Psychotische Motor:innen

Wir waren bei einem Motorpsycho-Konzert.

Krischan am

Schon wieder im SO36. Ich wollte schon drüber schwadronieren, dass das ja überhaupt nicht zur Band passt, an so einem linksradikalen Ort zu spielen, aber die subkulturelle Herkunft der Band ist ja genau so ein linksalternativer Freiraum in Trondheim. Naja, vermutlich nicht genau so einer, aber ganz unpolitisch ist die Band jedenfalls nicht. Ich find wohl nur die nostalgisch angehauchte Vergötterung und berlintypische Selbstverliebtheit von Kreuzberg im allgemeinen und des SO36 im besonderen immer ein bisschen naja und kann den Club deswegen nicht so recht leiden, dabei kann der ja eigentlich fast gar nichts für seine Fans.

Aber ein komischer Schlauch ist es halt auch, das ist auch anderen Leuten im Publikum aufgefallen, die möglicherweise zum ersten Mal da waren. Und nach dem Ende des ausverkauften Konzerts war das tatsächlich auch ein bisschen doof, in dem langen, leicht abschüssigen Gang zwischen Saal und Ausgang festzustecken, weil sich die zwei Garderoben-Schlangen nicht so richtig aufdröseln ließen und auch die Besucher ohne Garderoben-Bedarf in der Masse stehen blieben. Und dann standen da auch noch schwatzende Leute rum. Und Bänke zum Sitzen. Aber für Panik war ja kein Anlass.

Jedenfalls waren wir diesmal nicht ganz so früh da, zur Einlasszeit losfahren reicht ja, dann ist man auch mit der netteren, weil nicht über den Alexanderplatz führenden, aber etwas längeren Verbindung mit der M10 und der U1 oder U3 über die Danziger und die Warschauer noch weit vor achte da und kann sich in Ruhe ein verhältnismäßig günstiges Bierchen organisieren (wir waren schon groß und durften aus Flaschen trinken; letztens wurde das alles immer einzeln von Hand in Plastebecher umgefüllt) und den Merchandise-Stand inspizieren. Da gab’s aber leider nichts interessantes, vielleicht auch weil das der letzte Termin der Tour war und alle Schmäckerchen schon alle waren. Der Verkäufer hat sich jedenfalls laut Katharinas Aussage gerade für den Eigenbedarf das letzte Exemplar eines Siebdruck-Posters unter den Nagel gerissen, als sie danach fragen wollte. Ein-zwei von den neueren Platten gab’s in regulären statt umständlichen Falt-Covern mit etwas anderem Layout, aber das ist jetzt kein Grund, sich die zweimal hinzustellen. T-Shirt-Auswahl nicht so dolle, Basecaps tragen wir nicht, Aufkleber und Aufnäher auch nicht, und der rote Yay!-Stoffbeutel war auch nur so lala. Aber den hat sich Katharina dann ganz trotzig trotzdem gekauft. Der vom vorvorletzten Mal geht schließlich schon langsam in die Brüche.

Also weiter vorne einen Stellplatz suchen. Bekannte Gesichter dürften nicht zu erwarten sein. Aber wo ist dieser eine Comedian, der bekennender Langzeit-Fan und immer da ist und in der ersten Reihe stehen müsste? Das Publikum natürlich älter und auffallend mit Pärchen durchsetzt, das eine direkt vor uns wird sich während des Konzerts allenthalben abknutschen, andere halten nur ein bisschen Händchen, wenn die Musik gerade dazu angetan ist. Noch andere texten sich die ganze Zeit zu, die rechts vor mir zum Beispiel, die sich schon vor dem Konzert auf die doppelhälsigen Instrumente freuten und bei denen offenbar der eine dem anderen immerzu irgendwas erklären musste, da hat sich wohl einer zu einem Konzert einer ihm bis dato unbekannten Band überreden lassen.

Irgendwer hat auch wieder schön gepupst. War ich das? Die ungewohnte, lange nicht getragene Jeans und der in der Wärme etwas feucht gewordene Schlüppi haben sich schon so komisch angefühlt. Aber der Geruch war nicht meiner. Oder täuscht das? Was man sich halt so für Neurosen zulegen könnte.

Pünktlich auf die Minute um acht kamen die drei Herren dann auf die Bühne. Der Aufbau der Instrumente und Verstärker und Mikrofone hatte es schon nahegelegt, dass sie diesmal keinen Keyboarder mithaben. Alle drei in einer Linie, das Schlagzeug ohne Erhöhung in der Mitte. Den neuen Schlagzeuger hatten sie schon im Internet angekündigt: schulterlanges Haar, Hakennase, Oberlippenbart, wie aus den Siebzigern rübergebeamt. Passt ja zu den anderen beiden Gestalten. Das Schlagzeug selbst wieder weniger ausufernd in der Anzahl der Toms und Becken, ein Gong war auch nirgends aufgehängt, dafür standen an allen drei Plätzen Keyboards bereit, damit – wenn nötig – doch ein paar Tasten gedrückt werden können.

Die beiden Gitarristen haben sich aber erstmal Akustikgitarren umgehängt und sich auf die bereitstehenden Stühle gesetzt und der neuen Platte und ihrem vorgerückten Alter entsprechend ruhige Musik gespielt: einen Song vom neuen Album, eine in der akustischen Spielart wirklich gut gelungene Variante des alten Gassenhauers »Sideway Spiral«, zwei weitere neue Songs und dann den herrlichen Evergreen »Feel«. Dann haben sie sich aber doch ihre elektrisch verstärkten Gitarren reichen lassen, Bent in der zweihalsigen Form, und dann gings mit »Tower« auch gleich ordentlich zur Sache.

Hatte ich erwähnt, dass es nach einem kurzen englischen Einstieg eine deutsche Begrüßung von Bent Sæther gab? »Hello Berlin. How are you? Wie geht es euch? Wir sind die psychotischen Motoren. Motorinnen.« Den Rest hab ich vor lauter glucksender Freude vergessen. Ging ja auch gleich los.

Der Rest des Konzertes blieb dann aber der lauteren Rockmusik vorbehalten. Ich fand das ja teils ganz gut, dass sie jetzt auch leise können, und zwar nicht nur auf dem Album, sondern auch auf der Bühne, teils fand ich auch die Vorstellung lustig, dass ein Teil des Publikums zunehmend unwirsch wird, weil sie nicht wegen derartig softem Kram zum Konzert gekommen sind, sondern wegen episch langer und lauter Progrock-Eskapaden, teils wollte ich aber natürlich auch selbst am liebsten ein weiteres Mal die alten Hits um die Ohren gedroschen bekommen.

Gespielt haben sie dann eine bunte Mischung aus allen Jahrzehnten ihres Schaffens. Wie üblich. Einen Coversong auch, den kannte ich gar nicht, und der Anfang gefiel mir auch nicht in seiner schweinerockigen Stumpfheit, aber am Ende haben sie ihn doch (jaja, erwartungsgemäß) schön ausgewalzt und durchexerziert, da war das einfallslose Geriffe vom Anfang fast schon wieder vergessen.

Am Rand der Bühne standen übrigens Raummikros rum, offenbar wurde mitgeschnitten, um später vielleicht mal wieder eine Live-Platte draus zu machen. Der Sound war aber nicht durchgängig allzu gut. Dabei hatten sie ihren eigenen Techniker mit. Aber der Schlauch-Saal … Und offenbar auch ihre eigene Lichttechnik, die ihr eigener Lichttechniker bedient hat, Video-Hintergrund war auch da, und am Rand der Bühne versteckt saß noch einer nur für die korrekte Einstellung der Monitorboxen, wenn ich das richtig verstanden habe. Und der alte Schlurfi, der immer die Gitarren austeilt, durfte auch nicht fehlen. Und die Bass-Pedale für die ganz fiesen Grundtöne kamen an ein-zwei Stellen auch zum Einsatz.

Nach einer reichlichen Stunde gabs sowas ähnliches wie eine Pause, und auf den aus dem Publikum schallenden Ruf hin, wer denn dieser Drummer wäre, hat der dann einfach fünf Minuten gezeigt, was er so drauf hat. Nämlich echt ’ne Menge. Bent verschwand nochmal, große und kleine Flaschen wurden gekippt und genippelt, Wortspielereien zwischen Band und Publikum über Underberg und Overberg wurden ausgetauscht, und schon konnte es weitergehen.

Und obwohl mir immer wieder mehr oder weniger hell leuchtende Handybildschirme in den Guckstrahl gehalten wurden, kann ich auf youtube kein Video finden und also nichts passendes hier einbinden. Landet das inzwischen alles auf anderen Plattformen? Kann man das dann auch einbetten? Sagt mal.

Das letzte Stück war das sehr schöne »Plan #1«, bei dem die eingespielte Rezitation wieder etwas zu blechern und zu laut war. Mit Klatschen und Pfeifen haben wir die Herren aber nochmal auf die Bühne geholt, und sie haben uns den möglicherweise besten Song der Band nochmal in aller Länge und Breite ausgerollt: »The Wheel«. Dann waren auch schon reichlich zweieinhalb Stunden um, und eine zweite Zugabe gab es nicht mehr. Nach wenigen Momenten Applaus ging schon die Musik vom Band an, Techniker bauten die Mikros ab und das Publikum strömte Richtung Ausgang. Katharina war sauer; sie hatte gehofft, das Erlebnis im Lido mit Built To Spill wiederholen zu können, wo nach minutenlangem Gejubel die Band schließlich doch noch ein weiteres mal nach vorne kam.

Diverse Schwätzchen und lustige Missverständnisse beim Flaschen-zurückgeben am Tresen, kasperige Laberköppe auf dem Weg zur Garderobe, dämlich im Weg rumstehende Touristen auf dem Fußweg, müde Rücken in der Bahn, ein frugales Nachtbrot mit Räucherfisch vom Stechlin in der heimischen Küche. Dann aber rasch ins Bett.