine Zugabe gefordert, aber die gab es nicht. Oder? War ja auch alles gesagt. Wie schon auf Platte nervt das ganze ja nach einer halben Stunde dann doch ein bisschen, das Schema ist immer wieder geradezu verblüffend dasselbe, und der Sound und das Tempo ändern sich im Grunde auch kaum, zumal wie oben angedeutet der Sound das ganze auch nicht differenzierter gemacht hat. Nett und schön, sehr sogar, aber eben zu wenig Abwechslung und dementsprechend auf Dauer etwas ermüdend.
Neues Bierchen holen, der Bereich vor der Bühne hatte sich etwas geleert, also hab ich mir einen Platz weiter vorn gesucht. Immer noch in der dicken Winterjacke, aber wohin damit? Irgendwo in die Ecke pfeffern wie früher? Die Bands trugen ihr Equipment durch den Saal, offenbar hatten sie am anderen Ende oder sogar noch durch den Hausflur ihren Backstage-Bereich und mussten nun alle Schlagzeugteile einzeln durch die Massen bugsieren, die einen ihres nach hinten, die anderen ihres nach vorn. Stellt sich also raus, dass der eine ältere Typ, der am Anfang des Konzerts das eine Mal so doof durch den vollen Saal erst nach vorn und dann gleich wieder nach hinten gestiefelt ist, der Gitarrist der Hauptband ist. Und der eine Typ mit dem albernen Basecap ist natürlich der Bassist, der haargenau so aussieht, wie man sich einen Musiker einer in die Jahre gekommenen Rockband aus Hamburg vorstellt: bisschen stämmig, bisschen Bart am Kinn, Hornbrille, über dem T-Shirt eine Jeansweste mit Aufnähern, aber ordentlich sauber, Jeans mit breitem Aufschlag, grobes Schuhwerk.
Ein paar Minuten vor um neun waren sie soweit und haben angefangen. Schön langsam mit einzelnen Tönen und langen Abständen, wie sich das gehört bei Post-Irgendwas mit Rock. Und wurden beizeiten ordentlich laut, das hat mir bei der Vorband ja so ein bisschen gefehlt, die letzte Schippe Lautstärke, die diese Musik braucht, aber das lag tatsächlich nur an meiner Nähe zur Bühne und den Lautsprecherboxen, wie ich später merken durfte. Vorn also fast ein bisschen zu viel Wumms, der Sound aber prima, ordentlich meternder Bass, fein sägende Gitarre, fett rumpelndes Schlagzeug. Aber nicht singen, wurde aus dem Publikum gefordert, das willste nicht hören, hieß es daraufhin. Ja hatter ja gesagt. Man kannte sich, man freute sich, eigentlich sollte es schon längst ein neues Album geben, aber es ist nur ein neuer Song rausgekommen, den durften wir uns dann auch gleich anhören. Klang wie der Rest auch, und den Rest kannten wir alle auch schon: düster dräuende Gitarrenwände, schwer zerrender Bass, brachiale Drums, feine Wechsel zwischen Laut und Leise, viel Ruhe dazwischen, aber ab und zu auch erheblich schneller die Gitarren zerschraddelnd. Der Blick aus den beschlagenen Fenstern auf den düsteren regennassen hässlichen betonierten Platz des Kottbusser Tors mit der U-Bahn obendrüber und den unübersichtlichen Spuren, auf denen die Autos und Fußgänger die Kreuzung eilig überquerten, hat da eigentlich ziemlich gut gepasst.
Der Gitarrist hatte ein großes Brett mit Effektpedalen vor sich, das ist ja heutzutage auch so üblich, dass da ein einfaches Verzerrer-Pedal nicht mehr ausreicht, das gilt gar nicht mal nur für Post-Rock oder Noise-Rock oder Post-Metal, wo es ja wirklich auf abwechslungsreiche Sounds ankommt. Daneben hatte er aber auch so ein einoktaviges Fußkeyboard, wie man es ähnlich auch immer wieder mal bei Motorpsycho gesehen hat und mit dem er an mindestens einer Stelle zusätzliche Synthesizerklänge unter die Rockband legen konnte, meines Erachtens zu laut und an der Stelle auch gar nicht notwendig, aber vielleicht gabs das auch öfter, ohne dass es mir unangenehm aufgefallen ist.
Nach einer dreiviertel Stunde wollten sie gern fertig gewesen sein, aber da gab es natürlich noch vehemente Forderungen nach Zugabe, denen sie schließlich nachgekommen sind. Da stand ich aber grad schon am Klo an, zwei Biere wollen ja schließlich auch irgendwann wieder weggeschafft werden. Das sehr enge kleine Klo und die schmale Pissrinne boten aber nur Platz für zwei Männlein nebeneinander, und die waren schon drin und meldeten fröhlich, dass ich mich noch kurz gedulden müsse. Aber klar doch. Für die Frauen gabs nebenan nur eine einzelne Kabine, da war noch viel mehr Warten angesagt.
Naja, jedenfalls war dann nach der einen feinen Zugabe aber wirklich Schluss, alle freuten und bedankten sich gegenseitig, und ich bin nochmal zum Merchandise-Stand gewackelt, ob ich vielleicht einen Kapuzenpulli bekommen kann, sowas würde ich mir vielleicht doch mal wieder anschaffen. Aber da gabs von Shakhtyor nur einen mit einem Motiv, das mir gar nicht gefallen wollte. Irgendwas mit Baum und Geweih und einem völlig dämlich umgebrochenen Schriftzug in fraktur-ähnlicher Type, neenee, ich will was mit Bergmann-Motiv und am liebsten mit kyrillischem Logo. Also ab in den Regen und in die U-Bahn und nach Hause. War noch nicht mal zehn Uhr und der Abend trotzdem schon zu Ende. Naja, zu Hause konnte ich noch ein bisschen babeln, inzwischen waren die Mädels ja wieder zurück vom Familienbesuch in Fürstenwalde.