Electric Trim

Band
Ranaldo, Lee
Format
2 LP
Jahr
2017
Label
Mute
Kennung
STUMM 403
Zusatz
bedruckte Innenhüllen, Faltblatt, Download-Code

Krischan am

Der kleinere der beiden Sonic-Youth-Gitarristen hat auch mal wieder eine Platte rausgehauen. Die letzten Sachen waren zwar nicht so der Renner, aber alles rund um Sonic Youth muss ja. Komm ich nicht drum rum. Weil isso. Also rin in die Einkaufste, die virtuelle.

Double Vinyl Includes Lyric Book & Digital Copy

Den Dust hat er zwar nicht mehr an seinen Namen angehängt, aber die Mitmusikanten sind im Grunde trotzdem weiterhin dieselben: Licht an der Gitarre, Luntzel (der aus welchen Gründen auch immer kürzlich erst im Alter von 44 gestorben ist) am Bass, Shelley (meistens) an den Drums. Wirklich neues oder besseres oder anderes kann man also vermutlich nicht erwarten. Ein paar Gast- und Studiomusiker sind stellenweise zwar auch dabei, aber das muss ja nicht viel heißen.

Los gehen tut es auf den marokkanischen Bergen mit mystischen Geräuschen und countryeskem Geklampfe, dazu der schnulzige Sprech-Gesang, der zu den unvermeidlichen Roadmovie-Stories zu gehören scheint. Dezente Elektrobeats, ausgefeilte Arrangements, das ist nicht der klassische Rock, sondern mit allerlei folkigem Ethnokram aufgehübschter Indie der schwelgerischen Art, sogar Vogelgezwitscher darf rein, und zum Ende wirds zwischendurch auch mal ein bisschen lauter und ekstatischer. Wenn nur der Gesang nicht gar so nett wäre.

Für Onkel Skelett gibts dann den eher klassischen Softrock oder so, aber deutlich nach Amerika klingend, mit leider viel zu poppigen elektronischen Elementen und Sounds. Der melodiöse Gesang wieder weit im Vordergrund, der Rest dafür irgendwie verwaschen im Hintergrund, zudem fallen die Stellen ohne den Bass sehr aus dem klanglichen Rahmen. Gefällt mir nicht, dadurch isses mir auch zu lang, obwohl der Song mit fünfeinhalb Minuten einer der kürzeren auf der Platte ist.

Also nochmal von vorn. Besser, weniger Melodie, eigentlich auch wieder schnulziger, mehr so Liedermacher, nur mit verhalltem Klavier statt Gitarre als zentrales Instrument. Damit kann ich eher umgehen als mit dem altmodischen Rockzeug. Und mit dem mehrstimmigen Refrain? Hm. Zwischenpart mit viel Elektro, aber auch noisiges und psychedelisches, so solls sein. Aber insgesamt wieder nicht so recht im Fluss, nicht aus einem Guss. Muss ja aber auch nicht.

Die letzten Blicke sind noch ruhiger und langsamer und schöner, eigentlich nur Drums und Bass und Geräusche. Außerdem mit glockenheller Gesangspartnerin, schön kitschig, schmusig, soll ich Carpenters sagen? In der Mitte auf einmal ein flotterer Zwischenpart mit lauterem Sprechgesang, der mich fast schon an Van Pelt erinnert, während die Instrumente akustisch vor sich hinklimpern, und dann wirds zum Ende endlich mal etwas lauter und stadionrockig, hallo, das geht schon auch mal.

Hymnisch pfeifend sich im Kreise drehen, ein bisschen altmodisch mit weitem Rock und dem treibenden Bass, höre ich da eine Schweineorgel? Nettes Radiolied zum Autofahren, monotones Riff im Hintergrund, kleine rhythmische Spielereien, Schellenring, Backgroundsängerinnen, Bongos, Klimperklavier, wo soll das noch hin? Aber eigentlich gar nicht so schlecht, hat nur halt so gar nix mehr mit Sonic Youth zu tun, oder? Die hatten ja zeitweise auch angenehme Psychedelic-Einschläge. Nee wirlich, gefällt mir ganz gut. Hat in seiner Vielschichtigkeit auch was von Motorpsycho, find ich.

Hier könnte eigentlich ein Video hin.

Der Titelsong kommt dann wieder aus dem Schmusepop, ruhig und ein bisschen düsterer, mal nicht aus den Sechzigern oder Siebzigern entliehen, sondern aus den Achtzigern oder Neunzigern. Jedenfalls in der ersten Hälfte, denn dann kommen auf einmal unauffällige Elektrobeats (Nuller) und echospielende Backgroundsängerinnen (Sechziger) und jaulende Gniedelgitarren (Siebziger) dazu, und alles driftet in einen merkwürdigen, mir nicht ganz nachvollziehbaren Stilmix ab. Glamrock? Die letzte Minute bringt dann nochmal den Anfang zurück, der mit dem Sturmgeheul vielleicht was von Black Heart Procession hätte, wenn der Gesang etwas prägnanter wäre. Im Grunde gar nicht so schlecht.

Das danach kann mir gestohlen bleiben. So ein Lied halt, irgendwie komplett uninteressant, ich finde keinen Zugang, der Rhythmus, die Riffs, der Gesang, da ist irgendwie nix, weder toll noch blöd, solider Alternative-Rock ohne Bumms. Dabei stecken einige kompositorische Ideen und Kniffe des Arrangements drin, aber irgendwie zündet das alles nicht, obwohl ich mich auch hier an irgendwas bekanntes erinnert fühle.

Über die Mauer geschmissen funzt das schon deutlich besser: allmählich anschwellender, dichter werdender Sound, ein breiter Teppich auf monotoner Basis, psychedelisch mäandernd, den Gesang in die hallenden Instrumente eingebettet, gern auch mehrstimmig. Ein ruhiger Zwischenpart, der sich langsam wieder steigert, nicht eigentlich interessant, aber prima zum Lauterdrehen und Hineinfallen lassen.

Und dann das letzte Ding. Ohje, da wirds ganz doof. Soll das Paul McCartney sein oder doch eher Elton John? Meine Güte. Tobin Sprout ist da aber auch nicht weit weg von, oder? Naja. So im Kontrast zum vorletzten Song ist das schon krass.

Nein, er muss nicht Sonic Youth imitieren, wenn er ohne die anderen endlich mal seine eigenen Songs spielen kann, aber muss er dermaßen in den Classic Rock und den Kitschpop abdriften? Nee, denn zwischendurch gehts doch auch immer wieder ganz anders. Ziemlich zusammengestoppelt ist das ganze, auch innerhalb der Songs fehlt zum Teil der Zusammenhalt, aber vielleicht muss man die Platte einfach noch ein paar mal anhören, wie es auch die Kritiker sagen, für die sie mit jedem Hören reift?

Tatsächlich ist das wohl auch eine typische Studio-Platte, bei der aus dem sparsamen Ausgangsmaterial der Komposition erst bei der Aufnahme durch allerlei Herumspielen und Ausprobieren und Hinzuziehen von Geräten und Musikern schließlich das geworden ist, was auf der Platte zu hören ist. Rockbands funktionieren normalerweise anders.

Aber wirklich, wenn man sich nach anfänglichem Unmut über die affige Produziertheit und die überbordenden Arrangements dann doch mal vorbehaltloser auf die Musik einlässt, gewinnt sie deutlich. Dann entdeckt man interessante Verknüpfungen zu ganz unterschiedlichen Bereichen der Indie- und Alternative-Musik, die man beim (ehemaligen) Noise-Rocker und Free-Jazzer so nicht erwartet hätte. Die Hochglanz-Produktion aus dem Studio ist mir aber vom Prinzip her immer suspekt.

Das Cover ist das einzige in der Einkaufstüte ohne Schwarz als Hauptfarbe. Aber das On-the-Road-Sujet scheint für Herrn Ranaldo alternativlos zu sein. Immerhin ist es diesmal nicht selbstgepinselt, sondern fotografiert, zudem erweitert um die Spuren des typisch amerikanischen Autofahren-ist-Freiheit-Freizeitverhaltens.

Tracks

  1. Moroccan Mountains
  2. Uncle Skeleton
  3. Let’s Start Again
  4. Last Looks
  5. Circular (Right As Rain)
  6. Electric Trim
  7. Purloined
  8. Thrown Over The Wall
  9. New Thing

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