Keine Verständigung, also Aussetzung

Staatsanwalt und Rechtsanwalt konnten sich nicht auf eine Verständigung einigen.

Krischan am

Bisschen chaotisch das alles heute. Ist das nur die neue Software? Oder liegt das an der Abteilung? Am frühlingshaften Wetter? Ich weiß es nicht. Also keine Unterstellungen.

Auf dem Zettel vor Saal 105 wieder alle vier Namen der verbliebenen Angeklagten, obwohl wir ja heute nur einen einzigen verhandeln wollten. Den hatte ich das letzte Mal #1 genannt, da gab es noch keine fertige Übereinkunft über die Höhe der Gesamtstrafe bzw. ob die zwei Jahre nur für die hier verhandelte Tat gelten solle oder unter Einbeziehung der letzten schon rechtskräftigen Verurteilung.

Straßenbahn vorher jedenfalls deutlich voller und auch langsamer als die letzten Male, daher war ich nicht allzu überpünktlich da, doch auch heute war ich eine Viertelstunde vor Beginn der einzige Anwesende. Konnte ich noch schnell den ulkigen Wartebereich knipsen. Das Schild, den Bogen mit nichts drüber, die Treppen dahinter. Der andere Schöffe kam dann auch gleich und kurz darauf die Protokollführerin vom letzten Mal und schloss auf. Ich gleich hinterher, und vielleicht wegen meines touristischen Blicks an die Saaldecke frug sie nochmal nach, in welcher Rolle ich denn hier sei, schob dann nach einer einladenden Geste jedoch schnell hinterher, nun würde sie uns ja doch erkennen. Nun ja, ein einziges mal gesehen, da erkenne ich auch nicht unbedingt wen wieder. Den Saal hab ich dann noch schnell geknipst, musste aber kurz die Beisitzerin vorbeilassen, die vermutlich nicht auf dem Bild mit drauf sein wollte, aber den Stuck auch zu würdigen wusste. Mitschöffe fand die Borte aus Rosen und Dornen ja ganz passend für ein Gerichtsgebäude, jaja, vielerlei Assoziationen. War mit dem Ergebnis aber nicht zufrieden, deswegen hier erstmal nur der Warteraum:

Warteraum 164

In der Zwischenzeit waren auch der Richter und der Rechtsanwalt da und schnell saßen wir alle im Saal, drei Besucherinnen trudelten dazu noch ein, eventuell gehörten die zu der größeren Gruppe an Schülern (oder Studenten?), die ich im Treppensaal schon herumlungern sah, nachgefragt und vorgestellt wurde jedenfalls niemand, ist ja eine öffentliche Verhandlung, das Fenster wurde zu- und das Licht angemacht. Der Staatsanwalt stehe wohl noch in der Schlange am Einlass, käme also gleich, hieß es. Und schon ging das Geplänkel los, erst nochmal zwischen Richter und Rechtsanwalt: wie war der Stand der Dinge, wer will was und was nicht, wer hat wen was gefragt und wer hat was gesagt. Beim Eintreffen des Staatsanwaltes wurde noch ein bisschen über Minuspunkte wegen Zuspätkommens gewitzelt, dann aber Butter bei die Fische: für eine Einigung im Sinne des Rechtsanwaltes wäre schon ein bisschen mehr nötig, wie sehe es denn mit den Schäden aus, seien die beglichen? Der Angeklagte wäre aber als Leistungsempfänger in dieser Richtung gar nicht leistungsfähig, so der Anwalt, und ohnehin nicht schuldig, was freilich die Gegenfrage auslöste, wieso denn dann überhaupt ein Einverständnis unter Einbeziehung der Vorstrafe angestrebt werde, wenn das gar nicht der richtige Angeklagte für die aktuell zu verhandelnde Tat sei. Der Staatsanwalt hätte jedenfalls bei seinem Vorgesetzten nachgefragt und Order erhalten und sich auch selbst in seinen wildesten Träumen nicht vorstellen können, wie man da zu einer Gesamtstrafe von zwei Jahren kommen solle. Und wo kämen wir schließlich hin, erst den Laden leer räumen und dann einen auf mittellos machen und noch Vergleiche einsammeln, da würde sich die Deutsche Justiz lächerlich machen. Der Rechtsanwalt sah sich daraufhin noch genötigt, die Vorverurteilung seines Mandanten zurückzuweisen, hier werde ja nun wirklich keine Mittellosigkeit vorgetäuscht.

Der Richter schloss das dann nach ein paar Minuten leicht amüsiert und leicht resigniert mit der Bemerkung ab, hier gäbe es wohl unterschiedliche Auffassungen und man brauche also nicht aufzurufen, sondern müsse den Fall doch nochmal richtig mit Beweisaufnahme verhandeln. Für beide noch offenen Fälle bräuchte es nun Gutachten für das Bildmaterial, das zur Überführung der Angeklagten gesorgt hat. Von dem ich als Schöffe ja noch nichts wusste, ich soll mir ja nur innerhalb der Verhandlung und auf Grundlage der dort zur Sprache kommenden Aussagen ein Bild machen. Offenbar gab es jedoch Filme aus Überwachungskameras, die mit Bildern aus anderen Quellen abgeglichen werden müssten. Hier konnte der Rechtsanwalt schon darlegen, dass es zwar Bilder vom selben Tag seien und die Kleidung auch ähnlich aussehe, aber eben andere Schuhe und sowieso Allerweltsklamotten. Ob da nun ein anthropologisches Gutachten in Frage käme oder nur ein Gutachten über die Kleidung, das blieb unklar, und früher hätte man da einfach nur draufgeguckt, aber heute sei es ja möglich, aus dem Faltenwurf und der individuellen Verfärbung von Jeans was zu schließen. Jedenfalls sei nun auch dieses Verfahren ausgesetzt, der Folgetermin nicht mehr notwendig, der Angeklagte zu entlassen (er saß immer noch im Flur) und ein neues Verfahren mit erweiterter Beweiserhebung anzuberaumen. Knappe zehn Minuten nach dem Beginn des eigentlichen Verhandlungstermins konnten wir die Aktendeckel also schon wieder schließen.

An der Stelle wurde nun durch eine Justizbeamtin klargestellt, dass die vielen Namen auf den Zetteln zur heutigen Verhandlung bei den Justizbeamten auch so angekommen seien und unter anderem dazu geführt hätten, dass auch der Angeklagte aus der U-Haft nebenan herbeigeschafft worden sei, der säße nun immer noch im Tunnel und warte. Werde der noch gebraucht? Hin und Her über die neue Software, jaja, neenee, ich weiß auch nicht. Und dann kam auch der erste Zettel für unsere Anwesenheit ins Spiel, der für heute wäre fertig. Für den Nachweis bei der Berechnungsstelle braucht man ja immer was unterschriebenes vom Richter, dass man auch wirklich in der und der Zeit anwesend war. Die für die beiden zurückliegenden Termine hatten wir schon im Vorfeld bei der Protokollführerin beantragt, ich hatte ihr aus meinen Notizen noch die Endzeiten der Verhandlungen notiert, aber der Ausdruck musste dann mehrfach ausprobiert werden, mit beiden Namen auf den Zetteln, die dann aber trotzdem zweifach doppelt ausgedruckt werden mussten, für jeden Schöffen separat in zweifacher Ausfertigung, und der Richter hat dann vorm Unterschreiben jeweils einen der Namen wieder durchgestrichen, warum auch nicht. Putzigerweise kam aber immer der jeweils zweite Ausdruck auf zwei Seiten verteilt aus dem Drucker, obwohl der jeweils erste genau wie vorgesehen auf eine Seite gepasst hat. Allgemeine Begeisterung ob des unerklärlichen Innenlebens von Maschinen.

Zum Abschied vorm Eingang zum Gerichtsgebäude noch ein kurzer Plausch mit dem anderen Schöffen, den ich nun also vermutlich nicht nochmal sehen werde; der ist ja nur Ersatzschöffe. Mal sehen, ob ich dann nächste Woche zur nächsten Verhandlung meinen diesjährigen Dauerpartner kennenlerne, normalerweise ist man ja als Schöffe immer für ein Jahr ein festes Doppelgespann. Vermutlich war der Anfang Februar im Skiurlaub und hat deswegen die Entsendung eines Stellvertreters ausgelöst. Ich hab ja neulich auch nochmal meinen Sommerurlaub mitgeteilt, damit ich in der Zeit nicht doch noch einen Folgetermin aufgebrummt bekomme. Ansonsten hatten wir uns bei der Planung des Urlaubs ja schon an den zu Jahresanfang unverbindlich mitgeteilten Terminen orientiert und sorgsam drumherumgeplant.