Am Samstag. Mal wieder im Lido. Mal wieder zu zweit. Mal wieder bei Built To Spill. Und hamm mal wieder Leute aus Dresden getroffen. Aber ganz andere als sonst immer.
Aber von vorn. Obwohl. Muss ich wieder beim Abendbrot anfangen und dann erzählen, wie man in einer Großstadt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fährt? Oder den Kauf der Tickets beschreiben?
Kurz vor acht waren wir da, sind ohne zu zögern hineinmarschiert, haben einen kurzen Blick auf den Merchandise-Stand geworfen und nichts entdeckt, dass uns unbedingt erstrebenswert erschien, haben uns ein Getränk besorgt, und dann ging es fast haargenau Schlag zwanzig Uhr auch schon los mit der Vorband. Das war die Begleitband des letzten Albums, die brasilianische Band namens Oruã, die mir nach anfänglichen Schwierigkeiten mit dem Sound doch immer besser zu gefallen begann, auch wegen der klapperdürren Schlagzeugerin, die da seitlich am Rand der Bühnenkante saß oder vielmehr versunken hockte und nur so aus dem Fingergelenk ihrer betont locker gehaltenen Arme spielte, kein Wumms also, sondern mehr so entspannt fluffiges Gewusel, das mit kreisenden Bewegungen an den Becken und Toms vorbeiflog und einen erstaunlich rundlaufenden Grundbeat erzeugte. Der Bassist mit dem geigenförmigen Halbakustikbass und der singende Gitarrist, der sich die Gitarre ab und zu unter die Achsel klemmte, um besser spielen zu können, und der Knöppchendreher an seinem kleinen Klapptischchen, die haben ihre Sache bestimmt auch gut gemacht. Nette Musik aus der klanglichen Nähe zu Built To Spill, nur erfreulicherweise viel experimenteller ...
Die Kassette des aktuellen Albums werd ich mir also doch noch holen, hab ich mir gedacht. Hatte ja auch schon zu Hause kurz bei bandcamp reingehört und bei discogs gesehen, dass es die nur auf Tape gibt. Ist ja auch billiger und robuster als so eine Platte. Und mal wieder was anderes.
Aber in der Pause erstmal ein bisschen laufen, Katharina hats ja im Rücken und/oder in den Beinen und/oder im Hintern und muss sich bewegen. Und hinten auf dem Weg zu den Toiletten ist ja so ein halboffener Raucherraum, ich hatte schon ganz vergessen, dass der in diesen Club gehört. Warm wars da und voll. Und der eine da, der da in der Mitte in der Stuhlreihe saß, der sah aus wie der Gregor aus Dresden, der Drummer von Pancake Day, mit dem wir nach dem Ausstieg von Carsten auch eine Weile geprobt hatten, nur dass der jetzt ein paar Jahre älter aussah. Naja, wäre ja auch logisch. Und grad wollte ich Katharina drauf aufmerksam machen, da sieht sie grad schon selber den anderen Typen direkt daneben, der sich bei genauerem Besehen als der Ralf aus derselben Band entpuppte, nur die Haare kürzer und grauer. Na gugge. Wir wurden aber auch erkannt, vielleicht auch durch unsere altvertraute personelle Kombination. Allzuviel Zeit zum Austausch und Auf-den-Stand-bringen hatten wir dann leider gar nicht, weil sich schließlich doch die Hauptband akustisch bemerkbar machte und wir wieder reinmarschiert sind, während die anderen beiden noch auf ihre weiblichen Begleitungen warten mussten …
Ich musste mein Pausenbierchen gleich nachfüllen lassen und dann haben wir uns vorsichtig durch den inzwischen vollen Saal etwas nach vorne gedrängelt. Ganz am Rand war vom Bühnengeschehen nicht so viel zu sehen, also ein bisschen weiter in die Mitte. Der letzte Typ, an dem ich mich vorbeigedrängelt hatte, musste mich nochmal mit dem Ellenbogen anrumpeln, keine Ahnung, was der wollte, hätte ja auch ein bisschen Platz machen können. Aber denkste, wer das war? Wen ich zuletzt vor fast genau zehn Jahren auch bei einem Built-To-Spill-Konzert getroffen hatte? Genau, der Lars. Nu gugge. Fachsimpeln über den Sound, Denkanstöße an vergangene Konzerte, gegenseitiges Bierholen, Kommentieren der Band auf der Bühne, was halt so dazugehört. An vielen Stellen hat mir die zweite Gitarre gefehlt, denn wie versprochen wurde das einzige feste Bandmitglied Doug Martsch ja nur von zwei jungen Frauen begleitet, die ihre Sache zwar ausgezeichnet machten, aber eben den fehlenden Vierten nicht ersetzen konnten. Bei älteren Stücken aus der garagigen Lofi-Phase der Band hat das freilich weniger gestört, aber die Sachen von »Perfect From Now On« oder »Keep It Like A Secret« funktionieren dann eben doch weniger gut, so nackig ohne die vielschichtigen Gitarren-Spuren. Vielleicht lags zum Teil auch am Sound, der auch bei der Hauptband lange Zeit unausgewogen blieb, viel Bass und Schlagzeug, Gesang zu leise und/oder mit zu viel Hall, und von der Gitarre phasenweise fast nix zu hören, dann aber wieder mehr als genug. Vielleicht lags aber auch an der Konstellation der Technik: Doug Martsch hatte neben sich noch ein Klapptischchen mit einem kleinen Mischpult oder was, wo er zwischendurch auch nochmal an Knöppchen drehen konnte, um den Sound zu verändern. Oder ist das der altersgerechte Ersatz für die Effektpedale gewesen?
Nach einer reichlichen Stunde war erstmal Schluss, aber das begeisterte Publikum des ausverkauften Lido johlte und pfiff, dass es gar nicht lange dauerte, bis die Band wieder auf der Bühne erschien und eine Zugabe gab. Es wurde immer wärmer, aber die Stimmung wurde auch immer besser, und inzwischen konnte man sich sogar einbilden, dass der alte bärtige halbglatzige Mann mit der Gitarre, der da konzentriert auf seine Finger schauend seine Arbeit verrichtete, vielleicht auch ein bisschen Freude an der Sache haben könnte. Die beiden Frauen auf jeden Fall, immer wieder haben sie sich hinter Doug Martschs Rücken Blicke zugeworfen und gelacht und genickt und sich gefreut. Gespielt haben sie übrigens vor allem alte und mittelalte Stücke aus der guten alten Zeit, und nur wenige Songs aus den letzten Jahren. Einerseits natürlich super, andererseits aber doch auch ein bisschen schade.
Zugabe zu Ende, bisschen Licht an, DJ-Musik an, schade, noch keine zwei Stunden um. Aber das verbliebene Publikum ließ sich gar nicht davon abhalten, weiter zu johlen, zu pfeifen, Pullover in die Luft zu werfen und zu trampeln, dass ich schon Angst um die Statik hatte. Und tatsächlich erschien die Band dann nach reichlich zehn Minuten ein weiteres mal auf der Bühne und spielte einen weiteren alten Gassenhauer, war das eine Freude! Und auch die Band konnte es sichtlich gar nicht fassen, was hier los war.
Dann musste ich aber aufs Klo, und Pfand-Marke zurückgeben, Kassette kaufen. Draußen kurz gucken, aber die Pancake-Days waren offenbar schon weg. Der Lars stellte sich aber nochmal ein, und nach einer Weile sind wir noch gegenüber in die Kneipe gewackelt und haben dort noch ausgiebig gelabert und getrunken, an allzu viel kann ich mich gar nicht mehr erinnern, es wurde immer lauter und voller und irgendwann tauchte auch noch so ein Typi am Tisch auf, der vorgab, mich für einen FDP-Politiker zu halten, damit er einen Vortrag über irgendwas mit Arbeit loswerden konnte. Inzwischen haben sich natürlich vor allem Katharina und Lars über all die Leute und die Bands ausgetauscht, mit denen wir früher so zu tun hatten. Und irgendwann zwischen zwei und drei sind wir dann hundemüde und heiser geworden Richtung heimisches Bettchen abgezischt; Lars ist wohl noch geblieben.
So war das. Glaub ich.