Kingdom Of Oblivion

Band
Motorpsycho
Format
2 LP
Jahr
2021
Label
Stickman
Kennung
PSYCHOBABBLE 116
Zusatz
Klappcover, Download-Code

Krischan am

Da hab ich mich noch gar nicht an die letzte Platte gewöhnt, weil ich pausenlos ganz anderes Zeug höre (oder gar nichts), da erscheint schon die nächste Motorpsycho-Platte! Den Turm fand ich toll, den Tiegel zunächst nicht ganz so, weiß ihn inzwischen aber zu schätzen, und an das All kann ich mich im Grunde gar nicht erinnern. Beim nochmaligen Probehören gerade kommt mir das dann aber doch stellenweise wieder ein bisschen bekannt vor.

In der kurzen Zeit hat sich auch nicht viel verändert. Die Riff-Folge, mit der das Album eröffnet, könnte gut und gern auch von einem der letzten Alben stammen. Ist sie vielleicht auch: ein Teil der Aufnahmen stammt wohl aus den Studio-Sessions der letzten beiden Alben, hab ich irgendwo im Internet gelesen. Wo, weiß ich nicht mehr. Und der mehrstimmige Gesang klingt stellenweise ein bisschen nach Stino-Progrock aus den Siebzigern, so wohlklingend ist er in die Harmonien eingebettet, aber das hatte ich ja neulich auch schon beobachtet. Ausgeprägte Solopassagen müssen nach meinem Geschmack nicht unbedingt sein, auch die komischen Effekte auf dem Gesang im letzten Drittel machen das Ergebnis nicht wirklich besser, aber das verbuchen wir mal wohlwollend als konsequente Weiterentwicklung.

Das nächste Stück packt auf die hardrockigen Riffs und das wuchtige Schlagzeug noch eine Portion barocken Orgel-Bombast drauf, das gabs beim Kirchenkonzert schonmal so ähnlich beziehungsweise viel doller, und auch bei den letzten Alben klang das mitunter durch. Ein pastöser Progrock-Brocken aus etlichen Schichten und mit hübschen Schleifchen. Der Gesang kommt mir auch hier ein Mü zu glatt und gewöhnlich vor, dass ich mich im Grunde fragen müsste: was war denn da sonst anders? Bisschen unbeholfener wohl. Andererseits loben die Kritiker dieser Platte ja auch die Texte …

Dann was folkig-jazziges oder wie immer man das einordnen soll, da fehlen mir die Referenzen: keine Drums, keine Verzerrer, ruhiger mehrstimmiger Gesang auf blubberndem Bass und blechern schnarrenden Akustik-Gitarren, garniert mit Streichern und zart tönender Sologitarre.

Zurück zum breitbeinigen Hardrock. Da wundere ich mich immer wieder heimlich, dass mir sowas gefällt. Würde ich sowas hören, wenn es nicht von einer Band käme, die mir mit ihren vorherigen Alben über die Jahrzehnte ans Herz gewachsen ist? Bilde ich mir nur ein, dass es mir gefällt, weil Motorpsycho draufsteht, oder ist das eben doch was ganz anderes als Queen und Cream und King Crimson? Muss ich vielleicht mein falsches Vorurteil über die genannten Bands korrigieren? Und was sollen diese Fragen eigentlich? Wenns mir gefällt, ist doch alles in Ordnung. Ich bin aus dem Alter raus, wo man sich aus dem Musikgeschmack eine Identität basteln muss bzw. andersrum: wo man notgedrungen die Musik hören muss, die zu der Subkultur passt, die einem am coolsten vorkommt. Und als dreizehnjähriger fand ich sowas auch schon geil.

Das fünfte ist das Cover eines Songs von – man glaubt es kaum – Hawkwind, und zwar aus der Feder von – jetzt kommt es noch besser – Lemmy. Klanglich aber ganz anders, als man da denken sollte, wer das Original kennt, ahnt das schon (ich gehöre merkwürdigerweise nicht dazu, die Platte mit diesem Stück hab ich nicht, weil sie im digitalen Angebot der Berliner Bibliotheken nicht enthalten ist; doch stopp, ich kenne es ja doch, nämlich von der ersten Motörhead-Platte, wo es auch drauf ist und dann doch wieder so klingt, wie man sich das vorstellt). Motorpsycho geht hier noch einen Schritt weiter und macht aus dem düsteren Akustik-Folk ein dystopisches Klangexperiment, bei dem man die Bass-Melodie und den verzerrten Gesang hinter einer spacigen Geräuschkulisse bestenfalls erahnen kann und das Stück wohl vor allem am Text erkennt: This is the end now.

Es bleibt experimentell und wird trotzdem bombastisch, klanglich unglaublich dicht und vielschichtig, das klingt bedrohlich und wuchtig. Herrlich. Zum Erholen im Anschluss ein kurzer Pausenfüller mit zartem Klampfgeklimper. Und weiter mit archetypischem Motorpsycho-Sound im Wechsel zwischen Akustikgitarre hinter schüchternem Gesang und breiten Gitarrenwänden voller hymnischer Melodien, eingebettet in feinste Auf-und-Ab-Dynamik mit langgezogenen Spannungsbögen. Die achteinhalb Minuten kommen mir erstaunlich kurz vor.

Kurzer Füller wieder als akustisches Geklampfe, diesmal etwas flotter und mit emphatischem Gesang. Nee, kein Füllsel, sondern ein Stück in voller Länge, das nach drei Minuten auch aus dem Lagerfeuer-Schema ausbricht und mit Wiehern, Flöten, Dudelsäcken und schwelgerischen Chören eine ausgewachsene cineastische Athomsphäre einbaut. Die Klampfen kratzen nur noch am Rand herum. Dann das stille Füllsel.

Das längste Stück des Albums, das mit dem ulkigen Namen, ist ein merkwürdig fragmentiertes Rock-Monster mit so ziemlich fast allen unangenehmen Facetten der Siebziger und Achtziger (ewiges Solo-Gegniedel, jodeliger Gesang, Keyboards und Effektpaletten und homophone Vielstimmigkeit überall), das mich trotz der schicken Riffs leider gar nicht da abholt, wo ich sitze. Liegts mal wieder am Gesang? Oder doch nur am noch nicht nachvollzogenen weil verkopften Schema?

Zum Schluss ein samtiges, dunkles, versöhnliches Abspann-Stück mit der schönen Melodie aus dem vorletzten (oder welchem Stück?), aber in sehr zurückhaltender Instrumentierung. Eine Reprise quasi. Sehr schön.

Hier könnte eigentlich ein Video hin.

Bisschen anders ist das jetzt aber doch, möchte ich meinen. Die Breaks und Wechsel in Stimmung und Rhythmik waren sonst allmählicher, kommen jetzt aber öfters sehr abrupt und schematisch, geht also mehr in Richtung Math- als in Richtung Post-, wechselt quasi vom Psychedelic- in den Art-Rock. Oder so. Und dagegen ist ja nun nichts zu sagen. Mal sehen, ob und wie das nächstes Jahr weitergeht.

Das Cover stammt nicht nochmal von Håkon Gullvåg – die von ihm gestaltete Trilogie ist schon vollständig –, aber auch nicht wieder von Kim Hiorthøy – der hat offenbar ausgedient –, sondern diesmal von einem Sverre Malling. Überzeugt mich nicht so richtig. Gibt vor allem auch viel schönere Sachen von ihm. Und bisher war auf den Motorpsycho-Platten eigentlich immer so was richtig schickes aus ganz verschiedenen Ecken von Kunst und Design, und jetzt gibts diese alberne Zeichnung und schlecht gemachte gebrochene Schrift. Letzteres ist offenbar grad Mode, ersteres vielleicht auch.

Aber der Rest des Layouts ist wie gewohnt sehr schön: dezent abgesättigtes Hellgrün auf den Innenseiten (damit ist nicht nur die Ansicht des aufgeklappten Klappcovers gemeint, sondern auch die Rückseite des Kartons, die Innenseiten der Taschen quasi, in die man die Platten reinschiebt) und auf den Labeln. Nette Schriften in unauffälligem Layout mit dezenten Spielereien. Und der Zettel für den Download ist auf ungebleichtes Papier gedruckt und mal wieder so richtig schön schief beschnitten.

Fein. Ab in die Tüte.

Tracks

  1. The Waning (Pt. 1 & 2)
  2. Kingdom Of Oblivion
  3. Lady May
  4. The United Debased
  5. The Watcher
  6. Dreamkiller
  7. Atet
  8. At Empire’s End
  9. The Hunt
  10. After The Fair
  11. The Transmutation Of Cosmoctopus Lurker
  12. Cormorant

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