Kasperle ist wieder da

Caspar Brötzmann hat das Bi Nuu massakriert.

Krischan am

Ich dachte schon, ich komm zu spät, aber ich musste halt doch noch schnell das eine Website-Relaunch liveschalten, das seit einem halben Jahr nicht fertig werden wollte, die Kunden käsen sich ja immer nicht aus mit ihrem Teil der redaktionellen Arbeit, aber nölen dann rum, dass es jetzt aber sofort ganz schnell gehen müsse, weil sonst der Senat meckert, dass sein Geld in den Sand gesetzt wird, jedenfalls war ich dann ja aber doch recht fix drüben in Kreuzberg, Straßenbahn bis ans Ende und eine Station oberirdische U-Bahn, und schon ist man da, das Bi Nuu liegt ja direkt im Erdgeschoss des U-Bahnhof-Pfeilers Schlesisches Tor.

In der U-Bahn übrigens ein schmucker Tüpi mit einer schicken dunkelbraunen Akustik-Gitarre, der er ein paar rosane Plasterosen an die Kopfplatte gesteckt hatte, und der mit beeindruckender Rauch- und Sauf-Stimme und lässigem Gitarrenspiel eine grandios verblueste Version von »Whole Lotta Love« gespielt hat. Gab dann auch richtig Applaus. Aber nur von einer Person. Ich wars nicht. Ich hatte auch gar kein Kleingeld dabei und musste ja auch direkt an der ersten Station wieder raus. Und Kleingeld wäre sowieso gar nicht angemessen gewesen. Oder so.

Im Bi Nuu natürlich noch gähnende Leere, war ja erst eine Viertelstunde nach Einlassbeginn, also eine Dreiviertelstunde vor Konzertbeginn. Konnte ich direktemang an den Tresen und mir ein Bierchen bestellen. Pils oder Helles? Gute Frage, eine Helles bitte. Hätt ich vielleicht doch nicht machen sollen, war zwar ein bisschen alemäßig würzig, aber vor allem merkwürdig süßlich, keine Ahnung, was die da ausschenken, irgendwas spanisches steht da überall dran, aber da sind doch die Flaschen gemeint? Sitzplätze auf den spärlich in den Räumlichkeiten verteilten Stühlen gabs noch genug, also konnte ich sitzen und gucken, wer hier so alles auftaucht. Lauter ältere Herrlichkeiten und Dämlichkeiten. Die waren entweder wirklich alle mindestens zehn Jahre älter als ich, oder sie pflegen einfach einen anderen Lebenswandel. Drogen und so, jaja, solls geben. Die einen liefen immer noch rum wie damals in den Neunzigern, bunte Haare und dicke Lidstriche und crazy Klamotten, nur ein bisschen abgemildert vielleicht; die anderen sahen aus wie direkt aus dem Büroalltag kommend, so als wären es die Eltern der auftretenden Musiker. Ein Pärchen hätten glatt meine Schwiegermutter und die Claudia aus der Schafscheune sein können. Die meisten machten auch sehr den Eindruck, das erste Mal hier zu sein, und erkundigten sich freundlich bei den Einlassern nach dem Weg zum Raucherraum oder zur Toilette. Mittendrin immer wieder einer mit dickem Bauch, der offenbar zum Club gehörte und seine Runden drehte und kontrollierte, ob alles seinen geregelten Gang ginge. Habt ihr die Lüftung angemacht? Gut.

Es sollte ja noch eine Vorband geben. Als es auf einmal laut wurde, bin ich aufgestanden in den Saal gucken gegangen, und siehe da, der war ja doch schon locker angefüllt mit ein paar Leutchen, das läppert sich. Auf der dunklen Bühne ein Tüpi mit Glatze und Rumpelstilzchenbart und choppermäßig reduzierter E-Gitarre (geometrischer Korpus mit schöner Holzmaserung und messingfarbenen Einlagen, Hals ohne Kopfplatte und mit angeschrägten Bünden), der mittels allerlei Effektgerät und unsachgemäßem Hantieren an seinem Instrument eine vielschichtige Klanglandschaft durch den Saal rieseln und dröhnen ließ. Bisschen wie Sonic-Youth-Noise-Passagen, bisschen wie Deathprod-Synthesizer-Drones. Alles aus einem Guss und sich nur langsam ändernd und erweiternd, in den ruhigeren Stellen war dummerweise das Klicken der Loop- und Effektpedale deutlich zu hören, aber in den lauten Stellen wackelte die ganze Bude, vielleicht kam aber auch nur grad eine U-Bahn an. Zwischendurch hatte das zwar immer wieder seine Längen, aber dann wars eben doch immer wieder interessant, nett oder einfach nur schön dröhnend, genau in den Sounds, die ich auch immer mag, wenn ich verzerrte E-Gitarren höre, und als er zum Schluss noch einen Bogen auspackte und mit diesem die Saiten bearbeitete, fing wirklich der ganze Saal an zu vibrieren.

Nach ner halben Stunde oder so war er fertig, das ganze war tatsächlich ein langes Stück ohne erkennbare Pause gewesen, und ich blieb gleich weiter vorne, ein zweites Bierchen, diesmal aber ein Pils, hatte ich mir ja schon besorgt. So langsam schoben sich immer mehr Leute in den Saal, und man konnte ihn fast schon gefüllt nennen. Schließlich tauchte noch ein Rollstuhlfahrer auf, dessen Begleitung mich ermahnen musste, ihn doch bitte vorbeizulassen, damit er vorne an der Ecke der Bühne Platz zum Gucken hätte, ich hatte ja schließlich hinten keine Augen. Den hatte ich, möchte ich meinen, schon auf anderen Konzerten gesehen. Herr Brötzmann war auch schon zu sehen, wie er auf der Bühne nochmal seine Stecker und Stöpsel kontrolliert und seine Gitarren stimmt. Den kennt man ja vom sehen, der läuft einem ja ab und zu übern Weg hier in der Gegend. Dass ich die Band trotzdem noch nie live gesehen hatte, habe ich erwähnt? Den Auftritt von Caspar Brötzmann und FM Einheit im Panzerhof irgendwann in den Neunzigern freilich nicht mitgerechnet. Fand die immer super, aber dann schienen sie ja von der Bildfläche verschwunden zu sein, das letzte Album ist von 1994, und erst vor wenigen Monaten habe ich anlässlich eines knapp verpassten Konzertes mitbekommen, dass sie wieder auftreten.

Wir mussten aber noch bis ziemlich genau um neun warten, dann ging das Licht aus und ein hallendes Rummsen und Dröhnen ertönte, ohne dass wer zu sehen war. Theatershow, boxermäßiges Einlaufspektakel, meine Güte, im Gegenlicht des Gangs zum Backstage tauchte der Lulatsch dann auch auf, blieb aber zunächst weiterhin neben der Bühne stehen, den ersten Jubel mit hocherhobenem Arm entgegennehmend. Schließlich kletterte er doch auf die Bühne, gefolgt von dem Bassisten und einer offenbar neuen Schlagzeugerin, und fing an, seinen fünfsaitigen Bass zu bearbeiten, in ähnlicher Manier, wie er das mit den Gitarren auch zu tun pflegt: Klopfen an der Kopfplatte, Antippen der Saiten an allen möglichen Stellen, Schlagen auf den Korpus, Streichen der Saiten hinter dem Sattel. Damit produzierte er eine angemessen bedrohliche Klangkulisse, und verzweifelt stöhnend was singen macht das nur besser. Where is my hope?

Nach dem ersten offenbar neuen Stück kamen dann aber lauter gute alte Gassenhauer. Herr Brötzmann wechselte zur E-Gitarre, von denen er zwei an seinen Verstärkern lehnen hatte, und gniedelte sich einen auf die altbekannte Art und Weise ab, immer schön auf diesen sirenen- und alarmartigen Sekunden und kleinen Terzen herumreitend, dabei die Gitarre an den unmöglichsten Stellen befummelnd, man kann zum Beispiel auch die Zugfedern des Tremolos auf der Rückseite des Korpus’ bearbeiten, und wenn man vorher die Lautstärke ordentlich aufgedreht hat, was hier natürlich niemand vergessen hat, dann klingt auch das ganz putzig. Zum orgiastischen Gefiedel passte die umarmende Haltung, wenn die linke Hand an den Knöppchen und Schaltern spielen muss, während die rechte die Saiten am Hals oder an der Kopfplatte bearbeitet.

Der Bassist war der altbekannte, nach trinkfester Arbeiterklasse aussehende Herr mit dem spanischen Namen, aber die Drummerin war eine neue, eine dickliche Frau unbestimmten Alters, aber sicherlich deutlich jünger als die beiden Herren, die von der Anstrengung rote Flecken auf den Wangen bekam und ihre Sache richtig gut machte. Ich hielt sie für eine Neuentdeckung, der aktuellen Mode für junge Begleitmusiker folgend, was einerseits immer so was schmückendes hat, als wäre das nur dekoratives Beiwerk, aber natürlich auch eine Ermächtigung und eingeräumte Chance für junge Talente ist, aber zu Hause sagte mir später das Internet, dass sie schon seit Jahrzehnten u.a. bei den Fehlfarben spielt. Kannste mal sehen, was man ich immer für falsche Vorurteile zur Hand habe.

Nach knappen anderthalb Stunden war Pumpe, allzuviele Stücke braucht es bei einer Band mit so langen Songs dafür ja nicht, und das prächtige »Massaker« war der krönende Abschluss. Sehr lange klatschen und pfeifen mussten wir dann aber nicht, damit die drei nochmal nach vorne kommen und eine Zugabe spielen. »Tempelhof« wurde gerufen, mit einem »Genau!« beantwortet, und dann haben sie tatsächlich dieses zweite aus der engeren Auswahl der drei oder vier allerbesten Stücken der Band auch noch aufgeführt.

Die Leutchen aus dem älteren Publikum waren leider auch bei diesem Stück ganz schön lahm. Ganz vorne einer, der von Anfang an ein bisschen doller am Oberkörperwackeln war und zum Schluss sogar mal die Arme in die Luft warf, später auch direkt neben mir einer heftig am Nicken, aber sonst nur stilles Rumstehen und bedächtiges Kopfwackeln, da kam leider keine so richtig superfetzige Stimmung auf. Zumal am Anfang einer direkt neben mir stand, der ein ums andere Mal sein Handy weit nach oben und vorne recken musste, um die Band zu filmen, statt sie sich anzusehen. Finde ich da jetzt wenigstens was im Internet, das ich hier einbinden kann? Na? Nee. Nur aus Villingen, das lief fast identisch ab:

Hier könnte eigentlich ein Video hin.

Zum Abschied hab ich mir noch eine der neuen Platten gekauft, Geld war ja noch genug über von dem Fuffi, den ich mir vorm Losgehen frisch aus unserem Bargeldreservoir geholt hatte. Muss ich ja noch zurückzahlen, siehste, nicht vergessen, ist ja das Haushaltsgeld gar nicht für zuständig, sondern muss ich von meinem Taschengeld bezahlen, soll schon alles seine Ordnung haben, die Kinder Jugendlichen brauchen ja Käse aufs Brot. Von den älteren Platten der Band gabs auch noch Neuauflagen auf Vinyl, aber da hatte ich mir ja vor Jahren schon gebrauchte Versionen zusammengekauft. Und ein T-Shirt gabs, erwartbar schwarz mit dem erwartbaren Männekieken-Profil drauf, das war aber direkt vor mir ausverkauft, das allerletzte Stück, das Konzert war ja der Abschluss einer kurzen Tour, aber ich fands eh nicht so doll, das kann man irgendwie besser lösen, find ich, vielleicht bau ich mir ja mal wieder ein Band-Shirt bei Spreadshirt?

Der Rückweg ohne weitere musikalische Begleitung, schade eigentlich.